„man
kann nicht zugleich die Wahrheit wissen und fortfahren, böse zu
sein, da wir, je mehr wir wissen, der Tugend umso näher kommen“
Slavoj Zizek, Die Tücke des Subjekts, 2001, S.448. Genau dieser
nicht nur von Platon eingenommene Standpunkt wird nun von dem
Theologen Malebranche, aber auch von dem Philosophen der Aufklärung
kritisiert durch die Antithese,daß eine vollkommene Erkenntnis des
Guten und Wahren (Gottes) ein moralisches Handeln verunmöglichte!
Das irritiert und darum soll dieser Gedankengang hier nachgezeichnet
werden,soll damit ja auch ergründet werden, warum Gott selbst eine
Welt erschuf, in der er nicht selbst eindeutig zu erkennen ist.
Ein
kleines Gedankenexperiment: Jesus wäre nach seiner österlichen
Auferstehung nach Jerusalem zurückgekehrt und hätte angefangen,
dort die entstehende Kirche zu leiten und noch heute wäre er in
Jerusalem und lehrte und regierte da.Wer könnte noch an seiner
Wahrheit zweifeln, könnte jeder wie die ungläubige Thomas seine
Hände in Jesu Wunden legen? Aber könnten wir dann noch glauben,
wenn wir so schon im Schauen der Wahrheit lebten?
Aber
das war zu schnell gedacht. Heben wir an mit Malebranches Argument,
wie Zizek es zusammenfaßt: „Wenn
wir imstande wären, die wahre Beschaffenheit der Dinge unmittelbar
wahrzunehmen, würden wir Gott unerschütterlich und instinktiv
lieben, nicht aufgrund unseres freien Willens“. (S.447)Wenn
wir Gott, das Gute vollkommen erkennen könnten, gäbe
es keinen Raum für unsere moralischen Handlungen, für unseren
Kampf, die Konsequenzen unseres Sündenfalls ungeschehen zu machen
und unsere verlorene Tugend wiederzuerlangen. (S.448)Zizek
resümiert: „Eine gewisse
radikale Unwissenheit ist die positive Bedingung dafür,tugendhaft
sein zu können.“ (S.448)
Implizite
wird dabei präsumiert, daß
A)
eine Handlung wird nur dann moralisch/tugendhaft vollbracht , wenn
sie auch nich hätte vollzogen werden könnte. Das Gute ist nur als
kontingente Nichtrealisierung des Nichtguten eine gute Tat.
B)
Wenn das Gute erkannt wird, dann wird es auch vollbracht, denn der
freie Wille wird durch die Erkenntnis des Guten determiniert. Wer das
Gute, die Wahrheit vollkommen erkannt hat, der kann so nicht anders
als daß sein Wille das Gute dann auch will. Dann ist das Gute aber
nicht mehr freiwillig gewollt, sondern determiniert durch die
Erkenntnis des Guten und diese Erkenntnis negiert so die Freiheit des
Willens. Aber nur das freiwillig Gewollte ist ein im moralischen
Sinne gut Gewolltes.
Ergo,
Gott offenbart sich deshalb nicht so, daß er eindeutig erkennbar ist
und das von ihm Gewollte, damit der Mensch tugendhaft das Gute
glauben und wollen kann. Überzeugt das? Der gewichtigste Einwand:
Der freie Wille wird nicht durch die Erkenntnis des Guten
determiniert. Erkennend, was das Gute ist, kann der Wille doch das
Böse wollen. Der Erzengel Lucifer kannte Gott und wußte, was Gott
von ihm wollte und doch revoltierte er gegen Gott und wurde so zum
Satan. Das Erkennen des Wahren und Guten und daß trotzdem er das
Böse wollte und vollbrachte konstituiert ja sein Wollen und Tuen
erst zu einer Sünde, für die er uneingeschränkt verantwortlich
ist. Um die Universalität der Sünde zu begründen, daß so auch die
Heiden und nicht nur die Juden, denen Gott sein Gesetz gegeben hatte,
Christus als Erlöser bedürfen, konstruiert Paulus in dem Römerbrief
die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis wie auch ein
Wissen um das Gesetz Gottes im Gewissen der Heiden, um zu beweisen,
daß ihnen allen der Unglaube an den einen Gott wie das Nichthalten
der Gebote Gottes schuldhaft anrechenbar sei. Sie konnten Gott
erkennen, sie wußten, was Gott von ihnen verlangt im Gewissen, und
doch glaubten sie nicht und lebten wider das Gesetz Gottes. Ohne eine
Erkenntnis des Wahren und des Guten kann es so keine Sünde geben.
Maria,
die Mutter Gottes erkannte, was Gott von ihr wollte, das ist das
Gute, aber diese Erkenntnis determinierte ihren Willen nicht, sodaß
sie nur noch das Gute hätte wollen können. Sie wollte es freiwillig
denn sie hätte kraft ihrer Freiheit auch das Gute kennend das
Nichtgute wollen können. Nur deshalb kann von den Verdiensten der
Mutter Gottes gesprochen werden.
Aber
doch scheint die paulinische Unterscheidung vom Leben im Glauben vom
Leben im Schauen Malebranche auch recht zu geben. Gerade weil wir
Christen (noch) nicht sehend schon glauben, ist unser Glaube eine
Tugend. Der Glaube ist aber nur tugendhaft, weil die Offenbarung
Gottes in Jesus Christus uns die Möglichkeit eröffnnet, glauben zu
können, weil wir auch die Möglichkeit haben, der Offenbarung nicht
zu glauben. Gäbe es nun eine göttliche Offenbarung, die uns die
Freiheit nähme, nicht sie glauben zu können, dann könnten wir sie
auch nicht glauben. Denn der Glaube impliziert immer auch einen
Mangel an Erkenntnis. Zur Veranschaulichung: Sagte eine Ehefrau zu
ihrem Mann: „Ich glaube Dir, daß Du mich auf Deiner Dienstreise
nicht betrogen hast“,dann könnte sie ihm nicht glauben, hätte sie
ihren Ehemann durch einen Detektiv überwachen lassen, sodaß sie
wüßte, daß der Mann sie auf der Dienstreise nicht betrogen hatte.
Die Möglichkeit des Glaubens setzt so ein Defizit an Erkennen
voraus.
Aber
auch die Erkenntnis der Wahrheit führt nicht notwendig dazu, daß
sie auch anerkannt wird und daß dann nach ihr gelebt wird. Lucifer
erkannte als Erzengel die Wahrheit und doch revoltierte er gegen die
von ihm selbst erkannte Wahrheit.
Also
muß gefolgert werden, daß selbst eine geschaute und nicht nur
erkannte Wahrheit den freien Willen nicht determiniert, sodaß er nur
noch das Gute wollen kann. Ja, die Freiheit ist geradezu das
Vermögen, das Gute erkennend doch das Böse wollen zu können. Aber
so nur kann auch das Gute im moralischen Sinne gut/verdienstlich
gewollt werden.
Vgl
hierzu: Uwe Christian Lay, Die Übel und der gute Gott. Theodizee,
Gustav Siewerth Akademie.
So
ist in eingeschränkter Hinsicht Malebranche auch recht zu geben: Wir
können nur Gott glauben, weil seine Offenbarung nicht so eindeutig
ist, daß wir sie schon schauen könnten. Denn wer Gott schaut, der
kann nicht mehr an ihn glauben.
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