Notizen zur Verprivatisierung der christlichen Religionen
„Die unendliche Zersplitterung der Religion in Nordamerika zum Beispiel gibt ihr schon äußerlich die Form einer rein individuellen Angelegenheit. Sie ist unter die Zahl der Privatinteressen hinabgestoßen und aus dem Gemeinwesen als Gemeinwesen exiliert.“ So urteilt Karl Marx in seiner Schrift: „Zur Judenfrage“, zitiert nach: Karl Marx: Zur Judenfrage, Rowohlt Verlag Berlin 1919, S.20 die Lage der christlichen Religion in dem demokratischen Staat. Ursprünglich sei die Religion „das Wesen der Gemeinschaft“(S.19), aus der sie nun exkommuniziert ist.
Beachtenswert ist dabei die These, daß die Religion nicht primär eine Frömmigkeit Einzelner ist, die sich dann vergemeinschaften ob des menschlichen Verlangens nach einer Geselligkeit,sondern ähnlich wie die Sprache ein soziales Faktum ist, daß soziale Gemeinschaften ihr Gemeinschaftsleben in ihrer Religion haben.
Die prinzipielle Alternative zur verprivatisierten christlichen Religion präsentiert die Bulle: „Unam sanctam“ Bonifatius VIII, die theologisch das Verhältnis der Katholischen Kirche zum Staate klärt.Sie ist dem liberal gesonnenen Herausgeber des „Kompendiums der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen“ so peinlich, daß er nur Fragmente daraus wiedergibt, lehrt hier die Kirche doch eindeutig die Notwendigkeit der Subordination des Staates unter die Kirche.Da die offenbarten Wahrheiten die durch die Vernunft erkennbaren übersteigen und das Ziel des Seelenheiles gewichtiger ist als die weltliche Wohlfahrt, habe die Kirche den Staat in dies Übergeordnete einzufügen.
Der „Christliche Staat“,den Marx hier in dieser Schrift so energisch bekämpft ist nun gerade ein Versuch der Realisierung des in dieser Bulle Grundgelegten.
Für Marx ist der „christliche Staat“ noch kein richtiger Staat, weil er sich noch heteronom von einer Religion bestimmen lasse. Darum könne es in ihm auch keine Emanzipation des Juden geben, weil dieser Staat sich nicht politisch sondern religiös zur jüdischen Religion verhielte. Erst wenn der Staat sich politisch von jeder Religion emanzipiere,könne es eine politische Emanzipation des Juden geben.Die Deklaration der Menschenrechte als die Grundlage des demokratischen Staates wird dann als die Konstitution des politischen Staates interpretiert, indem nun aus Sicht des Staates die Religion als gleichgültig beurteilt wird.Nun lebe der Mensch zweifach, als Privatmensch in der bürgerlichen Gesellschaft, „der Sphäre des Egoismus, des bellum omnium contra omnes“ (S.19) und der Staatssphäre, in der er sein Gemeinschaftsleben habe. Dabei ist dem Bürger sein Gemeinschaftsleben nur ein Mittel für den Zweck seines Privatlebens, er sei so von seinem Gattungsleben entfremdet, da er dies nur in einer von seinem eigentlichen Leben, dem egozentrischen der bürgerlichen Gesellschaft abgesonderten, Lebenssphäre der Staatssphäre habe. Deutlich manifestiert sich hier ein zutiefst romantisches Menschenbild, dessen Ideal der mit sich eins Seiende ist, der nicht als Zersplitterter in diversen Sphären zerteilt lebt. Der Bürger sei so ein dezentrierter.
Marx skizziert dann seine Utopie der menschlichen Emanzipation von der Religion und vom politischen Staat durch die Aufhebung dieser Zweisphärenexistenz, indem der nachbürgerliche Mensch sein Gattungsleben wieder in seiner Privatsphäre lebt und so seine uneigentliche negiert.Als verfehlte Aufhebung beurteilt er dabei das Konzept des totalitären Staates, das bürgerliche Privatleben des „bellum omnium contra omnes“ (S.19) durch eine Verstaatlichung nichten zu wollen.(S.20f).
Die politische Emanzipation befreie so den Staat von der Religion, aber erst die menschliche emanzipiere dann den Bürger wirklich von seiner zur Privatreligion herabgestuften Religion. Es gehöre so zum Wesen des Staates, damit er wirklich zum Staate wird, sich politisch von der Religion zu trennen, das leisten die Menschenrechte und die menschliche Emanzipation hebe dann nicht nur den Staat auf, (später von Lenin in seiner Schrift über Staat und Revolution expliziert) sondern auch die schon verprivatisierte Religion.
Unverkennbar ist, daß nach dem endgültigen Niedergang des christlichen Abendlandes, der Epoche des Thron- und Altarbündnisses mit der Nichtung der letzten großen Monarchien Europas nach dem 1. Weltkrieg,die Rußlands,Deutschlands und Österreichs die Katholische Kirche der Selbstprivatisierung der christlichen Religion zugestimmt hat im 2. Vaticanum. Wenn der Philosoph Zizek über das Menschenrecht der freien Religionsausübung urteilt: „Und zu guter Letzt, die >Freiheit des religiösen Glaubens< ist das Recht, falsche Götter zu verehren“. (Zizek, Lacan. Eine Einführung,2008,S.61), dann demonstriert dies, wie sehr die Kirche durch ihr Ja zur Menschenrechtsideologie die Selbstverprivatisierung der christlichen Religion zugestimmt hat.Aber nun drohte Marx gar noch mit seiner Utopie der gänzlichen Emanzipation des Menschen von der nun nur noch privat gelebten Religion. Erleben und erleiden wir das nun jetzt im Anfang des 21. Jahrhundertes? Manifestiert sich ein Verschwinden der christlichen Religion nicht gerade in der Katholischen Kirche selbst, die fast nur noch wie eine Sozialdiakonieanstalt agiert?
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