Dienstag, 21. April 2020

Wenn um Tote getrauert wird- oder daß wir mehr wissen als uns bewußt ist

Ob ich am Grabe meines Mannes wohl künstliche Blumen hinstellen kann? Würde mein Mann das akzeptieren, könnten die ihm gar gefallen?“ Vor mir stand eine ältere Frau mit zwei Krücken, sich nur sehr langsam und mühselig fortbewegen könnend. Wir standen in der Abteilung: Künstliche Blumen eines großen Kaufhauses. Ein großes Angebot an Dekorationsmaterial und so auch an künstlichen Blumen. „Ach, das Gehen fällt mir so schwer. Und dann der lange Weg auf dem Friedhof zum Grabe. Bisher habe sie ihrem Manne immer frische Blumen gebracht; er liebte Blumen. Aber jetzt: Ob ihm auch künstliche gefallen könnten?
Wir sprechen, wenn wir sprechen haben wir eine Aussagenintention, die dann vom Sprecher sprachlich formuliert wird, hoffend, daß der Adressat die Intention des Gesagten dann erkennt. Was wäre so die Intention dieser Frage? Wird man aber mit dieser Frage dem Ausgesagten gerecht? Ein Verdacht: daß noch viel mehr hier ausgesagt worden ist, als der Sprecherin bewußt ist und daß dies vielleicht noch bedeutsamer ist, als das bewußt Intendierte, also die Frage, ob sie hier künstliche Blumen für das Grab ihres Mannes kaufen soll.
Sie frägt nicht: Würden mir künstliche Blumen am Grabe meines Mannes gefallen. Sie frägt auch nicht, ob man das wohl darf, oder konkreter: Was wird man über mich reden, wenn gesehen wird, daß ich da künstliche Blumen hinstelle? Sie frägt nach dem Urteile ihres toten Ehemannes! Ist denn nun diese Frage überhaupt sinnvoll? Er ist doch verstorben und kann so gar nicht bemerken, daß nun anstelle der frischen Blumen nun künstliche stehen würden? Die Grabpflege ist so doch nur eine Angelegenheit der Witwe in ihrem kulturellen Kontext: Wie würde man über mich reden/urteilen, wenn ich das so täte?, also die Stimme des Überiches.
Aber sie frägt nicht so. Wenn diese Frage keine sinnwidrige ist, dann impliziert diese Frage die Vorstellung, daß der Verstorbene wahrnimmt, was für Blumen auf seinem Grabe aufgestellt werden und daß ihm das nicht gleichgültig ist. Wie kann denn nun ein Verstorbener das noch wahrnehmen? Hätte ich das diese Frau gefragt, diese Frage hätte sie gewiß überfordert. Daß diese Frage eine sinnvolle ist, dafür reicht die Vorstellung aus, daß der Verstorbene das noch wahrnehmen kann und auch wahrnimmt. Das reicht aus, um auf diese praxisorientierte Frage eine Antwort zu finden: „Akzeptiert mein Mann künstliche Blumen auf seinem Grabe?“
Eine theologische Reflexion kann hier aber nicht stehen bleiben, denn sie hat zu ergründen, wie das Todsein zu denken ist, wenn von einem Verstorbenen aussagbar ist, daß er noch wahrnimmt, wie sein Grab gepflegt wird und daß es ihm nicht gleichgültig ist! Sterben heißt, daß die Seele sich von ihrem Körper trennt und daß dann der entseelte Körper zerfällt, die Seele aber selbstständig weiter lebt. Was vermag die körperlose Seele, wie ist sie zu denken, wenn von ihr ausgesagt wird, daß sie noch weiter am irdischen Leben partizipiert, sie nimmt noch wahr, was auf Erden geschieht und ihr ist es nicht gleichgültig.
Hier weist die Seelenlehre wohl einige Defizite auf? Wie können den die Seelen der Heiligen, die wir zur Fürbitte anrufen, etwa die hl. Anna oder der hl. Pater Pio überhaupt unsere Gebete hören, wahrnehmen, daß wir sie um Hilfe anrufen? Was kann die vom Körper getrennte Seele? Luther begab sich da auf einen großen Irrweg, als er meinte, postmortal schliefen die Seelen einfach im Himmel bis zum Tage ihrer Auferweckung, der Wiedervereinigung mit dem Leibe.
Zwingli wandte dagegen ein, daß wir Menschen ob unseres Leibes schlafen müßten, Ausruhpausen bräuchten, daß aber die Seele nicht schliefe, sondern selbst wenn der Leib schläft, aktiv bleibe und darum so viel träume. Wenn nun die Seele befreit vom Leib sei, würde sie keineswegs schlafen sondern noch aktiver sein als wenn sie im Leibe ist. Zudem, wie könnte sie schlafen, wenn sie endlich Daheim bei Gott sei!Nur darf dies in der Heimatsein nicht so vorgestellt werden, als verlöre die Seele zurückgekehrt nun jeden Bezug zum irdischen Leben. Gerade die Heiligen, bei Gott im Himmel, sind doch die, auf deren Fürsprache wir vertrauen, daß sie also unser Rufen hören und dann Gott für uns bitten.
So lebt die Beerdigungskultur wirklich von dem Vertrauen, daß die Verstorbenen Anteil nehmen daran, ob und wie wir uns ihrer erinnern und daß wir auch für sie beten. Der Tod zerreißt nicht einfach die Bande zwischen den Lebenden und den Toten. Wir beten für sie und sie für uns.
All dies verlangt nach einem Durchdenken, was es wirklich heißt, verstorben zu sein. Es bedarf isb einer Seelenlehre, die Auskunft darüber gibt, was die körperlose Seele vermag! Was ist ihr natürliches Vermögen und zu was wird sie dann durch die göttliche Gnade befähigt? Es sei hier auch an die Armen Seelen erinnert, die Lebenden erscheinen, isb um für Gebete für sie zu erbitten. Auch das wird uns nicht einfach nur ein religiöses Phantasieprodukt mehr erscheinen, wird ernsthaft über das Vermögen der körperlosen Seele nachgedacht. 

Merksatz: 
In dem, was wir sagen, sagen wir oft mehr Wahres als uns bewußt ist. Die Sprache ist wahrer als das, was wir meinen, in ihr auszusagen. Ist die Sprache nicht der Geist, in dem wir leben? Ist nicht der Konjunktiv das Bewußtsein menschlicher Freiheit?

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