Plötzlich ist es en vogue, bürgerlich zu sein. Auch der AfD-Parteivorsitzende Gauland versucht sich in dieser Disziplin. Gauland über Bürgerlichkeit
:
„Ich kann ja nichts dafür, wenn einige Leute spinnen“ FAZ am 8.9.2019. Also, da gibt es Bürgerliche und Spinner, entweder ist man das eine oder das andere. In Anlehnung an Rolf Dahrendort stünde für ihn Bürgerlichkeit dafür, daß man den Nationalstaat "für den Resonanzboden von Freiheit, Recht und Demokratie hält.
Dass man nicht den Versuch macht, auf übernationale Konstrukte
auszuweichen. Dass man die Eigentumsordnung und die rechtliche
Grundordnung respektiert. Dass man nicht auf die Idee kommt, mit einer
Ökodiktatur die individuelle Mobilität einzuschränken. Dass man nicht
auf die Idee kommt, Wohnungsbaugesellschaften zu enteignen. Das sind
alles unbürgerliche Dinge.
Stimmen Sie zu, dass der Gegner des Bürgerlichen, des Konservativen immer der Radikale, der Revolutionär sein muss?
Ja. Das ist das
Gegensatzpaar: Das Revolutionäre, das Utopische, das Nicht-Skeptische,
das die-Gesellschaft-verändern-wollen, das halte ich für nicht
bürgerlich."
Nun muß aber gefragt werden: Ist die bürgerliche Gesellschaftsordnung nicht aus der Revolution gegen die durch Adel und Klerus bestimmte Gesellschaft entstanden? War die Französische Revolution keine bürgerliche und wollte die keine Gesellschaftsveränderung? Waren nicht alle Philosophen der Aufklärung Utopisten, indem sie nun eine neue Welt, bestimmt durch die Vernunft ersehnten, um so endgültig das finstere Mittelalter zu überwinden? Waren die Aufklärer Skeptiker? Mitnichten. Die Bürgerlichen wurden erst konservativ, als sie die Errungenschaften der bürgerlichen Revolution gegen den 4.Stand verteidigten. Sie wurden erst zu Skeptikern, als sie vor der Realität der neuen bürgerlichen Ordnung stehend, einräumen mußten, daß sie sehr wenig den utopischen Erwartungen der bürgerlichen Revolutionäre entsprach. Daß keine Revolution sein soll, war so zuvörderst auch die Parole wider die sich herausbildende Arbeiterklasse, die nun ihrerseits die Revolutionierung der bürgerlichen Gesellschaft forderte.
So bejaht der Bürgerliche die bürgerliche Revolution und erschrickt doch über das Revolutionäre dieser Revolution (den Terror der Französischen Revolution) und er sagt sein Nein zu allen Revolutionsabsichten des einstigen 4. Standes, nachdem der Adel und der Klerus (1. und 2. Stand) entmachtet und faktisch die Herrschaft des Geldadels (die Plutokratie) die alte des Schwert- und Blutadels ersetzte.Es ist so aber auch die Privatisierung der christlichen Religion in dem sich herausbildenden Nationalstaat als ein revolutionäres Moment anzusehen, denn so startete das Experiment, Gesellschaften und Staaten nicht mehr religiös zu fundieren. Der Patriotismus und Nationalismus sollte so die Funktion der christlichen Religion übernehmen, wobei sich faktisch aber die christliche Religion mit dem Patriotismus und Nationalismus synthetisierte und so als öffentliche Religion am Leben blieb.
Der Glaube an das höchste Menschenrecht des Eigentumes ist nun der Kerngedanke des Liberalismus. Es könnte hinzugefügt werden, des bürgerlichen, aber wäre das nicht eine Tautologie? Könnte es einen nichtbürgerlichen Liberalismus geben? Ja, wenn man den linken Anarchismus als antibürgerlichen Liberalismus deuten würde. Das Bürgertum kann aber conservativ und somit antiliberal werden, besonders dann, wenn es seine Privilegien als Geldadel gefährdet sieht. Das Bürgertum als Geldadel setzt sich ja von den "Neureichen", den Parvenüs ab, zählt zu ihm doch nur der schon von Geburt an Dazugehörige dazu, in diesem Punkte den alten Blutadel imitierend.
Das Bürgerliche ist eben nur bürgerlich in seiner Entgegensetzung zum Nichtbürgerlichen, dem Adel und dem Klerus einerseits und dem Proletariat und dem Subproletariat andererseits. Fällt diese doppelte Entgegensetzung zur Konstituierung des Bürgerlichen fort, dann verliert das Bürgerliche seine Identität. Es vergißt sich selbst dabei als revolutionäre Kraft wider die Adels- und Klerusherrschaft und als Gegenüber zu der arbeitenden Klasse. Das Bürgerliche verdünnt sich so zu einem blasierten Liberalismus, der immer noch in dem starken Staat eine Bedrohung seiner bürgerlichen Freiheit sieht, statt ihn als den Ermöglichungsgrund individuelller Freiheit anzuerkennen.
Eines wird beim Diskurs über das Bürgerliche beflissentlich überlesen: die romantische Kritik am Bürgerlichen, dem Philister, der für die Romantik der Bürgerliche schlechthin ist. Diese Kritik sieht im Bürgerlichen und nicht erst in der marxistischen Arbeiterbewegung den Materialismus als dessen Grundprinzip an, daß alles ein Geschäft zu sein hat, und zwar ein lohnendes. Die bürgerliche Kultur hat so in sich selbst ein kompliziertes Verhältnis zur Kunst: Kann man Bürger und Künstler in einem sein? So einer der Zentralfragen Thomas Manns. Oder ist der Künstler ein antibürgerlich Lebender, der aber so nur in der bürgerlichen Welt existieren kann? Man möge an so eine schillernde Gestalt des Künstlerlebens wie die des Lord Byron denken, um sich dies Problem vor Augen zu halten.
Das Bürgerliche ist immer nur ein Teil des ganzen Volkes und es ist nur durch sein Sich-in- Opposition -Setzen zu den anderen Teilen des Volkes. Alles ist nur durch sein Gegenteil. Eine bürgerliche Partei kann so nie eine Volkspartei sein, sie könnte höchstens als Liberale Nichtbürger für diese bürgerliche Ideologie zu gewinnen versuchen. Aber mit wenig Erfolg, wie die Geschichte der F.D.P. zeigt.
Eines muß aber gesehen werden, daß das Bürgerliche selbst nicht die Heimat der christlichen Religion ist. Der protestantische Theologe Schleiermacher versuchte noch, die gebildeten Verächter der christlichen Religion in den postaufklärerischen Zeiten für die Religion zurückzugewinnen durch eine aufklärungskompatible Umformung der christlichen Religion, aber faktisch begann nach Kant der Auszug des Bildungsbürgertumes aus der Religion. So ist das Verhältnis des Bürgerlichen zu dem, was die Abendländische Kultur genannt wird, auch ein komplexes in dem Zusammenspiel von Bewahrung und Überwindung dieser Kultur.
Corollarium 1
Kann der Terror der Französischen (bürgerlichen)Revolution bejaht, der der Bolschewistischen (des 4.Standes) Revolution aber verneint werden ?
Das Bürgerliche ist eben nur bürgerlich in seiner Entgegensetzung zum Nichtbürgerlichen, dem Adel und dem Klerus einerseits und dem Proletariat und dem Subproletariat andererseits. Fällt diese doppelte Entgegensetzung zur Konstituierung des Bürgerlichen fort, dann verliert das Bürgerliche seine Identität. Es vergißt sich selbst dabei als revolutionäre Kraft wider die Adels- und Klerusherrschaft und als Gegenüber zu der arbeitenden Klasse. Das Bürgerliche verdünnt sich so zu einem blasierten Liberalismus, der immer noch in dem starken Staat eine Bedrohung seiner bürgerlichen Freiheit sieht, statt ihn als den Ermöglichungsgrund individuelller Freiheit anzuerkennen.
Eines wird beim Diskurs über das Bürgerliche beflissentlich überlesen: die romantische Kritik am Bürgerlichen, dem Philister, der für die Romantik der Bürgerliche schlechthin ist. Diese Kritik sieht im Bürgerlichen und nicht erst in der marxistischen Arbeiterbewegung den Materialismus als dessen Grundprinzip an, daß alles ein Geschäft zu sein hat, und zwar ein lohnendes. Die bürgerliche Kultur hat so in sich selbst ein kompliziertes Verhältnis zur Kunst: Kann man Bürger und Künstler in einem sein? So einer der Zentralfragen Thomas Manns. Oder ist der Künstler ein antibürgerlich Lebender, der aber so nur in der bürgerlichen Welt existieren kann? Man möge an so eine schillernde Gestalt des Künstlerlebens wie die des Lord Byron denken, um sich dies Problem vor Augen zu halten.
Das Bürgerliche ist immer nur ein Teil des ganzen Volkes und es ist nur durch sein Sich-in- Opposition -Setzen zu den anderen Teilen des Volkes. Alles ist nur durch sein Gegenteil. Eine bürgerliche Partei kann so nie eine Volkspartei sein, sie könnte höchstens als Liberale Nichtbürger für diese bürgerliche Ideologie zu gewinnen versuchen. Aber mit wenig Erfolg, wie die Geschichte der F.D.P. zeigt.
Eines muß aber gesehen werden, daß das Bürgerliche selbst nicht die Heimat der christlichen Religion ist. Der protestantische Theologe Schleiermacher versuchte noch, die gebildeten Verächter der christlichen Religion in den postaufklärerischen Zeiten für die Religion zurückzugewinnen durch eine aufklärungskompatible Umformung der christlichen Religion, aber faktisch begann nach Kant der Auszug des Bildungsbürgertumes aus der Religion. So ist das Verhältnis des Bürgerlichen zu dem, was die Abendländische Kultur genannt wird, auch ein komplexes in dem Zusammenspiel von Bewahrung und Überwindung dieser Kultur.
Corollarium 1
Kann der Terror der Französischen (bürgerlichen)Revolution bejaht, der der Bolschewistischen (des 4.Standes) Revolution aber verneint werden ?
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