Dienstag, 26. Mai 2020

Gott, unbegreifbar, unbeweisbar?

Anselm von Canterbury: Das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, könne nicht nur im Verstand existieren, da sonst gedacht werden könne, dass es auch in Wirklichkeit existiere (esse in re), was größer wäre. Das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, wäre dann nicht das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Daraus folgert Anselm, dass das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, auch in Wirklichkeit existieren muss. (zitiert nach Wikipedia, Proslogion).
Diesen brillanten Gedanken führt nun Anselm vor, um zu beweisen, daß Gott ist. Wenn Gott das Größte ist, worüber nichts Größeres gedacht werden kann, dann wäre Gott nicht als Gott gedacht, wenn er nur als in dem menschlichen Denken existierend gedacht würde. Aber der Gedanke, daß Gott als außerhalb unseres Denkens seiend zu denken sei, ist erstmal auch nur ein Gedanke, der es aber ausschließt, zu denken, daß er realiter nur in unserem Denken ist. Denn auch die Aussage, Gott existierte nur in unserem Denken und nicht in der Realität, ist auch nur ein Gedanke. Auch das Insisteren auf die Objektivität der Wirklichkeit unabhängig von unserem Denken ist auch nur ein Gedanke. Ernsthaft kann dieser Einsicht nicht widersprochen werden, daß das Höchste, über das nichts Höheres gedacht werden kann, denknotwendig auch als außerhalb unseres Denkens existierend zu denken ist.
Aber was, wenn nun angefragt würde, wie wahr den die These sei, daß Gott das Größte sei, über das nichts Größeres gedacht werden kann? Würde nicht jeder Materialist (vgl etwa Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus) urteilen, daß die Materie und nicht Gott das Größte sei, weil Gott nur ein Produkt der religösen Phantasie sei, die Materie aber mehr sei, denn sie existiere auch außerhalb unseres Denkens?

Horst Mahler nun konfundiert Anselms so: „daß Gott und Mensch getrennt sind, d.h.Gott nur Gott und nicht zugleich auch Mensch ist“ als den Ermöglichungs-grund des Atheismus. (Das Ende der Wanderschaft, 2018, S. 220). Daß was Anselm beweisen will, daß Gott außerhalb unseres Denkens existiert und so unser Denken von ihm, daß er ist, wahr ist, weil er objektiv sei, ist nun für Mahler den Emergenzpunkt des Atheismus , indem das menschliche Denken als unabhängig von Gott seiend Gott zum Produkt dieser Unabhängigkeit werden läßt.
Was versteht nun Mahler, hier hegelisch denkend (?) unter der Aussage, daß Gott nicht nur Gott sondern zugleich auch Mensch ist? Meint das, trinitätstheologisch gedacht, daß Gott als Sohn Gottes wahrer Gott und wahrer Mensch ist, dem dann aber auch der Gott als Vater gegenübersteht und daß doch sie ein Gott sind, oder, daß Gott so Mensch wurde, daß Gott sich nur noch im Bewußtsein des Menschen weiß? Letzteres scheint auf ein verdoppeltes oder gespaltenes Bewußtsein hinauszulaufen, daß im menschlichen Denken Gott sich selbst denkt. Hieße das, das zwei Subjekte die Subjekte des Denkens des Menschen wären? Und wie sollte dann der Einwand erwidert werden, daß so sich das menschliche Denken nur ein zweites Subjekt in sich erdenke- oder soll das Denken pantheistisch aufgelöst werden, daß der Mensch nicht als von Gott Verschiedenem Gott denke, sondern daß Gott so sich selbst denke.
Anders verhielte es sich, würde das menschliche Denken Gottes als ein durch den Hl. Geist selbst erst ermöglichtes Denken vorgestellt. Dann steht man aber wiederum vor dem Problem: Wer denkt, wenn ich Gott denke? Ich oder der Hl. Geist oder Ich und der Hl. Geist zusammen?

Nun kann uns Slavoj Zizek noch mehr irritieren, wenn er, Schelling aufnehmend schreibt, daß in Gott mehr ist als Gott selbst, ja gar von einem dunklen Grund in Gott sei zu sprechen. (Zizek, Weniger als nichts, 2016, S.26). Schelling versucht so, daß Böse in der Welt zu erklären. Aber fragen wir nun erstmal, wie könnte Anselms Gedanke, daß Gott das Größte ist, über das nichts hinaus gedacht werden kann, mit diesem Gedanken, daß Gott mehr ist als Gott in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden.
Wenn Gott als das Größte zu denken ist, über das nichts Größeres denkbar ist, dann darf Gott nicht als etwas Bestimmtes gedacht werden, denn jede Bestimmung ist notwendigerweise eine Begrenzung. Ist Gott als die Liebe gedacht, dann ist er als nicht die Nichtliebe und somit schon als begrenzt gedacht. Ist Gott als A gedacht, ist er notwendig auch als Nicht-A gedacht. Gott wäre nur als das Größte gedacht, wenn er auch noch als die Einheit aller sich wechselseitig ausschließenden Bestimmungen gedacht würde. Wenn nun Gott sich frei bestimmt zu einem bestimmten Gottsein, dann schließt Gott selbst dadurch Möglichkeiten aus. Alles, was ist, ist immer auch der Ausschluß der nicht realisierten Möglichkeiten. Könnte dies Nichtrealisierte das Mehr sein als Gott ist, da das Sein, auch Gottes Sein das Nichtreallisierte ausschließt. Zizek unterscheidet , Parmenides folgend (S.79-89) zwei Aussagen;
a) Es gibt das Eine, und b) Das Eine ist. Ersteres soll besagen, daß das Eine, (wie Gott?) „ein vollkommen unsagbares/unvorsehbares Eine ohne Sein, ein Eines, das weder wahr noch falsch ist“ (S.80), das Zweitere, das Eine ist etwas, das prädiziert werden kann, von ihm kann etwas ausgesagt werden, daß es ist und daß es somit nicht nicht ist. (S.80)
Wenn Gottes Existenz nicht, um es mit Sartre zu sagen, in Aufnahme von Wilhelm Ockham seine Essenz vorausgeht-Sartre meint dann ja anthropozentrisch atheistisch gewendet, daß auch beim Menschen keine Essenz seinem Existenzentwurf vorausginge und den Entwurf so determiniere, dann muß Gott als reine Unbestimmtheit gedacht werden, um sein bestimmtes Sein als Gott als Gottes Selbstbestimmung zu denken, denn sonst ginge Gott ja eine göttliche Natur voraus, die er selbst als Erkennender und Wollender vorausgesetzt erkennt und dann nur noch bejaht. Unter Gottes Geschöpfen ist das die Idee, die Gott von dem jeweiligen Geschöpf erdacht hat und als Natur der Geschöpfe erscheint, aber so eine in Gott erscheinende Idee als seine Natur kann es bei Gott nicht geben. Gott hat sie als causa sui selbst hervorgebracht. So erst würde Gott als das Größte,über das nichts Größeres gedacht werden kann, gedacht.
Daraus ergäbe sich nun eine bedenkenswerte Anfrage an einen materialistischen Standpunkt: Kann sie die Materie als das Größte denken, da ihr kein Vermögen zur Selbstbestimmung zuschreibbar ist, wenn es plausibel ist, daß das Denken notwendig den Gedanken des Größten, über das nichts Größeres hinaus gedacht werden kann, hervorbringen muß? 

Zusatz: 
Es könnte gesagt werden (Konjunktiv dubitationis), daß das von Gott Nichtrealisierte als das Mögliche weiterexistiert und so die immerwährende Möglichkeit ist, daß das Nichtgesollte Wirklichkeit wird dann als das Böse in der Welt.  

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