Sonntag, 12. Juni 2022

Eine antichristliche Parole: Der Mensch muß überwunden werden?

Der Mensch muß überwunden werden – Transhumanismus: eine antichristliche Parole?


Offensichtlich ist das ein antichristliches Programm, ist doch sein geistlicher Vater Friedrich Nietzsche: Der Mensch ist Etwas,das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden?“ (Zarathustra, Vorrede 3)Der Mensch sei kein Zweck, sondern eine Brücke, die zum Übergang und Untergang bestimmt sei um des Zieles des Übermenschen willen. (Vorrede 4) Rezipiert also die transhumanistische Bewegung dieses Anliegen Nietzsches, wobei es dann dies Überwindungsprojekt in eine zeitgemäße Form transformiert,daß eben durch die sich weiterentwickelnde Technik der Übermensch als Cyborg realisiert werden soll. Der Kerngedanke des Projektes der Cyborgisierung des Menschen und damit auch seiner Überwindung ist, daß die bisher dem Menschen äußerlich bleibende Technik, etwa die Brille zum Ausgleich einer Sehschwäche oder der Computer als Datenspeichergerät verinnerlicht wird, ihm implantiert wird, sodaß eine Synthese aus Mensch und Technik entsteht, der Cyborg. Die ersten Anfänge dafür bilden die Menschen mit eingepflanzten künstlichen Herzen oder mit künstlicher Gelenken. Für eine nicht alzu ferne Zukunft wird die Möglichkeit erwartet, funktionsunfähige menschliche Augen durch künstliche zu ersetzen, die dann so mit dem organischen Sehapparat vernetzt werden, daß dann ein Blinder wieder sehen kann.

Wenn Nietzsche als Ahnherr dieser transhumanistischen Bewegung abgelehnt wird, dann wird dies regelmäßig begründet mit der These, Nietzsche habe nie an eine technizistische Hervorbringung des Übermenschen gedacht und zugleich solle der Übermensch eher ein kulturelles Projekt sein, der Überwinder des sich nihilistisch verstehenden Menschen als ein biologistisch-technizistisches Überwesen. Wird aber berücksichtigt, daß wir in der Epoche der Technik leben, daß sie unser Schicksal und unsere Natur geworden ist, dann liegt es auf der Hand, das Projekt der Cyborgisierung als zeitgemäße Neuinterpretation des Übermenschen Nietzsches zu verstehen. Daß in der Epoche der Technik auch neoromantische Zurück zur Natur Parolen sich großer Beliebtheit erfreuen, wird aber niemanden irritieren, nur daß auch die enthusiasmiertesten Verehrer des natürlichen Lebens sich entsetzt abwenden, mutete man ihnen zu, in einer kalten Winternacht ganz natürlich ohne eine Heizung oder sonstiger Wärmequelle unbekleidet in der freien Natur zu übernachten. Wir leben so sehr in und mit einer ganz und gar durchtechnisierten Welt, sie ist uns zur natürlichen geworden, daß wir ohne die Technik gar nicht mehr überlebensfähig wären. Für die allermeisten Heutigen ist die Natur nur noch ein Wochenendausflugsziel und selbst da können wir nicht ohne die Technik sein: Wie kläglich scheitern doch alle Versuche eines Vaters, seine Tochter wenigstens während eines Waldspazierganges von der Dauerbenutzung ihres Mobiltelephones abzuhalten! Einer jungen Frau ist eben die Telekommunikation mit ihren besten Freundinin wichtiger als die da im Walde herumstehenden Bäume und Sträucher und das zu ihren Füßen herumkriechende Getier.

Aber es gibt in der transhumanistischen Bewegung geradezu utopistisch abenteuerliche Vorstellungen, daß (fast) alle Krankheiten überwindbar sein werden, daß das Sterbenmüssen aufhören wird, indem etwa das, was in der Tradition die Seele genannt wurde, jetzt etwas im menschlichen Gehirn „Abgespeichertes“ sein soll, das dann wie eine Datei auf einen neuen Träger kopiert werden könnte, so daß so der Mensch durch ein solches Kopieren ewig leben könnte. Das klingt nun mehr als phantastisch. Ich rate angesichts solchen utopistischen Überschwanges zu einem Bejahen dieses Utopismus, denn wer kleine Schritte vorwärts schaffen will, muß an Großes glauben können, weil sonst überhaupt kein Voranschreiten möglich ist. Die großen Träume ermöglichen so erst gerade die kleinen Schritte, daß etwa dann in der Zukunft Blinde wieder sehen und Taube wieder hören können dank technischer Implate. Der Leser möge sich diesbezüglich eine einfache Frage stellen: Gesetz den Fall, morgen erlitte er einen Unfall und erblindete, würde er sich dann nicht gern etwas Künstlich-Technisches in sein Gehirn implantieren lassen, wenn das die einzige Möglichkeit wäre, wieder sehend zu werden?

Aber mit dem Christentum hat diese Vorstellung der Überwindung des Menschen doch nichts gemein, ja sie ist doch geradezu antichristlich. Dafür spricht ja auch Nietzsche als ihr Ahnherr. Aber wie nun, wenn in diesem Überwinder des Christentumes gerade in dem Gestus der Überwindung mehr Christliches überlebt als diesem Philosophen selbst bewußt ist?

Das 1.Gebot, das Gott dem Menschen gab, hieß: Vermehret Euch und das 2.: Machet Euch die Erde, die Natur untertan! Leicht wird dabei der anthropologische Dualismus des Menschen überlesen, daß er nämlich einerseits ein Gebilde der Natur ist, Gott erschuf ihn aus Natürlichem und daß er andererseits ein durch eine Seele belebter Naturkörper ist, daß diese seine Seele nicht aus etwas Natürlichem erschaffen wurde sondern Gott sie ihm einbließ. Der Auftrag zur Naturbeherrschung inkludiert so auch die Idee, daß die Seele den menschlichen Körper als einen Teil der Natur beherrschen soll. Gerade wegen der Seele ist der Mensch immer auch ein Außerhalb der Natur, die die ihm gegebene Natur als den eigenen Körper und als Umweltnatur zu beherrschen bestrebt ist. Und das soll er auch. Der spezifisch menschliche Umgang mit der Natur ist so die technische Beherrschung der Natur.

So gesehen ist der Transhumanismus nur eine radicalisierte Version der menschlichen Naturbeherrschung.

Aber der Transhumanismus beinhaltet noch mehr und auch in diesem ist er nicht einfach antichristlich. Der Mensch des Humanismus ist der Mensch nach dem Sündenfall, dem humanistischen Denken ist so keine Erkenntnis des Menschen möglich, wie und was er eigentlich vor dem Sündenfall war und wozu er dann nach Gottes Willen wieder werden soll. Der Mensch, der so zu überwinden ist, ist faktisch der „Alte Adam“, zu dem Gott nicht sagt: Ich liebe Dich, bleibe so, wie Du bist!“ Im Epheserbrief lesen wir stattdessen: „Leget den alten Menschen ab,der in Verblendung und Begierde zugrunde geht“. „Zieht den neuen Menschen an“. (Eph 4,22-24) Keine Übertreibung ist es, wenn selbst noch in Nietzsches Projekt des Übermenschen eine Fernwirkung dieses Überwindungsauftrages wahrgenommen wird. Der Mensch als „Alter Adam“ soll nämlich überwunden werden, damit der Neue Mensch geboren wird. Es sei daran erinnert, daß die christliche Taufe nicht Gottes Ja zum „Alten Adam“ ist: So wie Du bist, sage ich Gott Ja zu Dir!, sondern beinhaltet ein sakramentalistisches Gekreuzigtwerden des Alten Adams mit Jesus, damit der Getaufte als Neuer Mensch aus dem Taufwasser wieder auftaucht.Die Taufbelehrung Jesu im 3.Kapitel des Johannesevangeliumes sagt ja eindeutig: Der „Alte Adam“ muß sterben und von Oben dann neu geboren werden, damit er erst so in das ewige Leben eingehen kann. Der Neue Mensch, der den „Alten“ überwindet, dessen Tod ist, ist so ursprünglich ein christlicher Gedanke, der in sich so kraftvoll ist, daß er selbst in einem so atheistischen Denker wie Nietzsche noch virulent bleibt.





 

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