Montag, 15. November 2021

Bedenkliches – antiliberale Gedanken

Bedenkliches – antiliberale Gedanken


Ein Dialog aus einem Zukunftsroman:

Dann werde ich nicht mehr leben.“

Das ist wahr, aber es ist auch bedeutungslos, denn jedes Wesen lebt in seinem Volk fort.“

Im Jahre 1972 konnte das W.Voltz in dem Roman: „Ein Mutant verschwindet“, Perry Rhodan Nr. 576, S.49 schreiben – wäre dieser Dialog noch in einem Roman des Jahres 2021 schreibbar? Diese Antwort gibt nun dem Leser zu denken, denn wie ist sie zu verstehen. Die Frage, ob diese Aussage wahr sei, soll erstmal ausgeklammert werden, denn wie sollte eine Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können, wenn sie nicht zuvor verstanden worden ist.

Wahr soll einerseits die Aussage sein, daß er nicht mehr lebt und zugleich soll wahr sein, daß er in seinem Volke fortlebt. Wie ist es denkbar, daß beide Aussagen wahr sein könnten, unabhängig davon, ob sie wirklich wahr sind? Zwischen dem Leben vor dem Tode und dem Fortleben nach dem Tode im eigenen Volke muß also irgendeine Differenz bestehen. Die simpelste Erklärung wäre wohl diese, daß dies Fortleben als ein Erinnertwerden im Volke interpretiert würde. „In meinem Herzen wohnt mein verstorbener Mann weiter“, kann etwa eine Witwe sagen. Es ist aber fraglich ob ein Erinnertwerden, wer denkt an mich auch nach meinem Tode, als ein Fortleben von mir zu qualifizieren ist. Diese Skepsis gilt auch gegenüber Äußerungen in Beerdigungsansprachen, wenn es da heißt, daß der Verstorbene in Gott, in Gottes Erinnern weiterlebt.

Für jedes liberale Denken ist so die Vorstellung eines Fortlebens von Verstorbenen in dem eigenen Volke unvorstellbar, wenn diese Vorstellung nicht als ein bloßes, daß man sich an den Verstorbenen weiter erinnert, gedacht wird. Denn es gibt in dieser Ideologie nur den Einzelmenschen, der zwar soziale Kontakte unterhält, am liebsten Kaufverträge, aber keine Kollektiventitäten, wie etwa ein Volk. Wenn aber ein Volk mehr ist oder etwas ganz anderes als die Summe der Einzelbeziehungen, dann könnte es in diesem Subjekt Volk auch ein Weiterleben des einzelnen Verstorbenen geben.

Man spricht gern von einem Mannschaftsgeist, einer Stimmung in einem Betrieb. Zur Veranschaulichung: Ein Fußballspielreporter: Die Mannschaft hat sich aufgegeben, jetzt wo sie 0:3 zurückliegt, sie glaubt nicht mehr an eine Wende, daß das Spiel noch umdrehbar ist. Einen neuen Spieler bringt der Trainer, aber kaum auf dem Spielfelde, bewegt er sich genauso wie die von Anfang an spielten: Die Stimmung der Mannschaft steckte ihn an, er wurde hineingenommen in diese resignative Mannschaftsstimmung. So eine Stimmung ist nun nicht einfach die Summe aller Einzelgestimmtheiten der Spieler, sondern etwas Transindividuelles, das doch nur in den Einzelspielern existiert als doch vom Einzelnen Verschiedenes.

Könnte es dann soetwas wie einen Volksgeist geben, der zwar nur in den Volkszugehörigen existiert, aber doch etwas von unserer individuellen Seele Verschiedenes? Lebte ein Verstorbener in so einem Volksgeist weiter, wäre er wirklich zwar verstorben, wäre aber als Seele eben doch noch in seinem Volke lebendig. Könnte es also ähnlich wie einen Mannschaftsgeist auch einen Volksgeist geben? Herder wird der Ausspruch zugeschrieben, daß die Völker Gedanken Gottes seien. Wäre es denkbar, daß ein Volk so auch mit einem Volksgeist ausgestattet erschaffen worden ist als einer Kollektividentität, aus der kein verstorbener Volkszugehöriger herausfällt?

Diese scheinbar so einfache Aussage stellt doch, wenn verstanden werden will, was da gelesen worden ist, uns vor beachtliche Denkprobleme. Es gibt keinen zwingenden Grund, hierbei der Ideologie des Liberalismus, fussend in dem Nominalismus zu folgen. Ein realistisches Denken wird stattdessen dem Begriff des Volkes ein reales Sein zusprechen und es nicht einfach entsubstantialiseren mit der These, so ein Begriff wäre nur ein Gedankending, das sich einer Abstraktion von vielen Menschen mit Ähnlichkeiten verdanke. Wenn aber das Volk eine Realie ist, die sein Begriff adäquat ausdrückt, dann ist auch ein Volksgeist denkbar, der sich vielleicht in den Gliedern eines Volkes individuiert, aber doch dabei ein Geist bleibt, in dem alle Glieder eines Volkes, auch die verstorbenen sind.

Das ist nun ein recht spekulativ daherkommender Gedankengang, aber ohne einen solchen scheint mir das in diesem Roman Ausgesagte nicht verstehbar zu sein. Ob er aber auch wahr ist, das steht und fällt wohl mit der Frage, ob trotz der Vormachtstellung eines nominalistischen Denkens einem begriffsrealistischen noch ein Wahrheitsgehalt zuschreibbar ist.

 

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