Daß es für alle Konflikte eine vernünftige Lösung gibt,für alle Rechtsstreite ein gerechtes Urteil, gehört wohl zu dem 1x1 jedes aufklärerischen Denkens, aber es gibt auch Einwendungen. Eines der Anliegen des Philosophen Lyotard in seinem Werk: „Der Widerstreit“ ist das Aufweisen solcher „Widerstreite“, also „Konflikte“, für die es keine allen Konfliktparteien gerecht werdendes Urteil. Im politischen Raum ist da an den Konflikt zwischen dem Staate Israel und den Palästinensern, den aus ihrer Heimat vertriebenen zu denken, im philosophischen Raum an die bekannte Geschichte einer Juristenausbildung: Der Lehrer sagt seinem Schüler, daß er ihm kein Honorar zahlen braucht, wenn er trotz seiner Ausbildung keinen Prozeß gewinnt als Rechtsanwalt. Nun verliert der Ausgebildete jeden Prozeß und verlangt so die Rückerstattung seiner Ausbildungskosten zu Recht. Der Lehrer aber erwidert, daß der Schüler nun den Prozeß gegen ihn gewinnen wird, daß er das Honorar zurückbezahlt bekommen wird und so wird er diesen einen Prozeß gewinnen und so braucht der Lehrer nichts zurückzuzahlen.
Beide haben so gesehen Recht, und doch kann es doch nicht sein, daß diese Beiden zugleich Recht haben. Diesen „Konflikt“ qualifiziert Lyotard als einen Widerstreit. (Vgl dazu die sehr gediegene Darstellung des Anliegens dieses Philosophen in: W-Walsch, Unsere postmoderne Moderne)
Solange es in Deutschland noch die allgemeine Wehrpflicht gab,ereignete sich da regelmäßig dieser Widerstreit: Den „Zeugen Jehovas“ war und ist es aus religiösen Gründen weder erlaubt, den Wehrdienst noch den Zivildienst zu leisten. (Sie dürfen auch nicht ihr aktives und passives Wahlrecht ausüben, da sie trotz Röm 13 den Staat ablehnen, aber doch ihrer Steuerzahlungspflicht nachkommen.) Wegen dieser Verweigerung des Wehr- wie auch Zivildienstes wurden dann die wehrpflichtigen Männer regelmäßig zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Aus ihrer religiösen Sicht galt nun, daß weil man Gott mehr zu gehorchen habe als dem Staate, daß sie sich beide Diensten verweigerten und daß sie sich als vom Staate als ob ihres Glaubens Verfolgte ansahen.
Aus staatlicher Sicht ist ob der Wehrpflicht jeder wehrfähige Mann zur Wehr- oder ersatzweise zum Zivildienst verpflichtet und dieser Verpflichtung darf sich kein wehrfähiger Mann im Namen seiner Religion oder sonstigen Weltanschauung entziehen. Darum bestraft der Staat solcher Verweigerer rechtens.
Wurden so die so sich verweigernden Zeugen Jehovas religiös verfolgt- nämlich um ihres Glaubens willen oder wurden sie staatsrechtlich rechtens diskriminiert, weil sie sich allen Männern auferlegten Pflichten entziehen wollten?
Man kann es drehen und wenden, wie man es will: Beide haben in ihrer Argumentation recht und es gibt keine beiden Diskursarten, der staatlichen und der religiösen übergeordnete Diskursart, in der der Konflikt zwischen den differenten Ergebnissen dieser 2 Diskursarten beiden gerecht werden könnte. Das ist nach Lyotard ein „Widerstreit“. Faktisch muß der Staat den so Verweigernden verurteilen und der Zeuge Jehovas darf sich als um seines Glaubens willen Diskriminierter ansehen.
Damit eröffnet sich ein Blick auf ein prinzipielles Problem der Verhältnisbestimmung von Staat und Religion. Wenn in wohl allen Religionen der Grundsatz gilt, daß den Göttern oder dem einen Gott mehr zu gehorchen ist als dem Staate so kann kein Staat diese Gehorsamsverweigerung prinzipiell anerkennen. Man stelle sich Folgendes vor zur Veranschaulichung: Ein Muslim urteilt, daß jemand ob einer Beleidigung des Propheten zu Tode zu verurteilen sei, der Deutsche Rechtsstaat aber eine solche Tötung als Mord verbietet und er nun, Gott mehr gehorchend als dem Rechtsstaate den Prophetenbeleidiger tötet. Kein Rechtsstaat kann eine solche Tötung tolerieren, der Täter aber wird sich auf den Grundsatz, Gott ist mehr zu gehorchen als Menschen sich berufend seine Tat legitimieren: Zu diesem Töten war ich verpflichtet!Der Rechtsstaat muß diesen Täter verurteilen, wenn er ein Rechtsstaat bleiben will und der Täter wird sich als ob seiner Religion Verfolgter wahrnehmen. Auch hier liegt ein Widerstreit vor, in dem dann durch den Staat notwendigerweise dem Religiösen Unrecht getan wird, weil der Staat rechtsstaatlich handelt. Hier treffen eben zwei Diskursarten, die des Rechtsstaates und die dieser Religion inkompatibel aufeinander.
Leicht und wohl auch zu schnell urteilen wir heutigen Christen, daß, wenn religiöse Menschen von einem Staat diskriminiert werden, diese Diskriminierung immer ein Unrecht sei, ohne ganz genau zu prüfen, ob nicht der Staat nach seiner Diskursart ein Recht dazu hat. So halte ich es zum Beispiel für etwas problematisch, wenn ungeprüft so die sogenannte „Untergrundkirche“ in China als die der guten Katholiken und die der „Patriotischen Kirche“ Chinas als die der Ungläubigen oder Falschgläubigen beurteilt werden. Es ist immer eine große Kunst, dem: Gebt, was Gott ist, Gott und dem Kaiser, was des Kaisers ist, im praktischen Leben gerecht zu werden. Wenn es dann zu unüberwindlichen Gegensätzen zwischen dem Staate und der Religion kommen sollte, (wie etwa bei der Verweigerungspraxis der Zeugen Jehovas), darf nicht einfach der Staat als Unrechtsstaat verurteilt werden, folgt er der staatlichen Diskursart und die Religion der religiösen, denn der Staat kann sich nicht gänzlich in jedem Fall der religiösen unterordnen, weil sich so die staatliche Ordnung selbst destruieren würde.
Man imaginiere sich dazu einfach diesen Fall: Es gäbe in Deutschland eine Religionsgemeinschaft, die es mit ihrem Gottglauben unvereinbar erklärte, Steuern zu zahlen. Anerkennte der Staat diese „Glaubenspraxis“ der Steuerzahlverweigerung, ruinierte sich der Staat – das darf er aber nicht, denn aus theologischer Sicht ist er eine von Gott gewollte Ordnung zum Schutz des menschlichen Lebens.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen