Montag, 17. Mai 2021

Zur Gewissensfreiheit- ein paar kritische Anmerkungen - oder wenn mein Gewissen mir das Gebet nicht mehr erlaubt!


A) In dem Kontext der innerchristlichen Religionskriege erhob sich die Frage, welche Kirche mit ihrer jeweiligen Morallehre denn zu befolgen sei, um gemäß Gottes Willen zu leben. Der aufklärerische Diskurs konstruierte dazu den Begriff der natürlichen Religion als Oppositionsbegriff zu allen bestimmten Religionen und Christentumsauffassungen, das soll die Religion sein, die das eigentliche Fundament jeder Religion ist, das dann über durch kirchliche Zusätze übermalt wird. Diese natürliche Religion hat ihren Sitz auch im Gewissen jedes Menschen, das ihm anzeigt, wie er zu leben habe. Diese Gewissenswissen im Raume der natürlichen Religion sei die wahre von Gott gewollte Religion, die jeden Kirchenglauben überflüssig mache. Das Gewissen wurde so als die Alternative zu den offenbarten Wahrheiten der christlichen Religion konstruiert, um jeden Kirchenglauben überflüssig zu machen. Für Kant ist es so eine Selbstverständlichkeit, daß im Prinzip alle Kirchen nicht nur überflüssig sind, sondern gar die natürlich-vernünftige Religion verunklaren.

Wenn für Paulus das Gewissen nur die Funktion hat, zu begründen, warum nicht nur die Juden vor Gott Sünder sind sondern auch die Heiden, weil sie trotz ihres Gewissens, in dem ihnen Gottes Gesetz eingeschrieben ist, gegen es gehandelt haben, so avanciert jetzt das Gewissen für den vernünftig Denkenden zur einzigen Quelle der Erkenntnis des von ihm Gesollten. Das Gewissen ist hier nicht als ein subjektiv geprägtes gedacht, sondern als das, in dem die objektive Wahrheit präsent ist im Kontrast zur Verdunkelung des Lichtes des Wahrheit in den positiven Religionen, die als Synthese der natürlichen Religion und subjektivistischer Zusätze zu rekonstruieren seien.

Es ist verständlich, daß die Katholische Kirche angesichts dieser Konzeption die Gewissensfreiheit reprobierte als mit der christlichen Religion inkompatibel.

B)Grundlegend änderte sich die Einstellung der Kirche zu dieser Causa erst, als sie die Erfahrung machen mußte, daß totalitäre Staaten von Christen einen Gehorsam wider die Gebote Gottes verlangten. War noch bis zum Ende des 1.Weltkrieges der Staat als Partner der Kirche erschienen, im Geiste des Thron- und Altarbündnisses, so erlebte jetzt die Kirche den totalitären Staat als eine Gefährdung der Freiheit der Kirche. Jetzt sollte gelten, daß der Staat nicht das Recht habe, seine Staatsbürger zu mit ihrem Gewissen Unvereinbaren zu verpflichten. Damit sollte der Einzelchrist vor den staatlich totalitären Ansprüchen geschützt werden. Jetzt wird das Gewissen auch individualistisch aufgefaßt, um so auch den christlichen Staatsbürger wie jeden anderen Anhänger einer anderen Religion oder Weltanschauung vor solchen staatlichen Ansprüchen zu schützen. Die Gewissensfreiheit reüssierte so zu einem der wichtigsten Abwehrrechten des Staatsbürgers gegen übergriffige Staaten.

Die Katholische Kirche verzichtete dabei auf das Argument, daß der Staat Bürger nicht zu einem Ungehorsam den Geboten Gottes gegenüber verpflichten dürfe, sondern ersetzte dies Argument durch das Menschenrecht, daß Niemand zu einem Tuen wider sein Gewissen verpflichtet werden dürfe. Jetzt bildet dies Menschenrecht das Zentrum der kirchlichen Argumentation gegen ein Zuviel an eingefordertem Staatsgehorsam und nicht mehr die Autorität des göttlichen Gesetzes, die auch der Staat anzuerkennen habe.


C) Nun resultiert aus dieser Kursänderung in der Causa der Menschenrechte aber ein gravierendes Problem für die Katholische Kirche, da nun Glieder der Kirche auf Berufung auf dies Menschenrecht der Kirche ihren Gehorsam verweigern: „Ich darf meinem Gewissen mehr gehorchen als der Lehre der Kirche!“ Damit reaktualisiert sich die ursprünglich antikirchliche Intention der Parole der Gewissensfreiheit.

Zur Veranschaulichung etwas von mir selbst Erlebtes: Ein ständiger Diakon, in der Krankenhausseelsorge eingesetzt, weigerte sich strikt, an einer Anbetung des Allerheiligsten in der Spitalkapelle teilzunehmen, da er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, da herumzubeten, statt für die Patienten da zu sein. Zu beten kann für ganz Progressive mit ihrem Gewissen unvereinbar sein! Die gesamte christliche Morallehre kann so durch diesen ursprünglichen Gewissensbegriff destruiert werden. Und so wird er jetzt auch im Kampfe gegen die Kirche instrumentalisiert, aber dabei der Ursprungsintention die Treue haltend.

Wird aber erst einmal die Gewissensfreiheit kirchlich anerkannt, kann die Kirche dann diese Affirmation nicht revozieren mit der Zusatzthese, daß nur dann dem Gewissen zu gehorchen sei, wenn es als gebildetes mit der Morallehre der Kirche übereinstimme, denn damit wird die Gewissensfreiheit genichtet. Denn dann hieße es, daß immer der Morallehre der Kirche zu gehorchen sei und wenn das Gewissen der zustimme, nur dann auch dem Gewissen.


D) Das Hauptproblem liegt in der problematischen Analyse des totalitären Staates, dem statt seines Kampfes wider die Wahrheit vorgeworfen wird, sich nicht indifferent allen möglichen Wahrheitsansprüchen einer pluralistisch verfaßten Gesellschaft gegenüber zu verhalten. Dieser eingeforderter Indifferentismus ist nun aber auch der Totengräber der katholischen Morallehre.

 

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