Sonntag, 2. Januar 2022

Menschlich -Allzumenschliches oder über den von sich Entfremdeten

(Anmmerkungen zum Gerede von der "heilen Welt", von der man nichts hören will- oder was ist Realismus)


Seine Frau war eine Durchschnittsnatur,die seine Arbeit nur nach dem klingenden Erfolg einschätzen konnte.“ So wird in dem Roman: „Die verschleierte Frau“ von Hedwig Courths Mahler über die Ehefrau eines Künstlers geurteilt. (5.Kapitel)Diese Autorin steht für „Heile Welt“ und „Kitsch“, aber wie paßt dazu eine solche Charakterisierung des Durchschnittsmenschen. Sicher, im Kontrast dazu wird die neu eingestellte Assistentin dieses Künstlers, Fräulein Astrid Holm so charakterisiert: „das warmherzige Verstehen einer feinfühligen Frauenseele für seinen Beruf, für sein geistiges und künstlerisches Schaffen“zeichnet sie aus.

Wo die eine nur den Gelderfolg sieht, auf den es in ihrem Urteil allein ankommt, sieht die andere das künstlerische Schaffen als einen Wert an sich. Könnte man nicht urteilen, daß hier das ganze Problem der Kunst in der Gegenwart vor Augen geführt wird? In einer Welt, in der alles als Ware angeboten wird, alles zur Ware geworden ist, eben nur noch der zu erwartende pecunäre Erfolg zählt. Als außerordentliche Menschen fungieren hier also der Künstler und seine die Kunst wahrnehmen Könnende. Es ist wohl kein Zufall, daß in der Romanwelt dieser Autorin die Rolle des Kunstwertschätzers eine junge Frau einnimmt. Sie präsentiert das, was in den Romanen dieser Autorin die Frau im Positivem auszeichnet: das warmherzige Verstehen und das Feinfühlige. Beachtlich ist dabei besonders die erste Formulierung, verbindet sich hierin doch das cognitive Moment des Verstehens mit dem affektiven der Warmherzigkeit. Aus dem Denken wie aus dem Fühlen zusammen ergibt sich so die angemessene Haltung den Kunstwerken gegenüber. Die Ehefrau des Künstlers dagegen präsentiert dann die rein verstandesgemäße Haltung, die alles und somit auch die Kunstwerke nach ihrem Verkaufswert beurteilt. Der Wert von allem ist eben ihr Verkaufswert.

Ist das die Durchschnittsnatur des heutigen Menschen? Ist dann gar dieser Durchschnittsmensch der Mensch, so wie er immer war oder wie er immer schon angelegt war und nun sich realisiert? In den Romanen dieser ach so schrecklichen Liebesromanschriftstellerin ist der kritische Tonfall diesen Durchschnittsnaturen gegenüber nicht überhörbar. Das Romantische der Romane ist dann ihr Ausgang, daß sich eben die Nichtdurchschnittlichen durchsetzen, weil sie das wahre Menschsein präsentieren. Realistisch sind dagegen die Künstlergestalten eines Balzacs, die sich der Welt des Mamondienstes einpassend unterwerfen. Sein Realismus ist der der Desillusionierung.

Wenn das reale Leben so auch ist, was spricht denn dagegen, daß wenigstens in der Literatur es anders ausgeht? Adorno schreibt als Kunstkritiker in seiner Ästhetik eine gediegene Kritik der Apotheose des Realitätsprinzipes, das jede Nichtanpassung an die Realität als Flucht vor ihr diffamiert: Die Anpassung an die Realität würde so zum „summum bonum“ avancieren. Aber: „Die Realität liefert zu vielen realen Grund, sie zu fliehen, als daß eine Entrüstung über Flucht anstände“. Ästhetische Theorie, stw 2, 1973, S.21. Unvorstellbar, daß Adorno Romane von Courths Maler läste, aber ihre Werke einfach als Flucht aus der Realität abzuqualifizieren, ist auch nicht im Geiste dieses Ästheten.

Eines muß ja kritisch zum Realitätsprinzip angemerkt werden: Dies Prinzip verabsolutiert eine bestimmte geschichtliche gewordene Wirklichkeit zu der Realität schlechthin und verkennt so ihren kontingenten Charakter. Das, was und wie es jetzt ist, ist eben nur die Realisierung einer von vielen Möglichkeiten. Der Durchschnittsmensch ist eben nicht einfach identisch zu setzen mit dem Wesen, der Natur des Menschen. Erst die völlige Durchformung einer Gesellschaft nach den Prinzipien der Geldwirtschaft bringt diesen Durchschnittsmenschen hervor, der alles nach dem klingenden Erfolg einschätzt. Der Mensch des warmherzigen Verstehens ist ebenso eine menschliche Möglichkeit, nur daß dieser Menschentyp in unserer jetzigen Welt auf wenig Verständnis und Gegenliebe stoßen wird. Er paßt nicht in die moderne Welt. Unrealistisch ist es aber, den Menschen auf das zu reduzieren, was er heutzutage mehrheitlich ist. Aber die Kritik an Romanen, die dem Leser eine schöne heile Welt vorspielen, verlangt eben, daß nur noch unsere jetzige Lebenswelt mit ihren so gearteten Menschen in der Kunst vorkommen dürfe.

Der „coole Typ“ ist so der Antityp zum warmherzigen Verstehensmensch, der Egozentriker, dem jeder Mitmensch nur ein Mitmensch ist, wenn er ihm Nutzen bringt, der höchstens noch gerechte Beziehungen kennt als beidseitig nutzbringende.Vielleicht wirken deshalb die Frauengestalten der Romane Courths Mahlers so befremdlich, weil nun die Frau im Sinne der E- mann- zipation keine warmherzig Verstehende mehr sein wollen sondern auch nur noch cool sein wollen. Den Kristilationspunkt dieses Typus von Mensch zeichnet uns aber dieser Roman auch auf: die Durchschnittsnatur, die alles nach dem pecunären Nutzen beurteilt. Aber menschlich – allzumenschlich ist das gewiß nicht. Hier steht eher den von sich selbst entfremdete Mensch vor uns.

 

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