Montag, 17. Juli 2023
Ist die Welt eine Fabel? Irritierendes – zum Nachdenken Aufforderndes
Ist die Welt eine Fabel? Irritierendes – zum Nachdenken Aufforderndes
„Die Welt wird zu einer Fabel,die Welt als solche ist nur Fabel:mit Fabel meint man etwas,was erzählt werden kann und nur in der Erzählung existiert;die Welt ist etwas,was man erzählt,ein erzähltes Ereignis und demzufolge eine Interpretation:Religion,Kunst,Wissenschaft,Geschichte sind ebenso viele verschiedene Weltdeutungen,ebenso viele Variationen der Fabel.“ So schreibt es einer der bedeutendsten Philosophen der Postmoderne: Lyotard, zitiert nach:Gerhard Raulet, Gehemmte Zukunft.Zur gegenwärtigen Krise der Emanzipation, 1986.S.77.
Die Welt als Ganzes wird hier als eine Fabel qualifiziert. Nicht ist damit gemeint, daß Elemente der Welt nicht erkennbar wären. Gegenstände wie Stühle und Autos, auch komplexere wie unser Sonnensystem sind für uns erkennbar, nicht aber das Ganze, das hier: die Welt genannt wird. Wer einmal Tolkieens Triologie: „Der Herr der Ringe“ gelesen hat, kennt die Faszinationskraft einer erzählten Fabel. Solange man liest, lebt man in diesem Kosmos, der nur in diesem Roman existiert, in dem man aber ganz heimisch werden kann. Aber wird das Buch zugeschlagen, entschwindet dem vormaligen Leser diese Welt, er ist nun wieder in der Realität.
Sollte die Welt auch nur eine so erzählte Fabel sein, bzw sollte es so viele Welten geben wie es Welterzählungen, Fabeln über die Welt gibt? Vielleicht könnte man diesem Gedanken durch eine Veranschaulichung näher kommen. Eine Schachpartie wird gespielt. Ein Beobachter könnte nun genau die Stellung der Figuren auf dem Spielbrett beschreiben und ihre Veränderungen durch die gespielten Züge. Es könnte nun auch jede Einzelfigur analysiert werden – aber ohne die Kenntnis des Schachregelsystemes kann die gespielte Partie nicht begriffen werden. Die Welt als Ganzes gliche der gespielten Schachpartie, aber die Kommentatoren kennen das Schachregelsystem nicht, sodaß jeder versucht, das dortige Geschehen auf dem Spielfeld zu kommentieren und so Fabeln über diese Partie erzählt.
Ja, es kommt das Gerücht auf, daß das Ganze, die Welt an sich nichts Sinnvolles sei, sodaß erst der Interpret Sinn dem Ganzen zu verleihen habe. Das geschieht dann, in dem eine Geschichte der Welt erzählt wird, die die Welt so zu etwas Ganzem und in sich Sinnvollem macht. Der These eines objektiven Sinnes des Ganzen steht so die Antithese gegenüber, daß erst durch das Erzählen von Weltfabeln das Ganze zu etwas Sinnvollem wird, so als wäre das Ganze eine riesige Menge von Einzelwörtern, die dann vom Erzähler zu Sätzen und dann ganzen Erzählungen zusammenkomponiert werden. Es existierte aber keine Norm, die wahre dann von unwahren Erzählungen unterscheiden könnte, da es keine objektive Realität gäbe, die die Erzählung dann richtig wiedergeben könnte. Lyotard bezeichnet das als den Glaubwürdigkeitsverlust der großen Erzählungen, die die Moderne auszeichneten als das Charakteristische der Postmoderne. (Vgl: Lyotard, Das postmoderne Wissen)
Raulet versteht so Lyotards Position als einen Angriff auf die große Erzählung von der Emanzipation, daß die Menschheitsgeschichte als Ganzes die Geschichte der Selbstbefreiung des Menschen sei. Zu Grunde liegt der Moderne mit ihren großen Erzählungen die Heilsgeschichtserzählung der christlichen Religion, die seiner Erschaffung von Gott, die seines Sündenfalles und die seiner Errettung und endgültigen Erlösung. Die Moderne brachte nun vielfältige säkularisierte Versionen dieser Heilsgeschichtserzählung hervor, Erzählungen von der Selbstbefreiung des Menschen. Aber die Postmoderne durchschaue diese als bloße Fabelerzählungen .
Das Ganze, woher, worin und wozu das Ganze, diese metaphysischen Fragen könnten zwar noch gestellt, aber nur mit Fabeln beantwortet werden. Das wäre unsere jetzige Lage. Weder die Religion noch die Philosophie oder die Wissenschaft können dann anderes als Fabeln produzieren,die für sich Geltungs- und Wahrheitsansprüche erheben können. Es kann nur noch Menschen geben, die eine bestimmte Fabel für sich als wahr glauben. Ist das die Lage der christlichen Religion nach dem Tode der Metaphysik, (von Platon bis Hegel) die vor dem die christliche Religion vernünftig denkend fundieren konnte?
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