Dienstag, 18. Juli 2023
Vor Gott sind alle Menschen gleich- ein populärer Irrtum in der Kirche?
Vor Gott sind alle Menschen gleich- ein populärer Irrtum in der Kirche?
„Ihr höheren Menschen,- so blinzelt der Pöbel – es giebt keine höheren Menschen,wir sind Alle gleich,Mensch ist Mensch, vor Gott -sind wir Alle gleich!“Nietzsche, zitiert nach: Norbert Fischer, Die philosophische Frage nach Gott, 1995,S.247.
Vor Gott seien wir Menschen alle gleich, das könnte als das Credo des heutigen Christentumes angesehen werden. Wenn es auch noch confessionelle Unterschiede geben mag, es gibt bis heute keine evangelischen Kirchen mit einem Marienaltar, an dem Gläubige Opferkerzen anzünden und beten, in diesem Punkte herrscht ein Konsens. Nietzsche wollte deshalb diesen alle Differenzen nivellierenden Christengott gar abschaffen, damit wieder der höhere Mensch eine Möglichkeit wird.
Nur, hat denn dieser Philosoph recht, daß vor dem christlichen Gott alle Menschen gleich sind?
Wer daraufhin die Bibel liest, kommt zu einer ganz anderen Ansicht. Für das Alte Testament ist die Differenz zwischen dem einen von Gott erwählten Volk und den vielen anderen Völkern grundlegend. So wie es für den verheirateten Mann nur eine Frau gibt, die er liebt, seine Ehefrau und viele andere Frauen, so verhält sich Gott seinem Volke gegenüber anders als den vielen andern gegenüber. Im Neuen Testament tritt nun an die Stelle des Volkes Israel das neue Volk seiner Kirche. Für Gott ist somit der Unterschied von den Christgläubigen und den Ungläubigen wesentlich. Nicht allen Menschen, sondern den Gläubigen verheißt sein Sohn das ewige Leben. Alle Menschen stammen zwar von Adam und Eva hab und bilden daher eine einzige Menschheit, aber nur die Christgläubigen werden als die „Kinder Gottes“ qualifiziert. (Joh 1,12). Den Kindern Adams und Evas dagegen wird der Vorwurf gemacht, nicht den Sohn Gottes glaubend angenommen zu haben. Wenn Jesus von seinen Brüdern( und Schwestern) spricht, die wir wie ihn aufnehmen sollen, dann sind damit immer nur Christen gemeint. Also, nicht die Gleichheit aller Menschen ist das Thema der christlichen Religion sondern die Differenz zwischen Erwählten und Nichterwählten.
Zudem: Gott selbst differenzierte die Menschheit aus in die Ordnung der Völker. Man darf hinzufügen, daß er damit auch den Völkern verschiedene Berufungen gab. Wilhelm Stapel entwickelte daraus die bedenkenswerte Lehre vom Volksnomos, daß jedem Volke ein ihm eigenes Gesetz gegeben sei. Auch ist die Geschlechterdifferenz nicht etwas nur Biologisches oder Kulturelles, denn Gott selbst wollte sie.
Die Französische Revolution popularisierte dann erst die Ideologie der Gleichmacherei, aber diese Revolution ist nun mal antichristlich motiviert. Aber man dürfe dann doch nicht von einem höheren Menschsein sprechen, hier vergreife sich Nietzsche doch sehr. So plausibel dieser Vorwurf an Nietzsche auch uns erscheinen muß, es darf trotzdem angefragt werden, wie sich denn die Vorstellung der Gleichheit aller Menschen zu der Vorstellung der Heiligung des Menschen verhält. Wie verhält sich die Heiligung zum natürlichen Menschsein? Ist sie einfach die Menschwerdung des Menschen, eine Möglichkeit seiner natürlichen Existenz oder überwindet der Mensch in seinem Heiligungsleben sein rein natürliches Leben, indem er sich auf übernatürliche Ziele ausrichtet? Wenn das Ziel der menschlichen Existenz das übernatürliche Leben ist, wäre das dann nicht ein dem rein natürlichen gegenüber höheres Leben? Man könnte dann doch Nietzsches Vorstellung von einem höheren Leben, gar vom Übermenschen als eine säkularisierte Version der Bestimmung des Menschen zu einem höheren, ja übernatürlichen Leben rekonstruieren. Die Zentralbotschaft der christlichen Religion lautet ja nicht: Gott liebe jeden, so wie er ist- also bleibe jeder, wie er ist! Wir Menschen sind eben zu Höherem als dem Erdenleben bestimmt.
Es gibt kein höheres Menschsein ist wohl in erster Linie eine Parole des (Sozial)Neides: Wenn ich das schon nicht bin, darf es auch kein anderer sein. Man lese alternativ dazu ein mal:Pico della Mirandola: "Über die Würde des Menschseins", daß der Mensch über sich hinaus sich entwickeln kann.
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