Sonntag, 23. Mai 2021

Ist der Heilige Geist nicht überflüssig, haben wir doch das Wort Gottes in der Bibel und in den Zeugnissen anderer Texte?




Verstehst Du auch, was Du liest“, wird der äthiopische Hofbeamter gefragt, als er einen Text des Propheten Jesaja liest. Einen Text lesen und ihn verstehen sind offenkundig zweierlei Ding. So respondiert der so Angefragte: „Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet!“ (Apg 8,31) Inkludiert nun das Verstehen die Erkenntnis, daß das da Geschriebene auch wahr ist? Oder ist es vielmehr so, daß wir auch Texte lesen und verstehen können, ohne daß es uns möglich ist, zu beurteilen, ob das da Ausgesagte wahr oder unwahr ist. Es gibt viele Texte, die von UF0- Sichtungen erzählen, im Regelfall sind diese Texte leicht verständlich verfaßt, nicht wie Hegels „Phänomenologie des Geistes“, und doch ist schwer zu beurteilen, ob sie Wahres oder Unwahres berichten. Ich kann also Texte verstehen, wie etwa den Prolog des Johannesevangeliumes, sicher eine der schönsten Textpassagen der hl. Schrift, aber wie kann ich erkennen, daß das da Geschriebene auch wahr ist?

(Es fällt gar leicht, rein fiktionale Texte zu verstehen, wie etwa die Erzählungen von H.P. Lovecraft, und wenn selbstredend das spontane Urteil lautet, das sind alles reine Erdichtungen dieses Autoren, so drängt sich dem Lesenden doch der Eindruck auf, hier Wahres zu lesen, nur daß es dann dem Leser unmöglich erscheint zu sagen, was die Wahrheit dieser fiktiven Texte ausmacht; vielleicht liest deshalb der Leser einen zweiten, dritten usw Text von Lovecraft, hoffend irgendwie doch noch der Wahrheit in diesen Texten auf die Spur zu kommen.)

Aber wir erkennen wir, etwa den Johannesprolog lesend, daß hier die Wahrheit uns verkündet wird? Zum Verstehen reichen, wem dieser Primärtext unverständlich bleibt, diesen Text auslegende Sekundärliteratur oder gar theologische Texte zu dem in diesem Text Geschriebenem. Aber auch wenn der Text in Gänze in all seiner Tiefe verstanden ist, wie erkennt der ihn Verstehende die Wahrheit dieses Textes?



Ein kleines Experiment: Ein Kindergärtnerin stellt vor die Kinder 1o Gläser und frägt sie (in Bayern): Aus welchem dieser Gläser trinkt man Bier? Aus allen könnte Bier getrunken werden, aber nur eines von den 10 ist ein Bierglas. Die Kinder, gescheit wie sie sind, zeigen alle auf das einzige Bierglas: Das ist es! Wie konnten sie dies eine Bierglas als Bierglas erkennen? Sie konnten es, weil in ihnen eine Vorstellung von dem ist, was ein Bierglas ist und diese Vorstellung erkennen sie in dem einen Bierglas wieder. Erkennen ist hier ein Recognizieren. Früge die Kindergärtnerin die Kleinen nach einer Definition des Bierglases, des Wesens oder der Idee des Glasweines, die Kinder wären damit hoffnungslos überfordert. Aber sobald sie ein Bierglas sehen erkennen sie es als ein Bierglas, weil dann ihre Vorstellung von dem Bierglas in dem gesehenen Glas wiedererkannt wird.

Man sieht nur, was man kennt“, ist eben nicht nur ein guter Einfall zur Kaufanimation von Reiseführern, sondern spricht eine Lebensweisheit aus. Wir sähen kein Bierglas, erkennten wir es nicht als Bierglas. Aber die dem Sehen des Bierglases vorausgesetzte Kenntnis des Bierglases, was ein Bierglas ist, ist doch eine eigentümliche Kenntnis: Sie wird erst zur uns bewußten Erkenntnis im Akt des Sehens des Bierglases. Vordem ist diese Erkenntnis sozusagen nur im Modus der Potentialität uns präsent; sie muß durch Gesehenes erst aktualisiert werden.

Im theologischen Diskurs unterscheidet man in Entsprechung dazu zwischen dem äußeren Wort (den Texten der Bibel) und dem inneren Wort (das Wort im Gläubigen), sodaß der Gläubige kraft des inneren Wortes das äußere (den Text) als wahr erkennt. Dies innere Wort könnte nun mit dem Hl. Geist oder als eine Gabe des Hl. Geistes begriffen werden. Durch dies innere Wort wird dann das äußere Wort als wahr erkennbar. (So etwa bei Zwingli). Das innere Wort ist dann noch nicht selbst die Erkenntnis der Wahrheit, sondern der Ermöglichungsgrund, das äußere Wort der heiligen Texte als wahr zu recognizieren.

Die christliche Religion begegnet uns primär in den heiligen Texten der Bibel und dann in sekundären Texten der Auslegung und des Begreifens der Bibeltexte bis hin zu vollständigen Dogmatiken und Katechismen, die die Wahrheit explizieren. Aber auch das aufmerksamste Lesen und Verstehen dieser Texte führt nicht allein zum Erkennen der Wahrheit dieser Texte. Die Wahrheit der Texte muß vom sie Verstehenden recogniziert werden und das ist nur möglich in der Kraft des Heiligen Geistes, der uns das innere Wort ist oder gibt zum Wiedererkennen der Wahrheit. Wir sehen nicht nur, was wir kennen, wir erkennen auch nur, was wir wissen, aber im Regelfall so, wie die Kindergartenkinder das Bierglas unter den 10 Gläsern wiedererkennen.



1.Zusatz:

Es ist kein Witz, daß nach einer Predigt zu Pfingsten mich reformierte Gemeindemitglieder frugen, ob Reformierte nicht ganz auf den Hl. Geist verzichten könnten, der wäre doch nur was für Charismatiker und sonstige Spinner, uns reiche doch die Bibel, wenn sie wissenschaftlich erklärt wird. Die Wissenschaft mache doch den Geist völlig überflüssig! 

2. Zusatz

Die Wahrheit der christlichen Religion ist nicht einfach die Person Jesus sondern die wahre Aussage: Jesus ist der Christus!, fundiert die ganze christliche Wahrheit.  Diese ganze Wahrheit, expliziert ist für uns aber nur präsent in Texten, denn wir leben noch im Glauben und noch nicht im Schauen. 




 

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