Mittwoch, 22. April 2020

Das Gute erkennen, um es zu vollbringen...oder verunmöglicht die Erkenntnis das Gute Tuen?

man kann nicht zugleich die Wahrheit wissen und fortfahren, böse zu sein, da wir, je mehr wir wissen, der Tugend umso näher kommen“ Slavoj Zizek, Die Tücke des Subjekts, 2001, S.448. Genau dieser nicht nur von Platon eingenommene Standpunkt wird nun von dem Theologen Malebranche, aber auch von dem Philosophen der Aufklärung kritisiert durch die Antithese,daß eine vollkommene Erkenntnis des Guten und Wahren (Gottes) ein moralisches Handeln verunmöglichte! Das irritiert und darum soll dieser Gedankengang hier nachgezeichnet werden,soll damit ja auch ergründet werden, warum Gott selbst eine Welt erschuf, in der er nicht selbst eindeutig zu erkennen ist.
Ein kleines Gedankenexperiment: Jesus wäre nach seiner österlichen Auferstehung nach Jerusalem zurückgekehrt und hätte angefangen, dort die entstehende Kirche zu leiten und noch heute wäre er in Jerusalem und lehrte und regierte da.Wer könnte noch an seiner Wahrheit zweifeln, könnte jeder wie die ungläubige Thomas seine Hände in Jesu Wunden legen? Aber könnten wir dann noch glauben, wenn wir so schon im Schauen der Wahrheit lebten?
Aber das war zu schnell gedacht. Heben wir an mit Malebranches Argument, wie Zizek es zusammenfaßt: „Wenn wir imstande wären, die wahre Beschaffenheit der Dinge unmittelbar wahrzunehmen, würden wir Gott unerschütterlich und instinktiv lieben, nicht aufgrund unseres freien Willens“. (S.447)Wenn wir Gott, das Gute vollkommen erkennen könnten, gäbe es keinen Raum für unsere moralischen Handlungen, für unseren Kampf, die Konsequenzen unseres Sündenfalls ungeschehen zu machen und unsere verlorene Tugend wiederzuerlangen. (S.448)Zizek resümiert: „Eine gewisse radikale Unwissenheit ist die positive Bedingung dafür,tugendhaft sein zu können.“ (S.448)
Implizite wird dabei präsumiert, daß
A) eine Handlung wird nur dann moralisch/tugendhaft vollbracht , wenn sie auch nich hätte vollzogen werden könnte. Das Gute ist nur als kontingente Nichtrealisierung des Nichtguten eine gute Tat.
B) Wenn das Gute erkannt wird, dann wird es auch vollbracht, denn der freie Wille wird durch die Erkenntnis des Guten determiniert. Wer das Gute, die Wahrheit vollkommen erkannt hat, der kann so nicht anders als daß sein Wille das Gute dann auch will. Dann ist das Gute aber nicht mehr freiwillig gewollt, sondern determiniert durch die Erkenntnis des Guten und diese Erkenntnis negiert so die Freiheit des Willens. Aber nur das freiwillig Gewollte ist ein im moralischen Sinne gut Gewolltes.

Ergo, Gott offenbart sich deshalb nicht so, daß er eindeutig erkennbar ist und das von ihm Gewollte, damit der Mensch tugendhaft das Gute glauben und wollen kann. Überzeugt das? Der gewichtigste Einwand: Der freie Wille wird nicht durch die Erkenntnis des Guten determiniert. Erkennend, was das Gute ist, kann der Wille doch das Böse wollen. Der Erzengel Lucifer kannte Gott und wußte, was Gott von ihm wollte und doch revoltierte er gegen Gott und wurde so zum Satan. Das Erkennen des Wahren und Guten und daß trotzdem er das Böse wollte und vollbrachte konstituiert ja sein Wollen und Tuen erst zu einer Sünde, für die er uneingeschränkt verantwortlich ist. Um die Universalität der Sünde zu begründen, daß so auch die Heiden und nicht nur die Juden, denen Gott sein Gesetz gegeben hatte, Christus als Erlöser bedürfen, konstruiert Paulus in dem Römerbrief die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis wie auch ein Wissen um das Gesetz Gottes im Gewissen der Heiden, um zu beweisen, daß ihnen allen der Unglaube an den einen Gott wie das Nichthalten der Gebote Gottes schuldhaft anrechenbar sei. Sie konnten Gott erkennen, sie wußten, was Gott von ihnen verlangt im Gewissen, und doch glaubten sie nicht und lebten wider das Gesetz Gottes. Ohne eine Erkenntnis des Wahren und des Guten kann es so keine Sünde geben.
Maria, die Mutter Gottes erkannte, was Gott von ihr wollte, das ist das Gute, aber diese Erkenntnis determinierte ihren Willen nicht, sodaß sie nur noch das Gute hätte wollen können. Sie wollte es freiwillig denn sie hätte kraft ihrer Freiheit auch das Gute kennend das Nichtgute wollen können. Nur deshalb kann von den Verdiensten der Mutter Gottes gesprochen werden.
Aber doch scheint die paulinische Unterscheidung vom Leben im Glauben vom Leben im Schauen Malebranche auch recht zu geben. Gerade weil wir Christen (noch) nicht sehend schon glauben, ist unser Glaube eine Tugend. Der Glaube ist aber nur tugendhaft, weil die Offenbarung Gottes in Jesus Christus uns die Möglichkeit eröffnnet, glauben zu können, weil wir auch die Möglichkeit haben, der Offenbarung nicht zu glauben. Gäbe es nun eine göttliche Offenbarung, die uns die Freiheit nähme, nicht sie glauben zu können, dann könnten wir sie auch nicht glauben. Denn der Glaube impliziert immer auch einen Mangel an Erkenntnis. Zur Veranschaulichung: Sagte eine Ehefrau zu ihrem Mann: „Ich glaube Dir, daß Du mich auf Deiner Dienstreise nicht betrogen hast“,dann könnte sie ihm nicht glauben, hätte sie ihren Ehemann durch einen Detektiv überwachen lassen, sodaß sie wüßte, daß der Mann sie auf der Dienstreise nicht betrogen hatte. Die Möglichkeit des Glaubens setzt so ein Defizit an Erkennen voraus.
Aber auch die Erkenntnis der Wahrheit führt nicht notwendig dazu, daß sie auch anerkannt wird und daß dann nach ihr gelebt wird. Lucifer erkannte als Erzengel die Wahrheit und doch revoltierte er gegen die von ihm selbst erkannte Wahrheit.
Also muß gefolgert werden, daß selbst eine geschaute und nicht nur erkannte Wahrheit den freien Willen nicht determiniert, sodaß er nur noch das Gute wollen kann. Ja, die Freiheit ist geradezu das Vermögen, das Gute erkennend doch das Böse wollen zu können. Aber so nur kann auch das Gute im moralischen Sinne gut/verdienstlich gewollt werden.
Vgl hierzu: Uwe Christian Lay, Die Übel und der gute Gott. Theodizee, Gustav Siewerth Akademie.

So ist in eingeschränkter Hinsicht Malebranche auch recht zu geben: Wir können nur Gott glauben, weil seine Offenbarung nicht so eindeutig ist, daß wir sie schon schauen könnten. Denn wer Gott schaut, der kann nicht mehr an ihn glauben.

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