Freitag, 18. Februar 2022

Ein Krankenbericht zur Lage der Kirche – Diagnoseversuche

(Die Kirche in der Moderne und in der Postmoderne)


Die Vorstellung,daß die Briten wieder re-christianisiert werden müßten, würde von den meisten Klerikern als Akt der Aggression abgelehnt werden,vielleicht sogar als rassistischer Affront gegenüber unseren muslimischen Minderheiten. Die Kirche ist heute nicht mehr dazu da,den christlichen Glauben zu verkünden,sondern denen zu vergeben, die ihn zurückweisen.“ So analysiert der englische Philosoph Scruton die englische Kirche. (zitiert nach: Lichtmesz, Kann nur ein Gott uns retten?,2014,S83)Lord Carey, der einstige Erzbischof von Canterbury prognostiziete gar, daß das Christentum in England in nicht weniger als einer Generation verschwunden sein werde. (S.80)

Die Zentralaussage der christlichen Religion formuliert Jesus Christus selbst so: „Et cognoscetis veritatem,et veritas liberavit vos= und ihr werdet die Wahrheit erkennen,und die Wahrheit wird euch frei machen.“(Joh 8,32) Mit dieser Aussage Jesu stoßen wir direkt in das Zentrum der problematischen Lage der Kirche in der Postmoderne vor, wie sie im obigen Zitat des englischen Philosophen skizziert wird.In der Epoche der Aufklärung galt immer noch der Grundsatz von der befreienden Kraft der Wahrheit, nur wurde bestritten, daß sie in eins falle mit der christlichen Religion oder gar mit der Katholischen Kirche. Es sollte nun die Aufgabe des vernünftigen Denkens sein,die Wahrheit zu erkennen, ihre Erkenntnis zu explizieren in den großen Systemen der Philosophie: die Glanzstunde gerade der deutschen Philosophie von Kant bis zu Hegel oder wenn man will auch zu Marx.

Nietzsche steht dann für den ersten radicalen Bruch mit diesem aufkärerischen Glauben an die Erkennbarkeit der Wahrheit als uns befreiende: „Wir haben die Kunst,damit wir nicht an der Wahrheit zu Grunde gehen“ (zitiert nach Lichtmesz, S.40) Die Wahrheit sei eben der Nihilismus, aus dem uns nur die Kunst als Erschaffung von künstlichen Lebenswelten erretten könne.

Aber erst in der Postmoderne gilt das Axiom, daß eine erkannte Wahrheit die menschliche Freiheit bedrohe! Eine Geschichte aus dem Kontext des christlich-jüdischen Dialoges kann das veranschaulichen: Eine Jude und ein Christ sind im Himmel. Da kommt Gott zu ihnen: „Ich möchte Euch jetzt den Messias vorstellen.“Nach einem kurzen Überlegen bitten Beide, daß Gott ihnen das erspare.Jetzt kämen sie gut miteinander aus. Wenn aber der Messias ihnen vorgestellt werden würde, wäre er entweder der Jesus, wie es die Christen glauben oder er wäre ein anderer, wie es die Juden glaubten. Weil so entweder der christliche Glaube als wahr und somit der jüdische als unwahr oder der christliche als unwahr und der jüdische als wahr erwiesen würde,könnten sie Beide dann nicht mehr einvernehmlich miteinander leben. Nur das Nichtwissen um den Messias ermögliche ihr gutes Miteinander.

Historisch gesehen konstituierte sich die Postmoderne aus der Reflexion über die totalitären Staaten, Stalins und Hitlers: Beide hätten ihre totalitäre Herrschaft legitimiert durch die jeweils von ihnen erkannte Wahrheit. War die Aufklärung der Versuch der Domestikation der christlichen Religion, damit innerchristliche differente Wahrheitsansprüche nicht zu Religionskriegen eskalierten, daß die eine christliche Confession die anderen im Namen ihrer Wahrheit bekämpfte, sodaß eine philosophische Wahrheit konstruiert wurde, die aus den Religionskriegen uns befreien sollte, so soll die postmoderne Philosophie die Vorstellung der einen erkennbaren oder gar erkannten Wahrheit überwinden, denn weltanschaulich ideologisch erkannte Wahrheiten führten nur zu neuen Totalitarismen. Stalin und Hitler gelten nun als das, was herauskommen muß, wenn die Wahrheit als erkannte und im Besitz sich befindende erklärt wird. Die Wahrheit darf so nicht mehr als erkennbare oder gar erkannte bestimmt werden, sondern es darf nur noch eine Wahrheitssuche geben, die nie zur Erkenntnis der Wahrheit vordringt. Denn nur so können alle Religionen und Weltanschauungen sich wechselseitig respektieren, weil keine mehr als die „absolute Wahrheit“ behauptet wird.

Freiheit gäbe es nur, wenn es keine „absolute Wahrheit“ gäbe, wenn irgendwie alles als wahr und irgendwie auch nicht wahr akzeptiert wird. So avancíert jeglicher Fundamentalismus zu dem Feind der Freiheit, weil er sagt, daß es eine erkannte Wahrheit gibt. Für jede Religion ist dieser Relativismus sein Todesurteil, weil dieser die Vergleichgültigung jeder Religion zur Folge hat. In der christlichen Theologie vollzieht sich dann diese Selbstvergleichgültigung der Religion durch die Konstruktion eines Gottes der als bedingungslose Liebe zu jedem Menschen Ja sage, sodaß ihm alle Religionen selbst gleichgültig wären.


 

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