Ob ich am
Grabe meines Mannes wohl künstliche Blumen hinstellen kann? Würde
mein Mann das akzeptieren, könnten die ihm gar gefallen?“ Vor mir
stand eine ältere Frau mit zwei Krücken, sich nur sehr langsam und
mühselig fortbewegen könnend. Wir standen in der Abteilung:
Künstliche Blumen eines großen Kaufhauses. Ein großes Angebot an
Dekorationsmaterial und so auch an künstlichen Blumen. „Ach, das
Gehen fällt mir so schwer. Und dann der lange Weg auf dem Friedhof
zum Grabe. Bisher habe sie ihrem Manne immer frische Blumen gebracht;
er liebte Blumen. Aber jetzt: Ob ihm auch künstliche gefallen
könnten?
Wir
sprechen, wenn wir sprechen haben wir eine Aussagenintention, die
dann vom Sprecher sprachlich formuliert wird, hoffend, daß der
Adressat die Intention des Gesagten dann erkennt. Was wäre so die
Intention dieser Frage? Wird man aber mit dieser Frage dem
Ausgesagten gerecht? Ein Verdacht: daß noch viel mehr hier ausgesagt
worden ist, als der Sprecherin bewußt ist und daß dies vielleicht
noch bedeutsamer ist, als das bewußt Intendierte, also die Frage,
ob sie hier künstliche Blumen für das Grab ihres Mannes kaufen
soll.
Sie frägt
nicht: Würden mir künstliche Blumen am Grabe meines Mannes
gefallen. Sie frägt auch nicht, ob man das wohl darf, oder
konkreter: Was wird man über mich reden, wenn gesehen wird, daß ich
da künstliche Blumen hinstelle? Sie frägt nach dem Urteile ihres
toten Ehemannes! Ist denn nun diese Frage überhaupt sinnvoll? Er
ist doch verstorben und kann so gar nicht bemerken, daß nun anstelle
der frischen Blumen nun künstliche stehen würden? Die Grabpflege
ist so doch nur eine Angelegenheit der Witwe in ihrem kulturellen
Kontext: Wie würde man über mich reden/urteilen, wenn ich das so
täte?, also die Stimme des Überiches.
Aber sie
frägt nicht so. Wenn diese Frage keine sinnwidrige ist, dann
impliziert diese Frage die Vorstellung, daß der Verstorbene
wahrnimmt, was für Blumen auf seinem Grabe aufgestellt werden und
daß ihm das nicht gleichgültig ist. Wie kann denn nun ein
Verstorbener das noch wahrnehmen? Hätte ich das diese Frau gefragt,
diese Frage hätte sie gewiß überfordert. Daß diese Frage eine
sinnvolle ist, dafür reicht die Vorstellung aus, daß der
Verstorbene das noch wahrnehmen kann und auch wahrnimmt. Das reicht
aus, um auf diese praxisorientierte Frage eine Antwort zu finden:
„Akzeptiert mein Mann künstliche Blumen auf seinem Grabe?“
Eine
theologische Reflexion kann hier aber nicht stehen bleiben, denn sie
hat zu ergründen, wie das Todsein zu denken ist, wenn von einem
Verstorbenen aussagbar ist, daß er noch wahrnimmt, wie sein Grab
gepflegt wird und daß es ihm nicht gleichgültig ist! Sterben heißt,
daß die Seele sich von ihrem Körper trennt und daß dann der
entseelte Körper zerfällt, die Seele aber selbstständig weiter
lebt. Was vermag die körperlose Seele, wie ist sie zu denken, wenn
von ihr ausgesagt wird, daß sie noch weiter am irdischen Leben
partizipiert, sie nimmt noch wahr, was auf Erden geschieht und ihr
ist es nicht gleichgültig.
Hier
weist die Seelenlehre wohl einige Defizite auf? Wie können den die
Seelen der Heiligen, die wir zur Fürbitte anrufen, etwa die hl. Anna
oder der hl. Pater Pio überhaupt unsere Gebete hören, wahrnehmen,
daß wir sie um Hilfe anrufen? Was kann die vom Körper getrennte
Seele? Luther begab sich da auf einen großen Irrweg, als er meinte,
postmortal schliefen die Seelen einfach im Himmel bis zum Tage ihrer
Auferweckung, der Wiedervereinigung mit dem Leibe.
Zwingli
wandte dagegen ein, daß wir Menschen ob unseres Leibes schlafen
müßten, Ausruhpausen bräuchten, daß aber die Seele nicht
schliefe, sondern selbst wenn der Leib schläft, aktiv bleibe und
darum so viel träume. Wenn nun die Seele befreit vom Leib sei, würde
sie keineswegs schlafen sondern noch aktiver sein als wenn sie im
Leibe ist. Zudem, wie könnte sie schlafen, wenn sie endlich Daheim
bei Gott sei!Nur darf dies in der Heimatsein nicht so vorgestellt
werden, als verlöre die Seele zurückgekehrt nun jeden Bezug zum
irdischen Leben. Gerade die Heiligen, bei Gott im Himmel, sind doch
die, auf deren Fürsprache wir vertrauen, daß sie also unser Rufen
hören und dann Gott für uns bitten.
So lebt
die Beerdigungskultur wirklich von dem Vertrauen, daß die
Verstorbenen Anteil nehmen daran, ob und wie wir uns ihrer erinnern
und daß wir auch für sie beten. Der Tod zerreißt nicht einfach die
Bande zwischen den Lebenden und den Toten. Wir beten für sie und sie
für uns.
All dies
verlangt nach einem Durchdenken, was es wirklich heißt, verstorben
zu sein. Es bedarf isb einer Seelenlehre, die Auskunft darüber gibt,
was die körperlose Seele vermag! Was ist ihr natürliches Vermögen
und zu was wird sie dann durch die göttliche Gnade befähigt? Es sei
hier auch an die Armen Seelen erinnert, die Lebenden erscheinen, isb
um für Gebete für sie zu erbitten. Auch das wird uns nicht einfach
nur ein religiöses Phantasieprodukt mehr erscheinen, wird ernsthaft
über das Vermögen der körperlosen Seele nachgedacht.
Merksatz:
In dem, was wir sagen, sagen wir oft mehr Wahres als uns bewußt ist. Die Sprache ist wahrer als das, was wir meinen, in ihr auszusagen. Ist die Sprache nicht der Geist, in dem wir leben? Ist nicht der Konjunktiv das Bewußtsein menschlicher Freiheit?
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