Montag, 9. Dezember 2019

Fenster zu einer anderen Wirklichkeit: Religion und Kunst

"Leicht ließe sich denken, daß ihr [der Kunst]  autonomes Reich mit der auswendigen Welt nicht mehr gemein hat als entlehnte Elemente,die in einem gänzlich verändertem Zusammenhang treten." Dieser Gedanke stammt von Adorno, Ästhetische Theorie, stw 1973, S.15. 
"Der Psychlogismus ästhetischer Interpretationen versteht sich nicht schlecht mit der philiströsen Ansicht vom Kunstwerk als einem harmonisch die Gegensätze Beschwichtigendem, dem Traumbild eines besseren Lebens, ungedenk des Schlechten, dem es abgerungen ist." (S.25)
Kunst als Flucht vor der Realität? Adorno dazu: "Anpassung an die Realität wird zum summum bonum [des Realitätsprinzipes]. Die Realität liefert zu vielen realen Grund, sie zu fliehen,als daß eine Entrüstung über Flucht anstände,die von harmonischer Ideologie getragen wird;" (S.21)Wahrlich, tiefsinnige Gedanken über das Kunstwerk. Spontan: Diese hier von Adorno zitierte Kunstkritik erinnert auch an eine populäre Religionskritik als Fluchtbewegung aus der Realität in imaginäre Traumwelten. Aber verweilen wir beim Kunstwerk und seiner Relation zur Wirklichkeit. Der Gedanke, die Kunst als autonomes Reich zu verstehen, besticht. Darin reflektiert sich die Emanzipation der Kunst aus dem Leben des religiösen Kultes, des ersten Ortes seines Seins. Wenn aber die Kunst nicht mehr dem Kult subordiniert ist und sie sich auch nicht wieder andrem gegenüber subordinieren läßt als Propagandakunst für politische Ideologien oder der Werbung, dann ist sie autonom. Das heißt aber seit der Moderne, daß ihre Autonomie nur ein anderes Wort ist für ihr Unterworfensein unter die Gesetze des freien Marktes. 
Wenn das Realitätsprinzip das aller Wissenschaften ist, dann ist die Kreativität das Prinzip der Kunst: Sie schafft im Kunstwerk ein nichtwirkliches Reich, das aber für den sie Wahrnehmenden zur Realität wird, solange das Kunstwerk genossen wird. Das wäre die Differenz zur Religion, in der der Mensch sich in Beziehung setzt mit der Wahrheit jenseits der Scheinwelt des Wirklichen. 
Nur, was macht dann die ästhetische Qualität eines Kunstwerkes aus? Seine Qualität kann dann ja nicht seine angemessene Widerspiegelung der Wirklichkeit sein.  
Eines dürfte aber mit Adorno wohl gesagt werden, daß der Tod der Kunst nicht einfach sich ereignen würde, wenn die Welt so gut wäre, daß sie kein Flüchten aus ihr mehr sinnvoll erscheinen ließe. Die Kreativität, künstliche Reiche zu schaffen, versandete nicht in einer gerechten und guten Welt, wenn denn überhaupt je eine solche von Menschen erschaffbar wäre.  
Näher liegt es doch, gerade in dieser menschlichen Kreativität des Hervorbringens von Kunstwerken die Ebenbildlichkeit des Menschen zu erkennen, daß er an der göttlichen Kreativität des Weltenerschaffens in derMiniaturform des Kunstwerkes partizipiert. Könnte es so doch noch auch für das autonome Kunstwerk einen Bezug zur Religion geben, daß in und durch sie Fenster zu jenseitigen (künstlichen) Welten erschaffen werden, die den Kunst Genießenden aus der Eindimensionalität des Wirklichen herausführt zur Vorstellung von anderen Wirklichkeiten jenseits der uns gegebenen Realität.      

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