Montag, 31. Januar 2022

Natur statt Gott - oder eine breitenwirksame Religionskritik

Natur statt Gott -oder eine breitenwirksame Religionskritik


Dort, wo man es gar nicht vermutet hat, stößt der Leser auf diesen Typ der Religionskritik nämlich in dem wirklich gut geschriebenen Unterhaltungs-roman: „Die zweite Frau“ von E.Marlitt. Sie publizierte ihre Romane in der Zeitschrift: „Die Gartenlaube“ -spontan assoziiert man damit „Heile Welt“ und für Frauen eben halt geschrieben. Dank ihrer dort in Fortsetzungsform publizierten Romane konnte „Die Gartenlaube“ ihre Auflage von 100.000 auf 375.000 steigern, für das 19 Jahrhundert eine beachtliche Auflage. Wer auf „Wikipedia“ sich über diese Autorin kundig macht, wird erstaunt feststellen, daß sie im Gegensatz zu Hedwig Courths Mahler, der Königin des Liebesromanes sehr wohlwollend rezensiert wird. Aber hier ist nun nicht der rechte Ort dafür, diese Schriftstellerin zu würdigen. Es soll nur auf einen Aspeckt wert gelegt werden, den der Religionskritik und zwar ein Typus der leider als sehr effektiv sich erweisen sollte.

Im 12. Kapitel findet sich eine Kontroverse über die Religion, welche Stellung der Mann und die Frau dazu einnähme. Der Mann (des 19. Jahrhundertes) wird dabei so in seiner Haltung zur Religion charakterisiert:

Mögen aufrührerische Männerköpfe ihr bißchen Wissen an die Stelle der Heiligen setzen – es ist traurig genug, daß es geschehen darf – wir Frauen aber sollen deshalb doppelt glauben und uns niemals verführen lassen, zu grübeln.“

Dies kurze Votum ist nun aber mehr als bedenkenswert. Es gäbe zwei Sphären, die des Mannes und die der Frau. Die männliche Sphäre sei nun charakterisiert durch den Kopf, das Wissen und das Grübeln. Dieser Primat des Cognitiven trete an Stelle des Heiligen, der Religion. Als aufrührerisch wider die Religion wird dieser Primat des Cognitiven verurteilt und der Frau dann die Religion positiv zugeordnet: Sie soll glauben und sich nicht zum Grübeln verführen lassen. Wo das Denken als Grübeln verunglimpft wird und dem Glauben antithetisch gegenübergestellt wird, da wird die Religion als etwas Gefühlvolles bestimmt. Der (aufrührerische) Mann vertritt das Denken und Wissen, die Frau das Gefühl und den Glauben. Die christliche Religion wird so dem Lebensraum der Frau zugeordnet: zu Kinder und Küche gesellt sich das 3.K, die Kirche, wohingegen der Mann in dem Raum der Ökonomie und der Politik und der Wissenschaft sozusagen religionslos lebt. Wer in einem beliebigen Gottesdienst sich die Anzahl der weiblichen und männlichen Gottesdienstbesucher anschaut, wird selbst im 21. Jahrhundert diese geschlechtsspezifische Differenz wahrnehmen können.

Aber dies Votum evoziert nun eine Kritik dieser Rollenzuschreibung der Frau: So würde ja die Frau „dem Aberglauben, dem Glauben an eine spukhafte Geisterwelt, an die Gewalt des Satans“ ausgeliefert. Stattdessen bekennt diese Frau dann: „Dieses Hineinragen einer übersinnlichen Welt in die Wirklichkeit leugne ich allerdings“. Es gäbe die Natur. Gottes wahres Wunder sei die Natur: „ein ganzer Wolkenhimmel voll Engelsköpfen versinkt neben der treibenden Wunderkraft, die einen kleinen, bunten Blumenkelch aus der Erde steigen läßt.“ „Und nun dichtet man dem weisen Schöpfer willkürliche Eingriffe in seine ewigen Gesetze an“.

Ist nun Gott noch etwas von dieser treibenden Wunderkraft und den ewigen Gesetzen der Natur Verschiedenes? Vielleicht ist das in diesem Antivotum noch eine Differenz zwischen Gott und der Natur gedacht, aber dann kann oder will dieser Gott dann nicht mehr in die von ihm erschaffene Natur einwirken. Ein pantheistisches Verstehen der Natur bahnt sich darin schon als als der Vorstufe eines reinen Atheismus. Aber dieser von Feuerbach und Marx propagierte Atheismus war wohl zumindest im Bürgertum des 19. Jahrhundertes weniger erfolgreich als der Glaube an die Natur.

Das Natürliche wird zu dem Guten, der Mensch, der Mann der Zivilisation dagegen wird zum bösen Naturzerstörer. Nicht gilt es nun, kultiviert oder gar manierlich zu verhalten, man solle natürlich authentisch sich geben. Der christliche Gott kann in dieser Naturgläubigkeit keinen sinnvollen Platz mehr einnehmen. Lautete die Parole der Aufklärung noch: die natürlich-vernünftige Religion statt des Kirchenglaubens so gilt nun: Die Natur ist der Inbegriff allen guten Lebens, und so bedarf es keines Glaubens und keiner Religion mehr, denn die fortschreitenden Naturerkenntnisse erschließen uns die wahren Wunder dieser Welt, die in ihr waltende Naturkraft und ihre ewigen Gesetze.So sich mit der Natur zu beschäftigen, sie so zu erleben, das sei nun die Mission der Frau, die sich damit aus dem christlichen Aberglauben emanzipiere. Der Mann dagegen scheint der Homo faber (Max Frisch) zu bleiben.

So ein naturreligiöses Konzept scheint nun in den Zeiten der Umweltschutzproblematik zusehens an Plausibilität zu gewinnen. Es sei nur an die Pachamamaverehrung auf der Amazonassynode durch Papst Franziskus erinnert. Eine Resakrialisierung der Natur nach der Entzauberung der Welt durch die Aufklärung (Max Weber) liegt so in der Luft. Schon in einem populären Unterhaltungsroman des 19. Jahrhundertes finden sich die Grundzüge einer solchen Apotheose der Natur! Die Schöpfung Gottes wird vergöttlicht als die ewige Natur und der Schöpfergott verschwindet ganz in dieser verklärten Natur, die in keinster weise einen Erlöser bedarf, denn sie selbst ist ja schon das an sich Gute. So bedarf es auch keiner Erlösung vom Tode mehr, keinen Überwinder des Todesschicksales, weil auch der Tod etwas Natürliches und somit Gutes sei. Dazu paßt denn auch, daß die Gesundheit als das höchste Gut angesehen wird.

 

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