Ein politisch korrekter Sozialdemokrat, Herr Thierse, er war sogar mal aktiv im Laien- ZK der Katholischen Kirche Deutschlands tröstet die Leserschaft der quasi offiziellen Internetseite der Bischöfe: „Thierse: Religion hat auch in Demokratien noch längst nicht ausgedient.“ (9.5.2020) Las man in letzter Zeit von der Nichtsystemrelevanz der Kirchen, daß gar Baumärkte für wichtiger als öffentliche Gottesdienste angesehen werden, dann klingt Thierse doch schon richtig erbaulich.
Wozu
ist also die christliche Religion nützlich? Erstmal muß sie sich
klar von der AfD und jeder Kritik an der Politik der offenen Grenzen,
der Errichtung einer multiethnischen Gesellschaft absetzen. Solch
eine Kritik wäre Fremdenhaß. Aber die Religion habe auch eine
positive Seite,:
„als
Sinnstiftung individuellen Lebens, als Motivation für soziales
Engagement, als Sensibilität für Mitleiden und Vergeben, als
normative Bindekraft für eine zerklüftete Gesellschaft." Die
Religion soll also nicht nur eine Kritik des Bestehenden abwehren,
sondern zuvörderst das Bestehende fördern. Wodurch: a) soll sie
Sinn stiften für das individuelle Leben. Man beachte, nicht für das
Ganze stiftet sie Sinn, für das Ganze, die Gesellschaft, das Volk,
diese Größen bedürfen keiner Sinngebung, sondern nur für
Einzelne, Private, also für sozusagen Anspruchsvollere, denen ihr
Leben in dieser Gesellschaft so einfach nicht genügt. Der
humanistische Appell zeichnet so die Religion aus und verbindet so
eine zerklüftete Gesellschaft. Nun besteht die Gesellschaft aber
nicht nur aus Gliedern verschiedener Religionen sondern zusehens auch
aus Unreligiösen. Wie soll da etwas Partikulares die zerklüftete
Gesellschaft zusammenbinden können? Das wäre nur möglich, wenn der
humanistische Appell (die Sensibilisierung) etwas
Religionsübergreifendes wäre, ein Appell also, der von jedermann
positiv aufgenommen werden kann. (Dahinter steckt eine arg verdünnte
Version der natürlichen Religion als jedem Vernünftigen eigene, die
im Kern ein Appell zur Humanität ist.)
Aber
die Religion dient auch noch dazu: „Gegen
politische Heilslehren und menschenerniedriegende Ungerechtigkeit:
Gerade gläubige Menschen leisteten dagegen Widerspruch und
Widerstand, sagt Wolfgang Thierse.“
Hier
wird nun eine komplexere Denkfigur eingeführt:
A)
wird konstatiert, daß es Ungerechtigkeit gibt und B) daß es
Heilslehren gibt, die die Beseitigung dieser Ungerechtigkeit
verheißen. Die Religion soll nun einerseits die Humanisierung
fördern und andererseits die Bürger gegen Heilslehren immunisieren,
daß sie nicht radicalen Lösungskonzepten zustimmen oder sich gar
für sie engagieren. Die Intention dieser Doppelfunktion ist die
Aussöhnung mit der Realität erfahrener Ungerechtigkeit, indem zur
Humanisierung aufgerufen wird, gleichzeitig aber erklärt wird, daß
es keine prinzipielle Lösung gebe, denn das wäre eine Heilslehre.
Der Bürger soll halt immer nach dem Guten, der Optimierung streben
im Wissen darum, daß nie eine perfekte Lösung gefunden werden
könne.
Das
Wesentliche der Religion sei aber die Vorstellung von der gleichen
Würde aller Menschen, das zu vermitteln sei die Funktion der
Religion für die moderne Gesellschaft. Sie bietet sozusagen eine
religiöse Rahmung für die im Grundgesetz verankerte Würde des
Menschen, ohne dem da Ausgesagtem etwas hinzuzufügen. Die
Vorstellung von der gleichen Menschenwürde ist nämlich schon die
Substanz der Religion für diesen Politiker.
Von
welcher Religion spricht hier dieser Sozialdemokrat überhaupt?
Offensichtlich von jeder, die in ihre Substanz ein Appell zur
Humanisierung der Welt ist. Das spezifisch Religiöse, daß es etwa
um Gott geht, um seine Verehrung, um Glauben, davon weiß dieser
Politiker nichts. Eigentlich ist ihm die organisierte Religion eine
große NGO mit linkshumanitaristischer Tendenz klar antirechts
ausgerichtet. Sie dient durch ihren Appell zur Humanisierung und
gleichzeitigen Abwehr radicaler Optimierungskonzepte dem Erhalt des
Bestehenden, indem sie sozialdemokratisch engagiert an die unendliche
Reformierbarkeit der Gesellschaft glaubt, aber alle Utopien
vollkommener Lösungen widerspricht.
Zusatz:
Ein wenig darf hier wohl auch an Althussers Konzept des Appelles gedacht werden, daß der ideologische Staatsapparat seine Bürger unterwirft (subjektiviert), indem sie sich durch den Appell wahrnehmen als für die Humanisierung selbst auch Zuständige, sie so Subjekte im politischen Raum werden.
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