Donnerstag, 27. Januar 2022

Kardinal Ratzinger: Gibt es eine vor- und eine nachkonziliare Kirche?

Es gibt keine vor oder nach konziliare Kirche: Es gibt nur eine und eine einzige Kirche“


 

So sagt es Joseph Kardinal Ratzinger in: „Zur Lage des Glaubens“, 1985, S.33. Stellt das 2.Vaticanum einen Bruch mit der vorkonziliaren Kirche da oder steht es in Kontinuität mit der Kirche. Das ist die Disputationsfrage, zu der so Ratzinger als Kardinal Stellung bezog. Zwei Lager in der Kirche vertreten vehement die These der Diskontinuität, das modernistische Reformlager und das traditionalistische Lager: Die Lehre des Reformkonziles widerspräche in wesentlichen Punkten der Tradition. Die traditionalistische Deutung als Bruch verneint so die vollständige Bejahbarkeit der Konzilstexte, die modernistische verurteilt stattdessen die Lehren der vorkonziliaren Kirche, die durch diese Reform reprobiert worden seien. Impliziet nehmen so Beide einen genuin lutherischen Standpunkt ein, den, daß Konzilien irren können, nur daß in der traditionalistischen Sicht Irrtümer in die Texte des Reformkonziles sich eingeschlichen hätten, wohingegen in der modernistischen Sicht große Teile der Tradition als Irrwege abqualifiziert werden, oder gemäßigter als: Früher konnte die Kirche das so wohl sagen, jetzt aber nicht mehr.

 

Papst Franziskus, in dieser Causa sich treu bleibend vertrat und vertrit die These der Kontinuität, daß das 2.Vaticanum keinen Epochenbruch in der Kirchengeschichte signaliiert, sodß von einer Vor- und einer Nach-Konziliaren Kirche zu sprechen sei.

Spontan wird wohl jeder urteilen, daß das Konzil, was es auch gewesen sein mag, das gewesen ist und als solches dann richtig zu erkennen sei. Das in der Geschichte sich Ereignethabende sei eben etwas Objektives, das dann in der Kirchengeschichtsforschung in seiner Objektivität zu erfassen sei. Wie nun aber, wenn die Ereignisse in der Geschichte durch den weiteren Verlauf verändert werden können? Ein ganz triviales Beispiel möge das veranschaulichen. Liegt eine Fußballmannschaft in der 70.Spielminute 3:0 voran und erleidet in der 71. Minute einen Gegentreffer und gewinnt dann das Fußballspiel, dann war das Gegentor der Ehrentreffer der unterlegenen Mannschaft, verliert sie aber dann 3:4, dann war das Gegentor die Wende im Spiel. Ob das Gegentor also ein Ehrentreffer oder die Wende im Spiel markiert, entscheidet der weitere Spielverlauf. Erst retrospektiv, vom Ende des Spieles her kann dies Gegentor adäquat begriffen werden.

Wird nun diese Überlegung auf die Geschichtsschreibung appliziert, ergibt das, daß das, was ein Ereignis in der Geschichte wirklich war, erst durch das Ende der Geschichte bestimmt wird. Wenn die Geschichte als Summe von kontingenten Ereignissen verstanden wird, kann so mitten in ihr gar nicht erkannt werden, was das Geschichtsereignis war, weil es durch die Zukunft verändert werden kann. Zizek verdeutlicht dies Phänomen gern anhand der russischen Oktoberrevolution, die zuerst den Einstieg in eine neue Epoche markierte und dann nach ihrem endgültigen Scheitern 1989f zu einem Irrweg in der Geschichte wurde.

Das übertragen auf die Deutung des Reformkonziles hieße, daß es noch nicht feststeht, ob es ein Konzil der Kontinuität oder des Bruches ist, weil die zukünftige Entwickelung darüber erst entscheiden wird.

Rein theologisch ist Kardinal Ratzinger im recht, denn die katholische Auslegungsnorm für Konzilstexte ist, daß alle Texte als organische Einheit zu lesen sind. In der Kirche kann es keine die Identität der Kirche zerbrechenden Ereignisse geben. Somit ist auch das 2.Vaticanum als in der Kontinuität mit der Lehrtradition der Kirche sich befindend zu interpretieren. Somit kann es nicht eine Vorkonzils- und eine davon abzugrenzende Nachkonziliskirche geben. Weder darf so im Namen der Lehre der Vorkonzilskirche das 2.Vaticanum verurteilt werden noch darf im Namen des 2.Vaticanums die Lehre der Vorkonzilskirche dysqualifiziert werden.


Aber die kirchliche Realität widerstreitet diese normativen Bestimmung des Verhältnisses vom 2. Vaticanum zur vorkonziliaren Kirche. Das vorherrschende Narrativ erzählt einerseits eine Geschichte vom Abfall der Katholischen Kirche vom Urchristentum und seiner Umkehr zur Wahrheit seit diesem Konzil, oder deutet die Kirchengeschichte evolutionär als ein beständiges Fortschreiten zu immer größerer Klarheit, so daß jede gestern noch als wahr geltende Lehre heute durch eine bessere überholt und so veraltet wird. Alles Neue gälte so schon a priori als besser als das Jetzige und Gestrige, so verurteilt der Kardinal diesen kirchlichen Fort-schrittsglauben.(S.32)

Eines muß aber gesagt werden: Setzte sich die Reformagenda des „Synodalen Irrweges“ in der ganzen Katholischen Kirche durch, dann müßte gegen Papst Benedikts Deutung des Reformkonziles geurteilt werden, daß dies Konzil der Gründungsakt einer neuen „Katholischen Kirche“ gewesen sei, die sich aus der Kontinuität mit der Katholischen Kirche heraussprengt. So wird erst die Zukunft dieses Konzil zu dem machen, was es war. Was für eine Paradoxie!


Zusatz:

Was ermöglicht das Schreiben einer Biographie? Daß das Subjekt, von dem das Geschriebene erzählt, als ein sich identisch Durchhaltendes präsumiert wird. Gäbe es dies Ich nicht, von dem aktivische und passivische Aussagen gemacht werden in einer Biographie, könnte es keine Biographie geben und auch keine autobiographische Rede: Einst war ich das (ein Kind), jetzt bin ich dies (ein Erwachsener) und ich werde ein...sein, wenn ich das noch erleben werde. Das gilt so auch für die Kirchen-geschichtsschreibung. Die Kirche muß als das sich als identisch durchhaltendes Subjekt gedacht werden, damit dann von ihr im Laufe ihrer Geschichte ein Wandel ausgesagt werden kann, selbst der einer radicalen Diskontinuität. Selbst wenn in religiösen Autobiogrphien noch so vehement die Differenz vom alten Leben in Adam und dem neuen Leben in Christo beschrieben wird, es bleibt immer die Identität des Iches, ich einst als in Sünden Lebender und ich jetzt als im Glauben Lebender. So hat Kardinal Ratzingers Aussage, daß es nur die eine Kirche gäbe in allem Wandel der Zeit hindurch, doch mehr Wahrheit als sie dem Kardinal selbst bewußt war in dieser Aussage.


 

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