Freitag, 21. Juli 2023
Aus dem Gewohnten Herausfallendes- oder ein Versöhnungsversuch mit dem Leben, so wie es nun mal ist
Aus dem Gewohnten Herausfallendes- oder ein Versöhnungsversuch mit dem Leben, so wie es nun mal ist
„Dann beklag dich nicht über dein Schicksal! Weißt du denn,ob du diesen- wenn`s hoch kommt nur siebzigjährigen - qualvollen Traum,Erdenleben genannt,nicht selbst gewählt hast in der Hoffnung,etwas Herrlicheres als einen Sack schäbigen Geldes beim Erwachen zu finden?“ So steht es geschrieben in dem Roman: „Der weiße Dominikaner“ von Gustav Meyrink im 3.Kapitel: „Die Wanderung“. Dem ging diese Frage voraus: „Würdest du das Kreuz auf dich nehmen,heute nacht zu träumen,so deutlich als sei es Wirklichkeit,daß du tausend Jahre Dasein beispielloser Armut durchlebst,wenn ich dir jetzt die Gewißheit gäbe,du fändest als Belohnung dafür am nächsten Morgen beim Erwachen einen Sack voll Gold vor deiner Tür!“
Was ist damit gemeint? Man könnte meinen, daß in einer Anlehnung an die platonische Vorstellung, daß die Seele in einer Art Urwahl ihr Lebenslos wählt (vgl, Politeia, 10.Buch, 618-621d). Sie wähle es auf eine Hoffnung hin, die sich nicht in dem erwählten Lebenslos schon ereignen wird, sondern erst nach dem Ende des Erdenlebens.Das erwählte irdische ist sozusagen die notwendige Voraussetzung für das Erreichen des postmortalen Gutes.
Für des Menschen Erdenlos wäre also nicht die „unerforschlichen Ratschlüsse“ Gottes verantwortlich, sondern allein die ihr Los erwählt habende Seele. Die Spannung des menschlichen Lebens zwischen der Selbstverantwortlichkeit für das eigene Leben und dem Schicksalhaften des eigenen Lebens, daß man etwa sich es nicht ausgesucht hat als das Kind von diesen Eltern zu dieser Zeit da zur Welt gekommen zu sein, wird hier völlig negiert: Mein ganzes Leben hätte ich mir so, wie ich es lebe, selbst erwählt. Vielleicht könnte man sich diesen Gedanken so verplausibilisieren: Der Theaterregisseur bietet jedem eine Vielzahl an Rollen des aufgeführt werden sollenden Stückes aus, das dann auf der Erdenbühne gespielt wird. Das uns als real vorkommende Leben würde so depotenziert zu einem „Traum“, wie es hier im Text heißt oder zu einer bloßen Rolle in einem Theaterstück, dessen Regisseur dann Gott wäre, wir Menschen aber als präexistente Seele uns die Rolle erwählten. Das Ziel dieses Erdenauftrittes wäre der „Tempelbau“ der Seele, also die Seele erwählte sich ihr Lebenslos, um so sich fortzuentwickeln, zu reifen.
Der Autor offeriert hier und im ganzen Roman also eine philosophisch etwas esoterisch anmutende Deutung der menschlichen Existenz. (An dieser philosophischen Ausrichtung leidet aber leider die ästhetische Qualität, vergleicht man diesen Roman etwa mit dem Roman „Golem“, Meyerinks Meisterwerk.) Es lohnt sich, damit sich zu beschäftigen, zumal diese hier skizzierte Seelenlehre anschlußfähig an die platonische Philosophie ist.
Dort,wo sonst ein Mensch sein Schicksal beklagt, soll dieses Beklagen überwunden werden a) durch die Einsicht in die Eigenverantwortlichkeit: Du hast Dir selbst dies Leben erwählt und b)durch die Hoffnung, daß dies Leben um eines guten Zieles willen erwählt wurde, das sonst nicht erreichbar wäre. „Wir leben nur um der Vollendung unserer Seele willen“.heißt es so in diesem Roman.
Ist dies nun eine mit der christlichen Religion kompatible Deutung unserer Existenz? Da hier der Mensch weder als Sünder noch als zu Erlösender wahrgenommen wird, ist es keine christliche, aber man könnte vielleicht dies Beides in diesen Gedankengang integrieren, daß der Mensch eben in Adam und Eva, in seiner Urwahl eine falsche Wahl getroffen hatte und so als von der Sünde Bestimmter auf der Weltbühne auftritt, wo Gott ihn nun durch Jesus Christus erlösen will. Das wird manchem wohl als zu spekulativ erscheinen, aber das wäre doch eine Antwort auf die Theodizeeanfrage: Warum gibt es so viel Leid, wenn ein guter Gott die Welt regiert.
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