(Ist es nicht gut, Gott nicht zu erkennen?)
Den „Der Wachturm“ in der Hand frug mich eine „Zeugin Jehovas“: „Wissen Sie, wo Gott ist?“ Zu ihrer Verblüffung respondierte ich: „Ja!“ und verwies auf die in der Nähe sich befindende Katholische Kirche. „In der Bibel kennen Sie sich ja aus. Der König Salomon sagte bei der Einweihung des Jerusalemer Tempels, daß hier Gott seinen Namen wohnen lasse, damit er hier für uns ansprechbar sei. So wohne jetzt im Neuen Bund Gott in den Tabernakeln der Kirche, dort wohnt sein Name, Jesus Christus. Gott begegnete Mose im Begegnungszelt und darum steht das Tabernakel, (=Zelt) in der Kirche auch im Zentrum als dem Wohnort Gottes auf Erden.“ Das war dieser Zeugin zu viel an Gottes Gegenwart; sie wollte ihn lieber suchen gehen!
Ein Polizist sieht einen Mann auf dem Boden sitzend den Boden im Lichte der Straßenlaterne absuchend. „Suchen Sie etwas?“ „Ja, meinen Schlüssel.“ „O, denn haben Sie hier verloren?“ „Nein, dahinten im Dunklen, aber im Dunklen kann ich ihn ja nicht wiederfinden, so suche ich ihn hier im Lichte der Straßen-beleuchtung.“
Erinnert uns die Vorstellung vom Menschen auf der Gottsuche nicht an diesen Schlüsselsucher? Suchen, um nicht zu finden? Die Prämisse der Suche nach Gott ist doch notwendigerweise, daß er uns abhanden gekommen ist. Wüßten wir gar nichts von Gott, könnten wir ja gar nicht nach ihm suchen, wir wüßten ja auch gar nicht, warum denn nach ihm gesucht werden sollte. Auch wäre es uns unmöglich, ihn zu finden, denn wie sollten wir erkennen, daß wir ihn gefunden haben, wüßten wir nichts von ihm. Jedes Finden ist nämlich ein Recognizieren und verlangt so eine Kenntnis des Gesuchten.
Einst wurde gewußt, wo Gott auffindbar ist. Er ist für uns erkenn- und erfahrbar in der hl. Schrift, darum ist sie ein heiliges Buch. Er ist für uns erkennbar in Jesus Christus und er ist so für uns erkennbar in der Kirche, denn sie ist, um die Gotteserkenntnis zu vermitteln. Angesichts so vieler Orte der Gotteserfahrung und Gotteserkenntnis stellt sich die Frage, warum soll noch nach Gott gesucht werden, wenn er uns da so nahe und offenbar ist. Die Antwort darauf lautet einfach,daß nicht mehr geglaubt wird, daß er wirklich da ist für uns, wo er für uns da ist. Jetzt erst muß Gott wieder gefunden werden.
Man wolle so zwar weiterhin Gott erkennen, traue aber den Orten bisheriger Gotteserkenntnis nicht mehr, könnte so die Diagnose des verloren gegangenen Gottes lauten. Es könnte aber auch sich ganz anders verhalten. Im Kontext des christlich-jüdischen Dialoges wird diese Geschichte gern erzählt: Ein Rabbi und ein christlicher Theologe sitzen gemeinsam im Himmel, als Gott zu ihnen kommt und sie frägt: Ich möchte Euch den Messias nun offenbaren! Seid Ihr bereit für diese Offenbarung?“ Nach kurzer Diskussion antworten Beide einmütig: „Wenn Du uns den Messias offenbaren wirst, wird er sich entweder erweisen, daß die Christen recht gehabt haben, daß Jesus der Messias sei oder daß die Juden recht gehabt haben, daß Jesus nicht der Messias sei. Jetzt leben wir in Eintracht friedlich miteinander. Wenn aber offenbar wird, wer von uns Beíden recht und wer unrecht hat, dann wird dies gute Miteinander nicht mehr möglich sein. Darum bitten wir einmütig: Offenbare uns nicht, was wahr ist!“
Dies Nein kann als das Basiscredo postmodernen Denkens verstanden werden. Eine erkannte Wahrheit zerstört das friedliche Miteinander unendlich vieler Meinungen, weil nun die wahre Erkenntnis sich abhebt von den vielen Meinungen und diese dann alle diskreditiert. Solange es einen von einer Religion erkannten Gott gibt, könne es kein friedliches Miteinander aller Religionen geben. Denn dieser wahrhaft erkannte Gott diskriminiert alle anderen Gotteserkenntnisse der anderen Religionen. Die Gotteserkenntnisse der anderen Religionen müssen dann gegenüber der Gotteserkenntnis der wahren Religion defizitär oder gar falsch sein.
Nach den innerchristlichen Religionskriegen des 17.Jahrhundertes , in der jede christliche Confession für sich allein den Anspruch erhob, der alleinige Ort der wahren Gotteserkenntnis zu sein, domestizierte die philosophische Aufklärung die Theologie durch die „Erkenntnis“, daß im Prinzip das vernünftige Denken allein der Ort der wahren Gotteserkenntnis sei, die in der natürlichen Religion sich expliziere, sodaß alle von den Confessionen herangezogenen Orte rechter Gotteserkenntnis entwertet wurden. Sie könnten alle nur als wahr gelten, wenn sie mit der philosophischen, gleich natürlichen Gotteserkenntnis übereinstimmten.
Was passiert aber nun, wenn die Vernunft nun selbt auf die Anklagebank gesetzt wird, daß sie durch ihr Unterscheiden von wahr und unwahr die Freiheit beseitige? Wenn es nur einen wahren Lebensstil gäbe, den durch die Vernunft erkannten, wie könnte da noch ein Mensch anders als so vernünftig leben dürfen. Rechtfertigten sich nicht alle totalitären Staaten mit der von ihnen erkannten Wahrheit, die alles andere zu unterdrücken rechtfertige.
Wahrheit und Gott dürfen so nur noch Ziele einer Suchtätigkeit sein, die aber nie zu ihrem Ziele führen dürfe. Denn eine erkannte Wahrheit sei das Ende der unbegrenzten Pluralität des Meinens.
Religionen dürfen so nur noch Suchbewegungen nach Gott, nach der Wahrheit sein, die sie aber nie erkennen, damit immer alle sich als Suche ohne Erkenntnis wechselseitig anerkennen können. Damit das möglich ist, müssen alle Orte der Gotteserkenntnis relativiert werden. Die hl. Schrift teilt uns dann eben nur Meinungen über Gott wieder, die sehr zeitbedingt sind. Irgendwie teilen dann auch alle Bücher der Religionen etwas über Gott mit und doch auch nicht. Denn ein Gott, der erkennbar und erkannt wird, wäre doch inkompatibel für das Projekt der postmodernen Kultur, in der es keine absolute Wahrheitserkenntnis mehr geben darf. So muß Gott uns verloren gehen, damit wir ihn im interreligiösen Dialog suchend nie finden werden, um so friedlich miteinander zu leben.
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