Zum Verhältnis der Demokratie zu den Menschenrechten – eine Problematisierung
Spontan würde man wohl meinen,daß die Demokratie und die Menschenrechte auf das innigste miteinander verbunden seien, wie andererseits zu einer Diktatur die Mißachtung dieser Grundrechte gehöre. Aber ein allseits bekannter Witz trübt dann doch dies anscheinend so harmonische Verhältnis zwischen der Regierungsform der Demokratie und den Menschenrechten:
Zwei Wölfe und ein Schaf entscheiden ganz demokratisch,was es am Sonntag zum Mittagessen geben soll. Das Schaf hat da keine Überlebensschance. Das ist jetzt aber nicht nur ein Witz, sondern eine bittere politische Realität, denn in allen westlichen Demokratien wird das Menschenrecht auf das Leben den Kindern im Mutterleibe aberkannt,ganz demokratisch. Die polnische Regierung, die dies Recht auf die Kindestötung auf drei Fälle limitieren will:wenn ein Inzest vorliegt oder eine Vergewaltigung oder das Leben der Mutter durch die Schwangerschaft gefährdet wird,wird deshalb ja vom „Europaparlament“ aufs heftigste angegriffen: Das sei undemokratisch.Wenn dann noch daran erinnert wird, daß der Diktator Joseph Stalin, nachdem sein Vorgänger Lenin als erster Staatsmann die Kindestötungen im Mutterleibe legalisierte, diese staatliche Erlaubnis revozierte,dann verkomplifiziert sich das scheinbar so klare Verhältnis von der Demokratie im Kontrast zur Diktatur zu den Menschenrechten.
Ein Klärungsversuch: Die Demokratie stellt eine Herrschaftsform da, die sich selbst indifferent zu allen Inhalten verhält. Alles, was formal demokratisch entschieden worden ist,gilt dann als gültig.So verhalten sich die zwei Wölfe demokratisch korrekt, wenn sie mit dem Schaf zusammen entscheiden, daß das Schaf am Sonntag verspeist wird. So kann ganz demokratisch diesem Lebewesen das Recht auf sein Leben abgesprochen werden.
Wie verhält es sich aber nun, wenn in einem demokratisch verfaßten Staatswesen die Menschenrechte anerkannt werden? Es muß dann konstatiert werden, daß erst durch die staatliche Anerkennung der Menschenrechte diese zur Grundlage dieses Staates werden, denn sonst verfügen die Menschenrechte nur den Status einer moralischen Forderung: O mögen die Menschenrechte doch vom Staate anerkannt werden! In einem demokratischen Rechtsstaat,der auf der staatlichen Anerkennung dieser Menschenrechte sich aufbaut, ist nun die Geltung dieser Menschenrechte dem demokratischen Selbstbestimmungsrecht entzogen,das heißt, daß über ihre Geltung,nachdem sie einmal staatlich anerkannt worden sind, nicht mehr demokratisch entschieden werden darf.Die Demokratie limitiert sich also selbst, indem es die Menschenrechte als nicht mehr demokratisch verhandelbar fixiert.
So entsteht hier ein der Demokratie immanenter Widerspruch:Um der Anerkennung der Menschenrechte willen, die als das Fundament der Demokratie gelten, muß sich die Demokratie selbst beschränken, indem es diesen Gehalt tabuisiert und dem demokratischen Diskurs so entzieht. Diese Limitierung ist nun ein undemokratisches Element von fundamentaler Bedeutung in der Demokratie und provoziert so den demokratischen Willen,diese Begrenzung der Demokratie nicht zu akzeptieren.Es ist so kein Zufall, daß unter der Parole des Selbstbestimmungsrechtes der Frau der Feminismus fast in der ganzen Welt so das Menschenrecht auf Leben der Kinder im Mutterleibe faktisch abgeschafft hat.Denn dies Selbstbestimmungsrecht gilt ja als das Fundament der Demokratie,daß jedes Volk selbst selbstbestimmt sein Leben führen darf. In einer Demokratie können so die Menschenrechte demokratisch limitiert werden,wo die Menschenrechte nicht mehr der demokratischen Verfügungsgewalt entzogen sind. Die heutige Tendenz in den demokratischen Staaten kann so als die einer Verdemokratisierung verstanden werden, in der die Selbstbegrenzung der Demokratie aufgehoben wird und alles den demokratischen Entscheidungen unterworfen wird,so auch das Menschenrecht auf Leben.
Ein spezifisches Narrativ in der Gründungsphase der BRD bereitete dieser Tendenz den Boden. Weimar sei gescheitert, weil diese Demokratie zu wenig Abwehrrechte dem Staat gegenüber demokratiefeindlichen Kräften zubilligte, sodaß am Ende diese Demokratie demokratisch liquidiert werden konnte, als die zwei antidemokratischen Parteien, die der NSDAP und die der KPD im Parlament durch demokratische Wahlen die Mehrheit der Parlamentssitze erlangten, sodaß keine Regierung demokratischer Parteien mehr möglich war. Eine „wehrhafte Demokratie“, die der BRD müsse davor geschützt werden: Ein solcher Mißbrauch demokratischer Wahlen, daß mehrheitlich antidemokratische Parteien gewählt werden können, muß verunmöglicht werden. Darum müssen eben die Grundrechte nur vorbehaltlich in Geltung stehen, sodaß sie auch einschränkbar und abschaffbar sind.So können Parteien verboten werden, wenn sie eine Gefahr für die Demokratie bilden, damit das Volk sie dann nicht mehr wählen kann. So lange das Wahlvolk sein Wahlrecht nicht mißbraucht,darf es auch in kleinen Mengen nichtdemokratische Parteien wählen,werden solche von zu vielen gewählt, können sie aber verboten werden.Das gilt so im Prinzip für alle Menschen- und Grundrechte, die die Verfassung dem Staatsbürger zuerkennt: Alle können auch relativiert und aberkannt werden, wenn Freiheitsrechte mißbraucht werden.
So wird jetzt einem AfD- Parlamentarier die Immunität aberkannt,um prüfen zu lassen, ob er durch die Äußerung: „Alles für Deutschland“ sich strafbar gemacht habe.Eigentlich dürften in einem Rechtsstaat Meinungsäußerungen keine strafbaren Handlungen sein,aber ganz demokratisch hat der Gesetzgeber bestimmte Meinungsäußerungen zu strafbaren erklärt.So wird eben ganz demokratisch das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit limitiert durch die Qualifizierung bestimmter als zu bestrafende Handlungen.
Diese
Verdemokratisierung schafft so Grundrechte ab oder begrenzt sie und
macht damit klar,daß die Selbstbegrenzung der Demokratie durch die
Anerkennung von Menschenrechten nicht mehr vollständig bejaht wird:
Rechte können auch demokratisch aufgehoben werden,wie eben zwei
Wölfe entscheiden können, daß es Schafsbraten zum Sonntag geben wird.
Zusatz
Faktisch wird heutzutage unter der Demokratie verstanden, daß das Wahlvolk aus untereinander konkurrierender demokratischen Parteien wählen darf, sodaß demokratische Regierungen durch die Parlamente dann gewählt werden. Die Vorherrschaft der demokratischen Parteien sei dann die Demokratie, die diese Vorherrschaft dann gegen die nichtdemokratischen Kräfte zu verteidigen haben. Dazu ist es dann auch erlaubt, demokratische Rechte einzuschränken zum Erhalt dieser Parteienherrschaft. Denn die demokratischen Parteien seien die Repräsentanz des Wahlvolkes.
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