Dienstag, 11. Januar 2022

Eine vergessene Seite Gottes, der verborgene Gott?

Eine vergessene Seite Gottes, der verborgene Gott?


Den Ausgangspunkt über die Reflexionen über den „verborgenen Gott“ bildet Jesajas Aussage: „Vere tu es Deus absconditus,Deus Israel salvator“= Wahrlich, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels, Heiland 45,15. Diese Formulierung ist schon in sich selbst paradox: Wie kann dieser Gott einerseits „verborgen“ sein, wenn er andererseits bekannt ist als der Gott Israels, daß er der Heiland Israels ist? Ist er denn dann noch ein „verborgener“, wenn er der Retter Israels ist?

Zu einem Zentralbegriff des theologischen Diskurses wurde er aber erst bei Luther in seiner theologischen Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdamm, kumulierend in Luthers Schrift:“De servo arbitrio“. Diesem Begriff war aber eine lange Karriere nicht vergönnt und ist heutzutge ganz aus dem theologischen Diskurs eskamotiert.

Nahe läge nun doch dies Verständnis, daß Gott sich in Jesus Christus offenbart habe und daß so zwischen dem verborgenen Gott, der sich (noch) nicht offenbart habenden und dem sich offenbarten zu distinguieren wäre. Aber Gott ist ja auch für die Vernunft erkennbar. Die Lehre von der natürlichen im Gegensatz zur übernatürlichen Gotteserkenntnis entfaltet dann ja in der traditionellen Theologie diese Gotteserkenntnis. So kann Gott auch im Forum der Vernunft gar nicht als völlig unbekannt, als gänzlich verborgen angesehen werden.

Wenn nun aber ein Atheist urteilt, Gott gibt es nicht, dann muß er ja ein Wissen von Gott haben, damit er urteilen kann, daß dies mit Gott Bezeichnete es nicht objektiv gäbe, sondern Gott nur ein Phantasieprodukt des Menschen sei.Wäre Gott dem Atheisten völlig unbekannt, völlig verborgen, wie sollte er dann urteilen können, daß nichts von allem, was ist, Gott ist?

Wo verortet Luther nun den „deus absconditus“ theologisch ein? Jetzt wird es verwirrend. (Auf Zitate aus der Schrift: De servo arbitrio muß leider verzichtet werden, da dieser Text mir jetzt nicht zugänglich ist- meine immer zu kleine Bibliothek)

Der erste Schritt: Gott wird im Forum der Vernunft erkannt als der Gott, der allmächtig die Welt regiert. Die göttliche Allmacht soll nun nach Luther nicht eine Potentialität bezeichnen, daß Gott alles könnte, was er will (und es muß unbedingt hinzugefügt werden, daß er auch kann, was er nicht will), sondern eine Aktualität. Allmächtig wirkt Gottes alles, was sich in seiner Schöpfung ereignet. So wird der Begriff der göttlichen Zulassung negiert, Gott läßt nichts zu, denn er wirkt alles in allem. Damit bekommen alle Geschöpfe den ontologischen Status von Instrumenten, durch die Gott selbst wirkt. Luther präzidiert diese Aussage dann noch so, daß die geschaffenen Kreaturen nicht mitwirken sondern daß Gott allein wirkt. Daraus ergibt sich nun denknotwendig, daß, wie alles Gute so auch alles Böse durch den einen Gott gewirkt wird. Gott wirkt das Gute wie das Böse. Das soll nun die Gotteserkenntnis im Forum der Vernunft sein.

Der Gott, wie er sich uns nun in Jesus Christus offenbart hat, daß er der Erlösergott ist, ist nun völlig inkompatibel mit dem lutherischen Gott der natürlichen Gotteserkenntnis. Der Deus revelata, der sich uns offenbart habende Gott, ist unmöglich in dem Gott der natürlichen Gotteserkenntnis wiedererkennbar. Weil der Gott Jesu Christi nicht in diesem Gott der natürlichen Gotteserkenntnis recognizierbar ist, wird uns der natürlich erkannte Gott zum „deus absconditus“. Es kann also nur den „verborgenen Gott“ geben, weil uns der offenbarte bekannt ist! Er ist das Produkt der Offenbrung Gottes.

Einfacher gesagt: Der Gott der Liebe ist nicht in Einklang zu bringen mit dem Gott, von dem wir glauben, daß er die Welt allmächtig regiert.Weil wir den Gott der Liebe nicht in dem Gott, der diese Welt regiert nicht recognizieren können, wird uns der Weltenherrschergott zum „deus absconditus“.

Dieser Begriff soll daran festhalten, daß Gott als Allmächtiger diese Welt wirklich regiert und hält gleichzeitig daran fest, daß wir die Welt, so wie wir sie kennen und erleiden, nicht in Einklang bringen können mit dem Gott, so wie Jesus uns ihn offenbart.Ein bequemer und wohl zu kommoder Weg ist nun der, Gott ganz von der Welt, so wie sie ist, zu distanzieren, Gott also auf den Appell: „Tuet das Gute“ reduzieren, um dann einfach zu konstatieren, daß die Menschen nicht das von Gott Gewollte, das Gute eben vollbringen wollen. Aber dann regiert Gott nicht mehr, er fungiert dann nur noch als ein Zuschaugott, sodaß wir Menschen in dieser Welt so leben müssen, als gäbe es ihn gar nicht. Dieser Gott ohne Weltbezug findet dann seine genaue Entsprechung in der Welt ohne Gott.

Ich erinnere mich noch gut an eine gediegene gnesiolutheranische Predigt über diesen „Deus absconditus“, in der den Predigthörern das Verhältnis des „Deus absconditus“ zum „Deus revelatus“, so wie Jesus uns Gott offenbarte, an Hand des Kampfes Jakobs mit dem Gott Jabbok veranschaulicht wurde: Der Jabbok symbolisiere den „verborgenen Gott“, der Jakob überfällt und töten will. Jakob stelle sich dem entgegen in seinem festen Glauben an den gnädigen Gott, dem „deus revelatus“. „Du bist doch ein gnädiger Gott!“Gott läßt sich von diesem Vertrauensglauben „besiegen“ und er seget dann Jakob,denn er vordem noch töten wollte. (1.Mose32, 23-33)

Der Lutherexegese ist es nie gelungen, distinkt das Verhältnis vom „deus absconditus“ und dem „deus revelatus“ in den Schriften Luthers distinkt zu erfassen. Das ist eine offensichtliche Schwäche Luthers, das Unsystematische seiner Theologie, was aber von seinen Anhängern oft als Stärke beurteilt wird.

Das Leben, wie es nun mal real ist, lasse sich nicht systematisch begreifen, weil es letztendlich selbst irrational sei. Dieses Irrationale von Luthers Gottesvorstellung sei dann eben gerade das Lebensnahe Luthers theologischen Denkens.Der Blick soll dann immer auf den „Deus revelatus“ sich ausrichten, der aber immer eingezeichnet ist in den dunklen Hintergrund dieses allmächtigen alles wirkenden Gottes, vor den nur der Vertrauensglaube an Jesus Christus retten kann. So wird erst begreifbar, was lutherisch unter dem Vertrauensglauben zu verstehen ist: So wie Du glaubst, ist Dir Gott. Gott ist der „deus absconditus“ als realer Gott, aber durch diesen Glauben wird Dir Jesus zu dem Gott, der Dich vor diesem dunklen Gott rettet.

Es ist leicht verständlich, warum in diesem die Lutherkirche ihrem Konstrukteur nicht gefolgt ist, auch wenn es gelegentlich gediegene Revitalisierungsversuche gab, etwa Werner Elert. Das heutige Luthertum wie aber auch die Katholische Kirche kennt den „deus absconditus“ nicht mehr, Gott ist ihnen einfach nur noch der „liebe Gott im Himmel“, der aber als solcher fast weltlos über der Welt schwebt, sich darauf beschränkend, ein moralischer Appell zu sein: “Lebt doch endlich vernünftig!-Ich lieb Euch doch alle!“

 

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