Was hielte man von einer minutiösen Beschreibung aller Züge eines Schachspielers einer Schach-partie, der Berichterstatter aber ob seiner vollkommenen Unkenntnis des Regelwerkes dieses Brettspieles keinen einzigen Zug begreifen kann? Er konstatiert, daß als erster Zug eine weiße Figur 2 Felder nach vorn gerückt wurde, weiß aber nicht, daß diese Figur ein Bauer ist, die anfänglich nur 1 oder 2 Felder gradeaus gezogen werden kann und daß es für den ersten Zug jeder Schachpartei nur 20 mögliche Züge gibt, von denen nun ein möglicher realisiert wurde. Wir hätten so eine Beschreibung einer Schachpartie vor uns, die bei noch so präziser Beschreibung dies Geschehen in keinster Weise begreift.
Ein Naturwissenschaftler beschreibt exakt, wie eine Feder, losgelassen zu Boden schwebt und wie dagegen ein Stein, losgelassen zu Boden fällt, aber unterließ jede Erklärung, warum einmal der losgelassene Gegenstand herunterschwebt und einmal herunterfällt. Eine pure, wenn noch so genaue Deskription der beiden Fälle wäre noch keine wissenschaftliche Beschreibung dieser zwei Fälle.
Limitiert sich die Geschichtswissenschaft nicht auch darauf, Einzelereignisse, so gut es geht, aus Quellen zu rekonstruieren, um zu erzählen, was der Fall war. Die Wissenschaftlichkeit resultiert dann einzig aus dem historisch-kritischen Umgang mit den Quellen. Um auf die Schachpartie zurückzukommen: Der Berichterstatter war nicht selbst ein Augenzeuge der gespielten Partie, sondern es lägen ihm diverse Berichte und Augenzeugenaussagen vor, und er müßte dann aus diesen Quellen den wahrscheinlichsten Verlauf der Partie rekonstruieren.
Aber wenn die Geschichte der Menschheit, eines Volkes oder einer Person nur aus kontingenten Einzelhandlungen bestünde, wie sollte dann ein Begreifen der Handlungen möglich sein? Reicht zum Begreifen einer Handlung eines Subjektes die Beantwortung der Frage nach dem Sinn, dem intendierten Ziel einer Handlung aus?
Es drängt sich so doch der Verdacht auf, daß so die Geschichte nicht begriffen wird. Es verbleibt eine solche Geschichtsbetrachtung beim bloßen Erzählen des Geschehenen. Die einzelnen Züge, die Taten werden nacherzählt, aber das ist noch kein Begreifen.
(Es verblüfft dann nicht, wenn etwa Louis Althusser behauptet, daß erst seit Marx Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten der Geschichte, dem sog.historischen Materialismus die Geschichte ein Objekt der Wissenschaft geworden ist. Auch könnte mit dem selben Recht oder Unrecht auch erst Hegels Geschichtsphilosohie als den Ermöglichungsgrund einer wirklich begreifenden Darstellung der Geschichte würdigen.)
Nur, könnte die Geschichte wirklich begriffen werden, bevor sie zu Ende gegangen ist und verlangte ein Begreifen nicht auch die Erkenntnis des Anfanges der Geschichte, warum und wie es überhaupt zu einer Geschichte kommen konnte. Die christliche Theologie könnte das leisten, weiß sie doch vom Anfang der Geschichte, dem Herausfall aus dem Paradiese und dem Ende der Geschichte, dem Reich Gottes. Kann so die Geschichte begriffen werden?
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