Mittwoch, 13. Mai 2020

Die Religion ist doch systemrelevant- ein Sozialdemokrat erklärt das!

Ein politisch korrekter Sozialdemokrat, Herr Thierse, er war sogar mal aktiv im Laien- ZK der Katholischen Kirche Deutschlands tröstet die Leserschaft der quasi offiziellen Internetseite der Bischöfe: „Thierse: Religion hat auch in Demokratien noch längst nicht ausgedient.“ (9.5.2020) Las man in letzter Zeit von der Nichtsystemrelevanz der Kirchen, daß gar Baumärkte für wichtiger als öffentliche Gottesdienste angesehen werden, dann klingt Thierse doch schon richtig erbaulich.

Wozu ist also die christliche Religion nützlich? Erstmal muß sie sich klar von der AfD und jeder Kritik an der Politik der offenen Grenzen, der Errichtung einer multiethnischen Gesellschaft absetzen. Solch eine Kritik wäre Fremdenhaß. Aber die Religion habe auch eine positive Seite,:
als Sinnstiftung individuellen Lebens, als Motivation für soziales Engagement, als Sensibilität für Mitleiden und Vergeben, als normative Bindekraft für eine zerklüftete Gesellschaft." Die Religion soll also nicht nur eine Kritik des Bestehenden abwehren, sondern zuvörderst das Bestehende fördern. Wodurch: a) soll sie Sinn stiften für das individuelle Leben. Man beachte, nicht für das Ganze stiftet sie Sinn, für das Ganze, die Gesellschaft, das Volk, diese Größen bedürfen keiner Sinngebung, sondern nur für Einzelne, Private, also für sozusagen Anspruchsvollere, denen ihr Leben in dieser Gesellschaft so einfach nicht genügt. Der humanistische Appell zeichnet so die Religion aus und verbindet so eine zerklüftete Gesellschaft. Nun besteht die Gesellschaft aber nicht nur aus Gliedern verschiedener Religionen sondern zusehens auch aus Unreligiösen. Wie soll da etwas Partikulares die zerklüftete Gesellschaft zusammenbinden können? Das wäre nur möglich, wenn der humanistische Appell (die Sensibilisierung) etwas Religionsübergreifendes wäre, ein Appell also, der von jedermann positiv aufgenommen werden kann. (Dahinter steckt eine arg verdünnte Version der natürlichen Religion als jedem Vernünftigen eigene, die im Kern ein Appell zur Humanität ist.)
Aber die Religion dient auch noch dazu: „Gegen politische Heilslehren und menschenerniedriegende Ungerechtigkeit: Gerade gläubige Menschen leisteten dagegen Widerspruch und Widerstand, sagt Wolfgang Thierse.“
Hier wird nun eine komplexere Denkfigur eingeführt: A) wird konstatiert, daß es Ungerechtigkeit gibt und B) daß es Heilslehren gibt, die die Beseitigung dieser Ungerechtigkeit verheißen. Die Religion soll nun einerseits die Humanisierung fördern und andererseits die Bürger gegen Heilslehren immunisieren, daß sie nicht radicalen Lösungskonzepten zustimmen oder sich gar für sie engagieren. Die Intention dieser Doppelfunktion ist die Aussöhnung mit der Realität erfahrener Ungerechtigkeit, indem zur Humanisierung aufgerufen wird, gleichzeitig aber erklärt wird, daß es keine prinzipielle Lösung gebe, denn das wäre eine Heilslehre. Der Bürger soll halt immer nach dem Guten, der Optimierung streben im Wissen darum, daß nie eine perfekte Lösung gefunden werden könne.
Das Wesentliche der Religion sei aber die Vorstellung von der gleichen Würde aller Menschen, das zu vermitteln sei die Funktion der Religion für die moderne Gesellschaft. Sie bietet sozusagen eine religiöse Rahmung für die im Grundgesetz verankerte Würde des Menschen, ohne dem da Ausgesagtem etwas hinzuzufügen. Die Vorstellung von der gleichen Menschenwürde ist nämlich schon die Substanz der Religion für diesen Politiker.

Von welcher Religion spricht hier dieser Sozialdemokrat überhaupt? Offensichtlich von jeder, die in ihre Substanz ein Appell zur Humanisierung der Welt ist. Das spezifisch Religiöse, daß es etwa um Gott geht, um seine Verehrung, um Glauben, davon weiß dieser Politiker nichts. Eigentlich ist ihm die organisierte Religion eine große NGO mit linkshumanitaristischer Tendenz klar antirechts ausgerichtet. Sie dient durch ihren Appell zur Humanisierung und gleichzeitigen Abwehr radicaler Optimierungskonzepte dem Erhalt des Bestehenden, indem sie sozialdemokratisch engagiert an die unendliche Reformierbarkeit der Gesellschaft glaubt, aber alle Utopien vollkommener Lösungen widerspricht. 

Zusatz:
Ein wenig darf hier wohl auch an Althussers Konzept des Appelles gedacht werden, daß der ideologische Staatsapparat seine Bürger unterwirft (subjektiviert), indem sie sich durch den Appell wahrnehmen als für die Humanisierung selbst auch  Zuständige, sie so Subjekte im politischen Raum werden.  


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