Dienstag, 22. Februar 2022

Die Zentralfrage der christlichen Religion - die keine Abnehmer mehr findet?

Die >gesamte christliche Kultur mit allen Ausstrahlungen< sei vom >Ernst der Frage>getragen worden,die in Lk 10,25 gestellt wird: >Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu erben?< Wo aber habe diese Kultur heute noch Bedeutung selbst bei ihren Erben?“ „>Was kann Christi Sieg über den Tod Menschen und Völkern bedeuten, die sich in den Tod ergeben haben, nach Ewigkeit gar nicht verlangen<, So faßt Lichtmesz die Situationsdiagnose Reinhold Schneiders zusammen. (Kann nur ein Gott uns retten?, 2014, S.152.

In einer Religionsunterrichtsstunde, als der Pfarrer diese Frage aus dem Lukasevangelium zitierte, evozierte sie unter den Schülern nur pures Unverständnis: ewig leben wollen?, sodaß er sie umformulierte zu der, was mache mein Leben sinnvoll? In den Zeiten der Friedensbewegung erkoren sich viele Theologiestudenten die Bergpredigt zu ihrem Lieblingstext der Bibel. Dieser Text wurde als ein Programm zur Humanisierung und Pazifizierung der Welt gelesen. Daß es hier um die Einlaßbedingungen in das Reich Gottes, in das ewige Leben ginge, wurde dabei völlig überlesen. Die ganze christliche Ethik ist eine Jenseitsethik, die genau diese Frage des Lukasevangeliums beantworten soll. Welche Relevanz kann die dann noch haben, wenn nach ihrer Nützlichkeit für ein Programm der Humanisierung der Welt gefragt wird?

Ja, diese Frage, was tun, um das ewige Leben zu erlangen, ist in eine zwiefache Krise geraten: a) ist es überhaupt erstrebenswert, ewig zu leben und b) der vulgären Meinung, daß wenn es einen Gott gäbe, der seine Menschen liebe, dann käme auch jeder in den Himmel, denn sonst wäre Gott nicht als liebender gedacht. Also hätte Jesus respondieren müssen: Gott wird Dir das ewige Leben gratis schenken, der Frage bräuchte also nichts zu tuen. Nur hätte er dann noch beschwichtigend hinzufügen müssen, daß, wenn wer nicht in das Reich Gottes eingehen wolle, Gott auch dies respektieren würde- der dürfe dann ewig vor der weit geöffneten Türe zum ewigen Leben in der Gemeinschaft mit Gott verweilen.

Lichtmesz urteilt über die heutige Lage in den postchristlichen Kulturen: „wenn man den Geburtenrückgang als Symptom eines allgemeinen Schwundes an Lebenswillen, an Willen zur Selbsrbehauptung und Kontinuität interpretiert, der sich auch in der laufenden Preisgabe kulturellen und religiösen Bodens ausdrückt“ (S.89) dann stehen wir damit auch vor der Antwort auf die Frage, warum diese Frage des Lukasevangeliumes heutzutage nicht mehr ernst gestellt wird. Der geschwächte Lebenswille kann die Frage nach einem ewigen Leben schon nicht mehr ernsthaft stellen. A. Camus kann als heutiger Philosoph sagen, daß die einzig relevante Frage des philosophischen Denkens die nach dem Freitod ist: Ist wirklich das Leben dem Todsein, dem Nichtsein vorzuziehen? Das Leben als Ganzes kann verneint werden oder das der eigenen Kultur als eine bestimmte Negation. Die besondere deutsche Schuldkultur verstärkt dabei noch diese allgemeine Dekadenztendenz im Kulturraum des „freien Westens“: „Ein schuldiges Volk, also ein Volk,dessen nationales Selbstbewußtsein mit Schuld belastet bleibt, erhebt sein Haupt nicht, das heißt, es wird nachträglich geschwächt.“,konstatiert B.Willms, Identität und Widerstand. Rede aus dem deutschen Elend, 2013,S.19.Willms spricht so von einem anerzogenen „kollektiven Selbsthaß“ des deutschen Volkes. (S.18)

Die Dekadenz der alt gewordenen Völker Europas, zumindest Westeuropas und die Schuldkultur, daß irgendwie an allem Elend der Welt der“Weiße Mann“ und der Deutsche im Besonderen schuld sei, vermischen sich dabei nun zu einem negativen Lebensgefühl: Ist das Leben wirklich lebenswert? Daß in Deutschland allein in einem Jahr knapp 100.000 Kinder im Mutterleibe getötet worden sind, sagt alles über die Lebensbejahung aus: Wir töten unsere eigene Zukunft.

Wo zu leben nicht mehr selbstverständlich als bejahenswert beurteilt wird, kann die Frage, was tuen, um das ewige Leben zu erlangen, nicht mehr auf einen fruchtbaren Boden fallen. Freddy Mercury singt: „Wer will für immer leben?“ Diese Frage ist ernster zu nehmen als sie in diesem Lied selbst gestellt wird. Die sich in den Tod ergeben Habenden haben sie für sich schon eindeutig respondiert; sie haben so kein Ohr mehr für die Osterbotschaft des Sieges über den Tod. Gefördert wird dabei diese Todesbejahung durch die Vorstellung, die schon Epikur propagierte, daß der Tod die reine Nichtung meines Lebens sei, sodaß es meinen Tod gar nicht für mich geben kann. Denn wenn ich bin, ist der Tod nicht und wenn der Tod ist, bin nicht ich. Vulgärer ausgedrückt: Das Todsein ist ein ewiges Schlafen, ohne daß jemals mehr ein Wecker zum Aufstehen nötigt.

Dem korrespondiert dann aber auch die Problematik der Vorstellbarkeit eines ewigen Lebens. Wird es als reine Zeitlosigkeit gedacht, evoziert das die Anfrage, ist ein menschliches Leben, das nicht zeitlich ist,überhaupt von einem Todsein noch unterscheidbar. Wenn aber die Ewigkeit als unbegrenzter Zeitraum vorgestellt wird, wie stünde es da um die Qualität des Lebens?  Ludwig Thomas Polemik gegen ein ewiges Leben im Himmel (Ein Münchner im Himmel) dürfte dabei effektiver gewesen sein als manche tiefschürfende Religionskritik. 

Es ist so kein Zufall, daß selbst in Predigten am Grabe so sehr vom ewigen Frieden des Verstorbenen gesprochen wird, daß es fast wie eine Laudatio auf das Nicht-mehr-Leben- Müssen des Verstorbenen klingt! Die Skepsis dem ewigen Leben gegenüber ist so in den unserigen Zeiten nicht so sehr fundiert in der Nietzsche Parole von der Treue zur Erde, zum irdischen Leben, sondern in einer dekadenten Skepsis dem Leben überhaupt gegenüber: War und ist das menschliche Leben vielleicht doch nur eine evolutionäre Fehlentwickelung?



 

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