Freitag, 12. Juni 2020

Die vergessene Seele- der entmenschlichte Mensch

Cum acceperit Deus animam meam,corpus meum sepeli“ (=Wenn Gott meine Seele zu sich genommen hat,so begrabe meinen Leib“- besser: zu sich genommen haben wird). So bittet der fromme Tobias seinen Sohn in Erwartung seines Todes.(4,3) Zuvor hatte er von Gott seinen Tod gewünscht: denn es ist mir besser zu sterben, als zu leben. (3,6b)Und für ihn heißt sterben, daß seine Seele in Gott aufgenommen wird. (3,6).
Unübersehbar wird hier eine dualistische Anthropologie vorausgesetzt, daß der Mensch ein Kompositum von Seele und Körper ist und daß diese Verbindung auflösbar ist. Sie wird durch den Tod aufgelöst, wenn der menschliche Körper begraben wird und zumindest die Seele der Frommen von Gott aufgenommen wird. Es war also nicht so, daß erst ein verhellinisertes Christentum diesen in der griechischen Philosophie explizerten Dualismus rezipierte, das Alte Testament kennt und bejaht ihn schon. Wer aufmerksam die Aussagen der Bibel zur Unterwelt, der Sheul mit ihrer verblüffenden Ähnlichkeit zur Hadesvorstellung liest, muß einsehen, daß die zwei Aussagen, daß die Toten begraben werden und in der Unterwelt irgendwie weiterexistiern auch einen solchen Dualismus voraussetzen.
Wenn Jesus zu dem reuigen Sünder am Kreuze verheißt, daß er heute noch in das Paradies eingehen wird (Lk 23,43) ist diese Verheißung nur möglich, wenn nur der Körper begraben, die Seele aber von Gott in das Paradies aufgenommen wird. (Meiner Erinnerung nach lehrt Luther, daß das „heute“ gar nicht heute meint, sondern daß der Mensch schlafe, bis er mit den Anderen von den Toten auferweckt werden wird, daß das aber dem Entschlafenen wie heute vorkäme, weil sie schliefen und so die verstreichende Zeit nicht bemerkten. Also wartet der reuige Sünder immer noch in seinem Grabe auf das „Heute“. Zu solch verqueren Vorstellungen verstieg sich Luther, nur um nicht dualistisch den Menschen zu denken. Die biblizistschen Zeugen Jehovas übersetzen dann einfach falsch: Heute sagt Jesus, daß der Reuige im Paradies sein werden wird.

Szenenwechsel: Wieder begehrt jemand seinen Tod. Menschen, die sich sich ihren Tod wünschen und sich dann auch töten, werden österreichisch:“Die Sich-heim-Drehenden“ genannt. (Roger Willemsen, Der Knacks, 2008,S.28. Gerade Kinder und Halbwüchsige verstünden so ihren Freitod. Das Daheim ist nun aber ein „Zu nichts Werden“. (S.42) Aus dem Nichts wird ein Mensch und dahin kehrt er im Tode zurück.
Wird jetzt an Gottes Schöpfen aus dem Nichts erinnert (an die Creatio ex nihilo), dann verwirrt dieser Gedanke nicht mehr so völlig. Es könnte von einem ontologischen Mangel allen Seienden gesprochen werden, weil alles aus dem Nichts erschaffen diesem Nichts auch immer verhaftet bleibt. Das Kreatürliche kann sterben, in Nichts sich auflösen, weil es aus dem Nichts ist.
Aber Gott kann sein Geschöpf davor bewahren, indem er die Seele zu sich heimholt und nur den Körper der Nichtung überläßt. Aber dort, wo Gott nicht mehr als der Schöpfer geglaubt wird, da kann die Vorstellung aufkommen, daß das Nichts, aus dem alles geschaffen worden ist, die Heimat des Menschen sei. Dann verwirrt sich das Sterben und gerade der Freitod zur ersehnten Heimkehr ins Nichts- die Grundlage des Nihilismus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen