Montag, 17. Januar 2022

Was bleibt von der Geschichte, wenn es keine Heilsgeschichte mehr ist, weil Gott abhanden kam?

Kann es Geschichte ohne Gott geben? Was bleibt von der Geschichte, wenn es keine Heilsgeschichte mehr ist?


Können wir uns ein >heidnisches<,nichthistorisches Universum vorstellen,eine Welt, die vollkommen außerhalb dieses Paradigmas existiert, in der die (historische)Zeit ohne teleologische Krümmung einfach dahinfließt, in der die Idee eines gefährlichen Augenblicks der Entscheidung (Walter Benjamin)>Jetztzeit, aus der eine >leuchtende Zukunft< hervorgehen wird, die die Vergangenheit selbst erlösen wird, schlicht bedeutungslos ist?“Zizek, Absoluter Gegenstoß, 2016,S.481.

Mit dem Paradigma meint Zizek das „Hölderlin-Paradigma“: „Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch“. „Der gegenwärtige Augenblick erscheint als Tiefpunkt eines langen Prozesses der historischen Dekadenz (die Flucht der Götter, Entfremdung...)aber die Gefahr ded katastrophalen Verlusts eröffnet auch die Möglichkeit der Kehre“. Erst durch dieses Paradigma kann ein Augenblick der Geschichte zu einem Kairos werden, wo alles darauf ankommt, daß jetzt richtig entschieden wird.Für den vom Pietismus geprägten Bultmann war dieser Kairos so der Augenblick der Konfrontation mit dem Wort Gottes, wo der Hörer sich für oder gegen den Glauben entscheidet.Dies ist ein Element seines Entmythologisierungsvorhabens, daß die christliche Heilsgeschichte so exentialisiert wird. Die christliche Heilsgeschichte bildet ja den Hintergrund für das Hölderlinparadigma. Die große Erzählung von der Erschaffung des Menschen, von seinem Fall, seine Abfallsgeschichte bis zu dem Augenblick der Menschwerdung Gottes, der Wende zum Heil, die ihren krönenden Abschluß im Reich Gottes finden wird.Als „teleologische Krümmung“ deutet Zizek diese Zukunft des Reich Gottes als eine Rückkehr zum paradiesischen Ursprung. Anthroplogisch formuliert: Der sich von sich selbst entfremdete Mensch kommt durch die Aufhebung seiner Entfremdung zu sich selbst, wobei dann diese Gesamtbewegung als die der Entwickelung des Menschen gedeutet wird.So konstituiert sich die Geschichte des Menschen als eine in sich sinnvolle, die als solche auch erzählbar ist.Das Ganze der Geschichte mit ihren außergewöhnlichen Augenblicken des Entscheidens entsteht so erst durch so ein Paradigma, daß die vielen Einzelstücke zu einer Geschichte synthetisiert,Das Fortschrittsparadigma als säkularisierte Version der christlichen Heilsgeschichte ist so das dominierende der Moderne geworden.Noch in den innerkatholischen Reformdebatten ist dieses Fortschrittsparadigma präsent in der Forderung, die Kirche müsse zeitgemäß sein. Die Zeit wird dabei als ein auf ein Ziel hinströmender Fluß erachtet und die Kirche müsse mit dem Strom schwimmen, den er sei die unaufhaltsame Vorwärtsbewegung des Fortschrittes. So hieß das Zentralorgan der SPD ja auch: „Vorwärts“, ganz diesem Paradigma verhaftet.

Was bleibt aber von der Geschichte übrig, entzieht man ihr dieses Paradigma und was bedeutet es, wenn es dann auch keine Kairosse,Augenblicke, wo Entscheidungen zu treffen sind, die die Vergangenheit und die Zukunft ganz neu werden läßt, gibt?- Walter Benjamin spricht da von der Erlösung der Vergangenheit. Zizek gibt eine klare Antwort: Die Geschichte wird „bedeutungslos“, ja einfach sinnlos. Nun ist aber eine bedeutungslose bzw sinnlose Geschichte überhaupt keine Geschichte mehr.

Rudolf Peter Sieferle versucht eine dann noch mögliche Geschichtsschreibung zu skizzieren: „Wäre es da nicht plausibel,wenn nach dem Obsoletwerden der Geschichtsphilosophie auf den antiken Gedanken einer ungeordneten Fluktuation zurückgegriffen würde, unter Verzicht auf die Annahme kosmologischer Konstanz? Also eine erneute Renaissance,jedoch als neuartiges Amalgam zweier Figuren: irreversible Prozesse ohne Bewertung im Sinne von Fortschritt oder Niedergang?“ Finis Germania, 2017, S.99. Allerdings müßte mit Zizek hinter dem Begriff der irreversiblen Prozesse ein Fragezeichen gesetzt werden, denn die Gegenwart kann die Vergangenheit ändern. Nach Zizek war die Oktoberrevolution ein Aufbruch in neue Epoche der Menschheitsgeschichte und wurde durch ihr endgültiges Scheitern 1989f zu einem Irrweg in der Geschichte. Einfacher: Angesichts des Todes eines Drogenabhängigen wird seine erste Heroinspritze zum ersten Schritt zu seinem Drogentod, was sie aber vor dem Ereignis dieses Todes nicht war. Die Vorstellung einer ungeordneten Fluktation scheint zudem ja noch an der Vorstellung festzuhalten, daß es einzelne Sinnabschnitte gäbe, daß aber die Reihe der aufeinander folgenden Sinnabschnitte keinen Gesamtsinn mehr habe. Aber was konstituiert dann diese Einzelabschnitte noch zu sinnvollen Einheiten? Man kann sich leicht ein Buch vorstellen, in dem viele Kurzgeschichten erzählt werden, die jede für sich gelesen eine sinnvolle Erzählung wäre, die aber alle zusammen keinen Sinn ergeben, weil sie völlig willkürlich aneinander gereiht wurden. Fraglich ist aber, ob so die Gesamtgeschichte betrachtet werden kann, als eine Abfolge von in sich selbst sinnvollen Abschnitten. Oswald Spengler versucht so aber die Kulturgeschichte der Menscheit zu rekonstruieren, indem er einzelne für sich monadisch existierende Kulturen voraussetzt, die als solche in sich sinnhaft sind, aber wo es keinen Gesamtsinn für das Ganze der Kulturen mehr gibt. Siehe: Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes.

Daß die Geschichte und dann auch alle Abschnitte in ihr bedeutungs- und sinnlos werden, scheint so doch wahrscheinlicher, trotz Spenglers großem Versuch. Betrachtet man die Geschichtsphilosophie als säkularisierte Version der christlichen Heilsgeschichte, die nur so lange leben konnte, wie sie ihre Lebenskraft durch ihre Absetzung von dieser christlichen Quelle bezog, ist zu vermuten, daß die Darstellung der Geschichte als etwas in sich Sinnvolles und Bedeutungsvolles nur durch ein theologisches Paradigma möglich ist, das der großen christlichen Entwickelungserzählung von der Erschaffung der Welt bis zu ihrer neuen Wiederherstellung im Reiche Gottes. 

 

Corollarium 1

Wenn es keine sinnvolle Geschichte mehr geben könnte, wie sollte dann ein Einzelmensch in seiner Geschichte noch etwas Bedeutungsvolles und Sinnvolles sein können?  


 

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