Eine
eigentümliche wienerische Wendung für den Freitod: Ob diese
Formulierung wohl nicht viel mehr aussagt, als sich der sie
Verwendende bewußt ist? Das Sichdrehen impliziert einen
Richtungswechsel, als wenn sich da ein Mensch von seiner Heimat
entfernt hätte und nun retour will.Ist nun der frei gewählte Tod
die Heimat oder wird der Tod hier vorgestellt als ein Übergang
zurück zur Heimat?
Heimat
ist das, woher man kommt, wo man seine Wurzeln hat. Wenn nun
autobiographisch zurückgeschaut wird: Wo gab es eine Heimat, in der
ein Mensch in oder durch den Tod zurückkehren könnte? Die erstrebte
Heimat scheint so eine Jenseitige zu sein, in der ich so noch nie
war, sie wäre mir so nur „erinnerlich“ als ein Ort, wo ich noch
nie war. Ernst Bloch versuchte so, die Heimat zu bestimmen,
allerdings primär aus rein politischen Beweggründen: Er wollte den
Heimatbegriff nicht der politischen „Rechten“ überlassen,
sondern für die „Linke“ instrumentalisieren, sodaß jetzt dieser
Begriff stehen soll für eine politisch zu realisierende Utopie.
Aber, gibt das einen Sinn, etwas als Heimat zu bestimmen, wo der
Mensch noch nie gewesen ist?
Läge
es da nicht näher, die immer schon verlorene Heimat als das
(unbewußte?) Leben im Mutterleibe zu charakterisieren als der
Heimat, aus der jeder Mensch durch sein Zur-Welt-Kommen
herausgeworfen worden ist? Das könnte dann auch anders formuliert
werden: daß am Anfang des menschlichen Lebens die Einheit des Kindes
mit der Mutter steht, aus der das Kind dann in der Geburt entlassen
wird, sodaß es sich dann als Subjekt konstituiert, dem dann eine
Welt der Objekte gegenübersteht, in der er nie eins sein kann, weil
alle Objekte immer außerhalb von ihm sind, weil sie ihm als Subjekte
Nichtiche sind. Dann könnte der Tod als die Auflösung dieser
Abspaltung des Iches von allem anderen gedeutet werden. (Wenn ich
Bataille in diesem Punkte nicht mißverstehe, vertritt er diese
Position in seinem Werk: „Der heilige Eros“.)
Aber
wenn das von allem separierte Ich so sich auflöste, wäre das
Todsein gar kein Einssein mit allem, weil es ausgelöscht nicht mehr
mit etwas eins sein kann. Im Mutterleibe war der Mensch ja schon von
Anfang an ein Mensch, nur ein mit seiner Mutter einsseiender.
Wer
kann denn durch oder im Tode heimkehren? Der Leib des Menschen,
entseelt, wird beerdigt. Soll die Erde, in der er hineingelegt wird
oder gar nur der Sarg seine Heimat sein, daß er sich in die Natur
wieder auflöst und in der Auflösung und Nichtung beheimatet werde?
Theologisch könnte dieser Vorstellung etwas abgewonnen werden, wird
die Creatio ex nihilo bedacht, daß er, aus dem Nichts geschaffen, in
das Nichts zurückkehrt. Vielleicht ist das der wahre Emergenzpunkt
des Nihilismus. Oder sollte bei der Vorstellung des Heimkehrens eher
an die Seele gedacht werden, die, um es gnostisch zu formulieren,
aus der sie gefangen nehmenden Inkorporierung sich im Sterben
befreit, um heimzukehren? Die Weltfremdheit der Seele ist nun
allseits bekanntes Thema, sodaß es nahe liegt, diesen wienerischen
Begriff in diesem Kontext zu verstehen. Der Seele wäre dann ein
Wissen um die Ursprungsheimat eingeschrieben, das in ihr das Begehren
nach der Rückkehr zu ihr lebendig ist. Da dies Begehren aber im
Leben selbst nicht erfüllt werden kann, entstünde ein permanentes
Streben nach Ersatzobjekten, die aber das Begehren nicht erfüllen
kann und so das Leben zu einem dauernden Streben nach werden läßt.
In
der christlichen Religion würde aber der Freitod das Eingehen in die
ewige Heimat, in das ewige Leben verhindern, weil der Freitod als
schwere Sünde qualifiziert wird. Das spräche dafür, daß diese
wienerische Formulierung nicht christlich ist, oder aber aus einem
kirchendistanzierten Milieu stammt.
Eines
ist nun noch bedenkenswert: Der Freitod wird in der Regel negativ
motiviert gedeutet: Da will jemand ein als nur noch oder überwiegend
negativ empfundendes Leben verlassen. Aber wie nun, wenn das zu kurz
greift, weil die Entscheidung zu ihm auch positiv motiviert sein
könnte, als der Wunsch nach der Rückkehr nachhause.
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