Mittwoch, 6. Mai 2020

Kurz und bündig: Alles Ideologie? Und sonst nichts?

"so wie man sagen kann, dass der ideologische Akt darin besteht,eine klare Trennlinie zwischen Ideologie und >wahrem< nichtideologischem Wissen ziehen zu wollen“.Zizek, Weniger als nichts, 2016,S.110.
Die Konstitution eines nichtideologischen Wissens ist so die Tat, durch die sich eine Ideologie als Nichtideologie hervorbringt, indem sie alle anderen mit ihr konkurrierenden Ideologien als Ideologie kritisiert. Diese Strategie setzt das Vorurteil voraus, daß das wahre Wissen immer ein nichtideologisches ist, einfacher gesagt, daß Wissen und Erkennen den Gegenpol zur Ideologie bildet. Ideologen verkennen eben die Wirklichkeit.
Geht man von der Wortbedeutung der Ideologie aus, daß sie die Lehre von den Ideen ist, daß also der Gegenstand der Ideologie die Frage des Verhältnisses des Denkens zu dem Gedachten ist, dann muß dieses Vorurteil geradezu absurd erscheinen. Man müßte doch urteilen, daß jedes Denken, das nicht einfach naiv das was ich denke mit dem, worauf sich mein Denken bezieht, als identisch zu setzen: So wie ich denke, so ist es auch!
Spätestens wenn zwei miteinander inkompatible Weltanschauungen eine Aussage über etwas machen, wir also zwei differente Aussagen vor uns haben, evoziert diese Differenz den Glauben an dies etwas, das entweder von einem der zwei gedachten Etwassen verschieden sein muß, oder gar ganz anders sei als beide gedachten Etwasse. Nur, daß dies so ganz anders seiende Etwas auch nur als Denkvorstellung in unserem Denken existiert.
Gibt es denn überhaupt nichtideologisches Wissen? Nahe läge es nun, so das Wissen der Naturwissenschaften zu qualifizieren. Aber ist der methodische Atheismus dieser Wissenschaften, daß alles in der Welt weltimmanent zu erklären sei, nicht selbst eine ideologische Setzung, ein Akt, der so erst diese Wissenschaften zu ideologiefreiem Wissen kürt?
Wie verändert sich die Frage der Ideologiehaftigkeit des Wissens, wenn das Denken nicht einseitig auf indikativische Aussagen beschränkt wird, ist die Aussage, das ist so, wahr, sondern auch imperativische Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu diskutieren sind: Das soll man nicht! Das Denken kennt dann auch noch optativische Aussagen,o möge es doch so sein und konjunktivische: wenn das nicht geschehen wäre. Verlangt diese Diversität des Denkens nicht nach einer Klärung des Verhältnisses des Denkens zu dem Gedachten, das es so ist, sein sollte, oder sein möge oder wenn es doch so wäre.Wo all diese Fragen diskutiert und beantwortet werden, entsteht da nicht so eine Ideologie? Wäre so die Ideologiefreiheit nichts anderes als der Verzicht auf die Reflexion des Denkens über sich selbst, daß dann naiv einfach gesetzt wird: Wie ich denke, so ist es?

Corollarium 1
Ein Ausweg könnte die Distinktion der Tatsachenaussage und der Interpretation der Aussage sein. Aber genau mit der Setzung dieser Differenz vollziehen wir ja den ideologischen Akt. Und sind Tatsachen wirklich ideologiefreies Wissen. Enthält nicht die "Tatsachenaussage",Friedrich Nietzsche ist der Autor des "Zarathustras" einen ganzen Vorstellungskomplex über das Verhältnis eines Autoren zu seinem Werk, der dieser Aussage erst ihren Sinn gibt. Dieser damit mitgesetzte Vorstellungskomplex der Autorenschaft ist nun selbst nicht einfach eine Summe von "Tatsachenaussagen", sondern selbst wiederum ein Teilelement einer , wenn man will, ideologischen Vorstellung etwa einer "Ich-Philosophie": Ich schreibe Werke. Nietzsche ist nun gerade aber ein Philosoph, der jeder "Ichphilosphie" (in der Tradition Descartes) ablehnend gegenübersteht. Ist er dann im descartischen Sinne der Autor seiner Werke?   

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