Freitag, 12. November 2021

Irritierendes: „Der Glaube kommt vom Hören“

Irritierendes: „Der Glaube kommt vom Hören“


Der Apostelfürst Paulus schreibt es so in seinem Römerbrief, 10,17.

Er schreibt hier vom Hören und nicht vom Lesen, weil er hier die Notwendigkeit der Missionspredigt explizieren möchte. Für die christliche Buchreligion läge ja das Lesen näher, aber zu den Zeiten des Paulus gab es das Neue Testament zum Lesen ja noch nicht.

Wenn der Glaube erstmal das Fürwahrhalten des Gehörten bzw Gelesenem ist, der dann auch das das Vertrauen auf das Fürwahrgehaltene ist, dann stellt diese paulinische Aussage uns vor ein beachtliches Problem: Wie kann denn ein Hörer das ihm Gepredigte als wahr erkennen? Nun könnte auch die Differenz von: als wahr erkennen und als für wahr halten betont werden. Beteuert ein Ehemann seiner Frau, er habe sie in der Kur nicht betrogen, dann kann sie ihm das glauben, sie vertraut dann darauf, daß er ihr die Wahrheit gesagt habe, also hält sie es für wahr,auch wenn sie nicht erkennen kann, ob diese Aussage wahr ist. Hätte sie ihn aber von einem Detektiven überwachen lassen, wüßte sie genau, daß sie nicht betrogen worden ist. Dann könnte sie, da sie es weiß, nicht mehr darauf vertrauen, daß diese Aussage ihres Mannes wahr sei, sie könnte sie nicht für wahr halten, wenn sie die Wahrheit dieser Aussage erkannt hat. Diese Differenz zwischen dem Glauben und dem die Wahrheit erkennen, bezeichnet der Apostelfürst durch die Differenz von dem Glauben und dem Schauen der Wahrheit.

Was läßt also einen Hörer das Gepredigte als für wahr halten? In unserer Medienwelt, in der wir überflutet werden mit Texten, die alle den Anspruch erheben, wahr zu sein, ist die Frage der Unterscheidbarkeit von für wahr Haltbaren und von für nicht wahr zu haltendem von eminenter Bedeutung.

Eine weitere Differenzierung könnte hier vielleicht weiterhelfen: Erkennt der Hörer die Qualität des Gepredigten als für wahr zu haltendes oder entscheidet er sich dazu,das Gehörte als für wahr zu halten? Erkennen oder Entscheiden (=Dezisionismus). (In der „Einführung in das Christentum“ von Kardinal Ratzinger ist eine solche Tendenz zum Dezisionismus erkennbar.)

Nun könnte eingewandt werden, daß ein solches Erkennen oder vielleicht auch Sichentscheiden eine Gabe Gottes selbst sei, daß nur durch das Wirken des Heiligen Geistes wir das Gehörte bzw Gelesene als Wahrheit erkennen könnten. Der Heilige Geist muß dann als so in uns einwirkend gedacht werden, daß wir zu etwas befähigt werden, was unser natürliches Vermögen übersteigt. Dem scholastischen Grundsatz gemäß, daß das Sein dem Tuen vorausgeht, daß im Tuen nur Möglichkeiten des menschlichen Seins realisiert werden können, ändert das Wirken des Heiligen Geistes unser Sein so, daß wir nun das Predigtwort als wahr halten können.

Hierbei ist dann klar zu distinguieren zwischen dem Verstehenkönnen der Predigt oder der biblischen Texte und dem sie als wahr bzw als für wahr zu Haltendes zu erkennen.

Den Prolog des Johannesevangeliums kann so jeder aufmerksam lesend verstehen, aber was führt dazu, ihn für wahr zu halten? Ein dezisionistischer Ansatz gibt darauf eine recht problematische Antwort:Durch meine Entscheidung allein wird mir dieser Text zum wahren. Alle Begründungen für diese Entscheidung wären dann nachträgliche, die immer schon diese Entscheidung voraussetzen. Das wäre dann vergleichbar mit dem Phänomen einer Sympathie auf den ersten Blick, wenn dann diese Sympathie sekundär begründet wird mit positiven Eigenschaften des so spontan als sympathisch Empfundenden, wenn aber der sympathische Blick erst diese Eigenschaften entdeckt.

Soll solch einem Dezisionismus entgangen werden, muß den biblischen Texten selbst ein erkennbarer Wahrheitsgehalt zugeschrieben werden, den dann aber der Mensch in seiner selbstverschuldeten Sündhaftigkeit nicht mehr erkennen kann.

In der nachkonziliaren Kirche scheint man für diesen Problem-komplex eine einfache Lösung gefunden zu haben: Nicht auf das gepredigte Wort käme es an sondern auf die Bezeugung der Wahrheit durch die zu praktizierende Nächstenliebe. In dieser Praxis erführen so Menschen die Liebe Gottes zu ihnen und das wäre ja schon die ganze Wahrheit der christlichen Religion. Nur wird dabei die Erfahrung, daß Menschen motiviert durch ihren christlichen Glauben die Nächstenliebe an ihnen praktizieren, verwechselt mit einer Erfahrung der Liebe Gottes selbst. Ein noch so sehr die Nächstenliebe praktizierende Kirche führt so noch keinen Menschen zur Liebe Gottes. Erfahrende Nächstenliebe ist eben nicht schon aus sich heraus transparent für die Liebe Gottes zu den Menschen.


 

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