Dienstag, 21. Juni 2022

Unzitierbare Worte der Bibel - oder was man alles in der Kirche nicht mehr sagen darf

Unzitierbare Worte der Bibel– oder was man alles in der Kirche nicht mehr sagen darf


Das Gut der Meinungsfreiheit, einst das Prestigeobjekt des „Freien Westens“ steht nicht mehr in hohem Kurs. Um die Freiheit vor ihrem Mißbrauch zu schützen im Namen der „wehrhaften Demokratie“ wird nun faktisch die Freiheit eingeschränkt- der letzte große Triumph: Ein österreichischer Musiker wurde zu 10 Jahren Gefängnis veruteilt, weil er rechtsradical musizierte. Da verwundert es nicht, daß auch im Raum der Kirche so manches nicht mehr gesagt werden darf.

Pontius Pilatus, nachdem er mit seinem Versuch, Jesus Christus vor der Todesstrafe zu retten gescheitert war, erklärte: Mit diesem Todesurteil habe er nichts zu schaffen. Er wüsche seine Hände in Unschuld. „Innocens ego sum a sanguine justi hujus“. (= Ich bin unschuldig an dem Blute dieses Gerechten.“ (Mt 27,24) Beachte: Pilatus beurteilt hier Jesus nicht nur als nicht schuldig sondern gar als gerecht. Aber Pilatus hat doch selbst Barabbas und Jesus als 2 zum Tode Verurteilte vor das Volk gestellt, damit es entscheide, wie es Brauch war, wen Pilatus ihnen freilassen solle.Damit ermöglichte er ja erst, daß das Volk, indem es die Freilassung des Barabbas forderte, Jesus zum Tode verurteilte. Die klar erkennbare Tendenz des matthäischen Passionsnberichtes stellt Pilatus aber uns als einen wenig souveränen sich von der jüdischen Volksstimmung treiben Lassenden vor Augen. Er ist eher ein passiv Erleidender als der Akteur der Kreuzigung.

Pilatus sagt somit: Es ist allein eure Sache, daß dieser Jesus jetzt gekreuzigt werden wird, denn ich erachte ihn für nicht nur unschuldig sondern gar für einen Gerechten. An seinem Blut, das so nun vergossen wird, bin ich unschuldig, lautet so das Resümee.

Wer trägt dann die Schuld an dem vergossen werdenen Blut des Gerechten? Darauf erfolgt eine klare Antwort: Das ganze Volk (universus populus)sagte:“Sanguis ejus super eos, et super filios nostris.“ (V 26).Das heißt: Wir und unsere Kinder nehmen die Schuld des vergossenen Blutes auf uns. Damit wird Pilatus zugesichert: Du bist wahrhaft unschuldig an dem jetzt vergossenen Blut, wenn es denn eine Schuld ist, weil wir sie, wenn es denn eine ist, auf uns nehmen. Damit ist Pontius Pilatus realiter exculpiert. Andere nahmen seine Mitverantwortung und somit seine Schuld auf sich, machten sie zu der ihrigen. Selbstredend waren hier das jüdische Volk sicher, daß die Hinrichtung Jesu eine angemessene Strafe für Jesus war, aber sie erklärten doch oder auch gerade deshalb, daß sie die gesamte Verantwortung auf sich nehmen werden, damit Pilatus unbesorgt die Kreuzigung Jesu anordnen kann.

universus populus“ steht geschrieben. Leicht fällt es der historischen Bibelkritik, diese Aussage, daß es das ganze jüdische Volk sei, daß da die Kreuzigung Jesu fordere, zu dekonstruieren. Das seien nur Wenige gewesen, aufgehetzt von ein paar machtgierigen Klerikern und überhaupt sei Pontius Pilatus der wahre Betreiber dieser widergesetzlichen Hinrichtung gewesen.Es muß aber a) festgehalten werden, daß dies nur Wahrscheinlichkeitsurteile der historischen Forschung sind, die nicht von sich behaupten können: So war es wirklich und b) daß für den christlichen Glauben das Matthäusevangelium verbindlich ist und nicht das, was Historiker für wahrscheinlich halten. Das Matthäusevangelium beurteilt also die da so die Kreuzigung Jesu Fordernden nicht als eine Teilmenge des Volkes, sondern als das universus populus. Die da so Agierenden repräsentieren so das ganze Volk.

In der Vulgataausgabe von Augustin Arndt SJ, 2.Auflage 1903 wird deshalb der Vers 25 so kommentiert: „Dies hatte Christus gedroht, 23,35,36. Einst hieß Israel das Volk des Segens,jetzt ist es ein Volk des Fluches geworden. - Die Juden wollen Pilatus Muth machen, damit er das ungerechte Urteil fälle.“

Jesus Christus hatte nach Kapitel 23, 35 dem jüdischen Volke angedroht: damit alles gerechte Blut, welches auf Erden vergossen ward, über euch komme.“ So wird diese Aussage dann kommentiert: „Gott läßt die Sünde des Menschen zu,weil er ihm einen freien Willen gegeben hat, aber was aus der Sünde nothwendig folgt, die Strafe,will Gott, nachdem der Mensch seinen freien Willen gemißbraucht hat und nicht in sich gegangen ist.“ Das „nothwendig“ ist nicht akzeptabel, denn Gott ist nicht einer Notwendigkeit des Sünden Strafenmüssens Unterworfener: Er straft, weil und nur weil er als Gerechter das will. „Das Blut kommt über...“ bedeutet hier aber wirklich, daß das unschuldige vergossene Blut Gottes Strafe auf die herabzieht, an denen nun dies Blut klebt.

Hiermit wird nun der moderne Leser mit einer Vorstellung konfrontiert, die ihm unzumutbar ist, denn er kennt in seiner liberalen Weltanschauung nur für eine Tat den Täter als den dafür Verantwortlichen. Hier wird aber das Volk begriffen als ein Subjekt, das als soches die Gesamtverantwortung für diese Tat der Kreuzigung trägt. Zur Veranschaulichung: Ein Mörder kann nicht sagen: Meine Hand hat das Opfer erwürgt, aber nicht ich! Für ein kollektivistisches Denken ist das Volk für bestimmte Taten so verantwortlich wie der Mörder für die Erwürgung und nicht etwa blos die erwürgt habende Hand. In diesem Falle überträgt aber die Menge, die Jesu Christi Kreuzigung fordert, die Verantwortung dafür auf das ganze jüdische Volk: Diese Tat soll als die Tat des ganzen jüdischen Volkes gelten- sein Blut soll über das ganze Volk, auch auf die nach uns kommen.

Es wird kolportiert, daß in dem geradezu genialen Film: „Die Passion“ von Mel Gibsen auf Interventionen philosemitischer Kreise diese Selbstverfluchung des jüdischen Volkes nicht zitiert wurde: Diese Aussage sei eben antisemitisch.

Es wäre eine mehr als verdienstvolle Aufgabe, die vielen Versuche zu rekonstruieren, mit denen diese Aussage des Mt-Evangeliumes weg-exegetisiert werden. Moralisch legitimiert werden solche Uminterpretationen durch das Narrativ einer Mitschuld der christlichen Religion an dem Holocaust. Aussagen, die antijüdisch, antisemitisch wirken könnten, dürfen nicht mehr unbeanstandet weiter verbreitet werden. Die liberalistische Ideologie, die keine Kollektivsubjekte kennt, ist dabei sehr hilfreich: Es gibt nur Einzeltäter. Aber in der Geschichte agieren nicht nur Einzelsubjekte sondern auch Völker, Parteien, Kirchen, Staaten als Subjekte; das muß dann diese Weltanschauung ausblenden. Interessant ist dann aber, daß dann doch wieder von einer Kollektivschuld der Kirche an dem Antisemitismus die Rede sein kann oder von einer Kollektivschuld der Deutschen.


Die hl. Schrift enthält eben nicht nur angenehme, komode Wahrheiten sondern auch Ärgernis provozierende. Wir leben aber in Zeiten, wo so harte Worte nicht mehr vertragen werden und so werden sie uminterpretiert versüßt. Das gleicht einem Arzt, der einem an Leberzerose Erkrankten das weitere Alkoholtrinken nicht verbieten mag, weil der Erkrankte so gern seinen Wein trinkt. „Wir dürfen doch nichts sagen, was Anstoß erregen könnte!“


 

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