Mittwoch, 3. April 2024

Der Mensch im Kreuzfeuer der Kritik? Oder sind wir uns unbegreiflich?

 

Der Mensch im Kreuzfeuer der Kritik?



Von der Welt schien er nichts zu wissen;denn er dachte gut vom ganzen Menschengeschlecht, und diese Meinung schöpfte er aus dem widerstrahlenden Bilde seines eigenen Herzens“. (Ann Radcliffe, Die Geheimnisse von Udolpho, 1.Buch,5.Kapitel) Diese Aussage über den Menschen, in einem Roman der Schauerromantik getätigt, darf auch als eine Kritik des Menschenbildes der Aufklärung gelesen werden, gerade auch mit der Pointe, daß dies Menschenverständnis, daß er gut sei, sich nicht dem vernünftigen Denken sondern dem Herzen verdankt, das hier als die Neigung zur Verklärung verstanden wird.

Aber welche Instanz entscheidet denn nun, wie der Mensch ist, ob er gut oder nicht gut ist? Wie würde wohl die Antwort lauten, könnten Tauben befragt werden. Würden sie nicht ein großes Loblied über uns Menschen anstimmen, daß wir soviel gut Eßbares auf die Straßen werfen, wenn wohl auch unbeabsichtigt, sodaß unsere Städte geradezu paradiesisch für die Tauben sind. Und wenn dann gar wir sie noch mit Brot füttern, das ihnen eine Delikatesse ist, welche Lobeshymnen ertönten dann. Nur, wir sind in diesem Punkte eins, daß unsere Beurteilung durch die Tauben irrelevant ist für uns.

Es käme eben einzig auf unsere Selbstbeurteilung an! In diesem Punkte nun kann nur festgestellt werden, daß so viele Meinungen über den Menschen existieren, wie es Menschen gibt. Man könnte nun die unüberschaubare Vielfalt der Meinungen versuchen zu systematisieren, in dem die Einzelmeinungen rubriziert werden, etwa in optimistische und pessimistische, oder in naturwissenschaftliche oder geisteswissenschaftliche oder in Epochen,das Menschenbild der Aufklärung, das der Postmoderne. Aber hülfe das weiter?

Vielleicht könnte es ja ergiebiger sein, zu fragen, was denn der Ermöglichungsgrund dafür ist, daß wir über uns so verschieden urteilen und uns so divers wahrnehmen? Als erstes wäre dann auf die Differenz von: „Wie ist der Mensch?“ einer indikativischen Aussage, zu einer optativischen: „O möge der Mensch doch so sein!, und zu einer moralischen, einer imperativischen, zu verweisen. Denn zu unserem Menschsein gehören diese drei Aussagemodi, aber sie müßten doch unterschieden werden. Nun könnte gemeint werden, daß doch die Naturwissenschaften oder vielleicht doch auch die Geisteswissenschaften klare Aussagen über den Menschen enthalten, sodaß wir aus diesen Quellen schöpfend das rechte Menschenverständnis konstruieren könnten.

Aber dieser Versuch würde kläglich scheitern. Denn jede der Wissenschaften produziert ihr gemäße Anthropologien, die aber nicht miteinander zu einer Anthropologie synthetisierbar sind. Das wäre so, als nähme ich den Bauern aus der Landwirtschaft, den aus dem Schachspiel und dem aus den diversen Kartenspielen, um dann den Bauern an sich, wie er wirklich ist, konstruieren zu wollen.Wie sehr nun auch jede Einzelwissenschaft in sich Erkenntnisfortschritte hervorbringen mag, was der Mensch nun wirklich sei, wird so nicht erkennbar.

Pico della Mirandolas Meisterwerk: „Über die Würde des Menschen“ könnte uns nun weiterhelfen, akzeptierten wir die Grundthese dieses Werkes, daß der Mensch nichts ist, damit er etwas aus sich machen kann und daß seine Würde die ist, sich frei entwerfen zu können. Seine Unbestimmtheit wäre dann sein ihn Bestimmendes. In diesem Sinne urteilt ja auch Nietzsche, daß der Mensch ein Wesen ist in der Spannung zwischen einem Tier und dem Übermenschen, daß er ist,um sich zu überwinden, er sich also eine Aufgabe ist. Popularisiert ist dies Menschenverständnis dann durch Sartre: Der Mensch sei, wozu er sich entwerfe. Dann würde die Vielfalt der Verständnisse vom Menschen die Vielheit seiner Selbstentwerfungen widerspiegeln.

Man könnte nun den Verdacht hegen, daß all die Versuche des Verstehens des Menschen scheitern, da in ihnen der Mensch immer nur abstrakt betrachtet wird. Zur Veranschaulichung des damit Gemeinten:Wer vor der Aufgabe steht, den Schachkönig zu verstehen, kann dies nur, wenn er diese Spielfigur in dem Kontext des Schachregelsystemes begreift. Eine abstrakte Betrachtung wäre nun jede, die diese Figur aus dem Gesamtsystem herausnimmt, um sie dann ganz für sich zu erforschen. Aber gerade dies Pathos, einfach direkt auf das Objekt zu schauen,um es so zu begreifen, verfehlt das Objekt,das doch erkannt werden soll.

Auch der Mensch ist nun ein Teil des Ganzen und kann so nur konkret erfaßt werden.Aber was ist das Ganze? Hierauf kann nur die Philosophie, sofern sie eine Gotteslehre expliziert, und dann die Theologie eine Antwort finden. Oder simpler formuliert: Der Mensch ist nicht das, was er im Urteil der Tauben oder Menschen ist, sondern was er im Urteil Gottes ist. Hilfreich könnte dafür ein Vergleich der Welt mit einem Theater sein: Wir spielen in Gottes Welttheater als Menschen eine bestimmte Rolle und das macht den Menschen aus.Da aber der letzte Akt dieses Theaters noch nicht gespielt worden ist, ist uns unsere Rolle noch nicht völlig durchschaubar, wir können nur darauf vertrauen, daß Gott uns eine gute Rolle zugewiesen hat.

Corollarium

So bevorzugt die politische Philosophie nach Carl Schmitt negative Menschenverständnisse. Dafür gibt es nun einen leicht einsehbaren Grund: Auch diese Philosophie weiß nicht wirklich wie der Mensch ist, aber die Folgen des Irrtumes, ihn als gut, zum Guten geneigt anzusehen sind viel größer als die Folgen des Irrtumes, ihn als zum Bösen geneigt anzusehen. Jeder Staat hat so Soldaten und Polizisten und, Richter und Gefängnisse und demonstriert damit faktisch, wie sehr er den Menschen als zum Bösen geneigt behandelt, auch wenn in Sonntagsreden dann es ganz anders klingen mag. Selbst die Kommunisten, die nun wahrhaftig an die Optimierbarkeit des Menschen gerade im sittlichen Bereich unerschütterlich glauben, setzen, an die Macht gekommen, auf die staatliche Gewalt. Die Demokraten rühmen sich ihrer Liberalität, verzichten aber ebensowenig auf die Polizeigewalt und die der Soldaten.

Die Pädagogik dagegen muß an die Lernfähigkeit und Bildbarkeit jedes Menschen zum Guten glauben, dieser Glaube gehört eben zum Berufsethos der Pädagogik und ist darum genauso wenig wahr wie das Negativbild des Menschen in der politischen Philosophie. Es sind eben nur für den jeweiligen Zweck nützliche Vorstellungen.





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