Donnerstag, 19. September 2019

Untergang des Abendlandes Notizen

Die Differenz zwischen der mittelalterlichen und der modernen bürgerlichen Gesellschaft erfaßt Ernst Nikiesch so: "Die mittelalterliche Gesellschaft war auf ein überirdisches Gut, auf das >Seelenheil< ausgerichtet; so mußten auch die Dinge des Alltags irgendwie eine übersinnliche Seite hervorkehren,um vor dem alles beherrschenden Wertmaßstab bestehen zu können." Ernst Niekisch, Die dritte imperiale Figur, Kapitel 18:Die liberale Versuchung.Das ist sicher eine sehr abbreviaturhafte Erfassung des Mittelalterlichen, trifft aber doch den Kern, wenn diese Aussage eingeschrieben wird in den Vorstellungsraum eines Zwei-Welten Schemas, dem "Unten" und dem "Oben", dem irdischen und dem himmlischen, dem Diesseitigen und dem Jenseitigen. Das Eigentliche und Wahre ist das Jenseitige, von dem das Diesseitige getrennt und doch auch verbunden ist. Das platonische Urbild-Abbild- Schema ist dafür das markanteste Vorstellungsmodell. 
Das Einzelne wird dann begriffen als eine individuierte Realisation der ewigen Idee, und somit ist auch das Diesseitige in seinem Getrenntsein vom Überirdischen verbunden. Die ideele Welt ist somit auch der normative Maßstab für das Irdische. Die Idee des Menschen soll eben in den Einzelrealisationen der Idee des Menschen herausgebildet werden. Die Frage: Was ist das? war so die Frage nach der Idee, die sich in diesem Etwasse zur Erscheinung gebracht hat. Sein Begreifen ist seine Rückführung zu seiner Idee. In diesem Vorstelungsraum ist es dann auch selbstverständlich, daß die Aufgabe des Menschen sein Weg in die jenseitige Welt ist. Salopp formuliert: Die Erde gleicht einem Trampolin, durch das der Mensch versuchen soll, den Himmel zu erreichen, nur daß die irdischen Verlockungen ihn an die Erde binden, ja gar fesseln, um so seinen Aufstieg zu verhindern.
Im Tiefsten war so der mittelalterliche Mensch davon überzeugt, daß es seine Aufgabe war, sich zu überwinden, um zum wahren Leben im Jenseitigen zu gelangen. 
Das war nun die Substanz des christlichen Abendlandes und selbst die Frage des (so modern anmutenden)Luthers: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? ist ohne diesen Vorstellungsraum nicht verstehbar. 
Was ändert sich nun in der Moderne? " daß es der Sinn der Welt sei, dem Bürger Profit und Rente abzuwerfen." (a.a.O.)"der >Profit< wurde auf den Platz erhoben, den bisher das >Seelenheil< eingenommen gehabt hatte. Mit diesem Austausch wurde eine Achsendrehung um einhundertachtzig Grad vollzogen; der >Profit< ist als Grundwert so diesseitig, wie das >Seelenheil< jeseitig war. Das Diesseitige wird nun zu dem wahren Lebensort des Menschen, der Himmel zu etwas, was man getrost den Spatzen überlassen kann (Heinrich Heine), oder wie es Ludwig Thoma sagt: Der wahre Himmel ist im Hofbräuhos (Ein Münchner im Himmel)  

Wie kann aber nun noch dies so Konträre unter einem Begriff, dem des christlichen Abendlandes subsumiert werden? Oder sollte das christliche Abendland schon in der Moderne untergegangen sein? Aber nach der Einsicht von Max Weber verdankt sich die Moderne ja gerade dem Christentum, und zwar dem protestantischen. Es sei an sein Werk "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" erinnert. Ja, es könnte noch tiefer geschürt werden: Bildet nicht der Auftrag zur Beherrschung der Natur, von Gott dem Menschen gegeben, das Fundament dieser Moderne? Könnte so gesehen das Mittelalterliche auch  eine Vereinseitigung der Aufgabe des Menschen darstellen, daß die Beauftragung zur Weltbeherrschung vernachlässigt worden ist?

Dann  wäre die Moderne selbst wiederum  eine Vereinseitigung dieses Beherrschungsauftrages. Aber in ihm sind doch noch Grundüberzeugungen der christlichen Religion lebendig: daß die Welt und isb. die Natur als etwas von Gott Erschaffenes nicht selbst göttlich ist (gegen postmoderne Tendenzen der Vergöttlichung der Natur, pantheistisch influenziert), daß die Welt so das Material der menschlichen Pflicht ist, daß er sie zu gestalten hat und daß der Mensch das auch kann, weil er zwar als  Körper irdisch, aber als Seele überirdisch ist und so zur Beherrschung des Irdischen befähigt ist. Die exzeptionelle Stellung des Menschen in der Natur ist so eine genuin monotheistische Vorstellung, die im christlichen Abendland den modernen Menschen hervorrief, insbesondere dann aber durch die Um- und Verformung der christlichen Religion durch die Reformation und den Protestantismus. So bleiben selbst noch Spuren des Zwei-Welten-Schemas in der Moderne erhalten, indem der Mensch sich als Jenseits der Natur versteht.
Aber mit Nietzsche wird gerade dem Zwei-Welten-Schema der Krieg erklärt. Es gibt nur eine. (Pantheistische Tendenzen hatten das vorbereitet.)Ist damit nicht faktisch das Ende des christlichen Abendlandes zumindest im philosophischen Denken angesagt? Ja, das kann so gesehen werden. Nietzsche ist eben ein prophetischer Denker, seiner Zeit voraus, vielleicht sogar noch für uns ein Zukünftiger, ein Nichtzeitgenosse.
Ging somit das christliche Abendland mit dem Ende der letzten drei christlichen Monarchien, der Rußlands,Österreichs und Deutschlands zu Ende? Die Moderne kam dann aber erst mit dem Ende des letzten Experimentes der Moderne, eine rein vernünftige Welt zu erschaffen, die des Kommunismus 1989f.       

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen