Mittwoch, 10. Juni 2020

Alles eine Frage der Perspektive? Zu einem Gottesbeweis besondere Art


Da saß der Wolf,leckte sich die Lippen, das Schafsblut von ihnen ab und sinnierte so vor sich hin: Diese Welt muß ein guter Gott erschaffen haben, denn wie könnte es sonst so sein,daß es so wohlschmeckende Schafe gibt, eigens für uns Wölfe. Daß heute am Sonntag, an dem ich Ausschau hielt nach meinem Sonntagsmenü, dies Schaf vor meine Augen kam, das kann kein Zufall sein, nein, Gott regiert als Vorsehung und schenkte mir so an diesem besonderen Tage dies Festmahl.

Das Schaf, entsetzt blickt es auf das Raubtiermaul des Wolfes; fliehen konnte es nicht, denn eines seiner Hinterbeine war noch verstaucht- seine letzten Gedanken, bevor es zerbissen und gefressen wurde: Diese Welt muß ein böser Gott erschaffen haben, denn wie könnte es sonst so sein, daß es so fürchterliche Wölfe gibt als unsere Todfeinde. Daß gerade heute, wo ich nicht richtig und somit fliehen kann, mein Todfeind mir begegnet, das kann kein Zufall sein, nein, ein böser Gott regiert diese Welt.

Wer ist nun der bessere „Theologe“, der Wolf oder das Schaf? Ein Ereignis, für den Wolf und für das Schaf und doch zwei völlig verschiedene „Theologien“? Oder zeigt das uns Beobachtern, daß es gar keinen Gott gibt? Oder sollten wir hier mit Luther vom deus absconditus reden, dem uns verborgenen, völlig unbegreiflichen Gott? (In loser Anlehnung an Lacan könnte dieser Gott dann als der reale bezeichnet werden hinter der Maskerade des symbolischen Gottes, des in dem Glauben eingeschriebenen Gottes),

Alle von Erkenntnissen in der Welt zur Gotteserkenntnis aufsteigenden Denk-bewegungen leiden, wenn sie sich nicht einfach die Perspektive des Wolfes zu eigen machen und die des Schafes vergessen an der Ambiguität der Welterfahrungen, daß sie eine des Fressens und Gefressenwerdens ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen