Erleben
wir eine bürgerliche Revolution?- diese Frage wird in einem Video
der Internetseite „Gegenstrom“: Im Gespräch mit Frank Kraemer“
(1.6.2020) erörtert. Gemeint sind damit die zahlreichen Proteste und
Demonstrationen gegen die staatlichen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung
der Coronaseuche. Aus theologischer Sicht ist dabei die Frage des in
diesen Protesten sich artikulierenden Staatsverständnissses von
großer Relevanz, gehört doch die Frage: Was ist der Staat, was
macht sein Staatssein, seine Essenz?, nicht nur in den Raum der
Philosophie und der Politikwissenschaft sondern primär in den Raum
der Theologie.
Auf der
Internetseite wird dies Thema so eingeleitet: Bürgerliche
Revolution? Man könnte meinen, diese beiden Begriffe schließen sich
von vorne herein aus da doch die sogenannte bürgerliche Mitte der
Garant dafür scheint, daß sich herrschende Zustände niemals
ändern. Doch was ist, wenn genau diese bürgerliche Mitte anfängt,
gegen Maßnahmen der Herrschenden auf die Straße zu gehen?
Offensichtlich
wird hier das geschichtliche Ereignis der Französischen Revolution
vergessen, die ja gerade die bürgerliche Revolution schlechthin ist.
Daß heutige bürgerliche Frankreich, wenn das heutige Frankreich
noch als bürgerlich begriffen werden kann, verdankt sich dieser
Revolution. Das Bürgertum trat so in der Geschichte als die
revolutionäre Kraft auf, als der 3.Stand, der die Vormacht des Adels
und des Klerus beenden wollte mit der Parole: Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit. Wie jede Revolution wurde auch sie von Utopien
vitalisiert, die nach der Revolution enttäuscht werden mußten. Erst
diese Desillisonierung evozierte dann im Bürgertum antirevolutionäre
Stimmungen, verstärkt durch die Erfahrung des revolutionären
Terrors.Zudem sah sich das Bürgertum bedroht in seiner neuen
privilegierten Stellung durch die Emanzipationsbestrebungen des
4.Standes, der sich herausbildenden Arbeiterklasse: Wie kann nun die
Revolution beendet werden angesichts der Drohung der Fortsetzung der
Revolution durch eine antibürgerllich-sozialistische, die dann ja
auch in Rußland sich ereignete?
So
wurde das Bürgertum antirevolutionär und schuf sich einen
bürgerlichen Staat, dem gerade auch die Aufgabe zukam, die
bürgerliche Ordnung gegen Revolutionsversuche zu schützen. Zu
diesem Staat unterhält nun das Bürgertum in seiner liberalen
Ideologie ein paradoxes Verhältnis:
Einerseits
muß es den Staat bejahen, denn durch ihn wird die bürgerliche
Ordnung aufrechterhalten, ohne ihn implodierte diese Ordnung,
andererseits erleidet das Bürgertum den Staat aber immer auch als
Bedrohung und faktische Grenze seiner Freiheit.Je weniger Staat,
desto mehr Freiheit, aber ohne Staat gibt es überhaupt keine
Freiheit. Die bürgerliche Freiheit ist das wechselseitige Anerkennen
der Willkürfreiheit, wobei die wechselseitige Anerkennung durch den
Staat erzwungen wird, sodaß die Willkürfreiheit zur bürgerlich
domestizierten Freiheit wird,
Da
der bürgerliche Staat nun die bürgerliche Ordnung aufrecht
erhalten soll, muß er sich zum Sozialstaat weiterentwickeln. Für
Bismarck war der Kampf gegen die antibürgerlich-revolutionären
Bestrebungen nur gewinnbar durch eine Integrationspolitik der
Herausbildung des Sozialstaates. Aber genau diesen empfindet nun das
Bürgertum auch als eine Begrenzung seiner Freiheit.
Zur
Veranschaulichung: Der heutige staatlich fixierte Mindestlohn
limitiert die Freiheit des Arbeitgebers, den Lohn frei mit dem
Arbeitnehmer aushandeln zu können, (so protestierte die
liberal-conservative „Junge Freiheit“ gegen den Mindestlohn als
ein sozialistisches Projekt), der Kündigungsschutz limitiert die
unternehmerische Freiheit, der Mieterschutz die Freiheit des
Vermieters etc.Die liberale Ideologie entwickelt daraus das Konzept
des Bureaukratieabbaues als ewige politsche Aufgabe. Denn die
Bureaukratie begrenzt so die bürgerliche Freiheit, andererseits muß
das staatliche Regieren ein bureaukratisches sein, denn die
Alternative wäre eine Willkürherrschaft, in der der despotische
Wille allein bestimmt.
Der
Idealstaat ist so für den Liberalismus der Nachtwächterstaat
als die Alternative zum Ideal des Starken Staates des
politischen Conservatismus.
1.These:In
der Coronakrise erlebten wir, wie der bundesrepublikanische Staat
sich in einen Starken Staat verwandelte. Irritieren muß nun aber,
daß trotz der ideologischen Verurteilung des chinesischen Staates im
Namen der Wertegemeinschaft aller westlichen Staaten, das
Krisenmanagement Chinas zum Vorbild aller westlichen Staaten wurde.
Nicht die Europäische Union, nicht WHO sondern der autoritäre
chinesische Staat gab den Takt an und fast alle übernahmen das
Konzept des Starken Staates. Es ist erstaunlich und nicht komptibel
zu den vielfältigen Coronaverschwöruungstheorien, daß a) man sich
an diesen „Schurkenstaat“ orientierte und daß b) die
Nationalstaaten als die Akteure auf der politischen Bühne auftraten
und nicht die EU, oder die UNO oder sonstige transnationale Kräfte.
Der Starke Staat war also auch in dieser Coronakrise die Rückkehr
des Nationalstaates, ein eigentlich doch schon als überwunden
angesehenes Staatskonzept.
2.These:
Dieser Starke Staat evoziert nun eine Kritik aus der bürgelich
liberalen Ideologie. Der Staat ist nun nämlich das, was er aus
liberaler Sicht nicht sein darf: ein Starker Staat, der um des
Allgemeinwohles willen, die bürgerlichen Grundrechte einschränken
darf. Die Proteste gegen die jetzige Regierungspolitik sind so
wirklich genuin bürgerliche Proteste im Geiste des Liberalismus.Sie
sind natürlich nicht revolutionär, sondern fordern nur einen
bürgerlich liberalen Staat, der den Primat der Ökonomie anerkennt
und der nicht in Namen eines fiktiven Allgemeinwohles die bürgerliche
Freiheit, die des Geschäftemachens einschränken darf. Denn der
Staat ist und hat der Ermöglichungsgrund des Geschäftemachens, des
Kaufens und Verkaufens zu sein, zum Schurkenstaat pervertiert er,
wenn er diese Freiheit drastisch einschränkt.Genau das tat die
Regierung mit ihrem Herunterfahren der Wirtschaft. Wenn marxistische
Kritker das Privateigentum als die heilige Kuh des bürgerlichen
Staates ansehen, dann wird dabei a) verkannt, daß das Lebenselexier
der bürgerlichen Gesellschaft die Ware, das Kaufen und das Verkaufen
ist, und daß nur darum dem Privateigentum so viel Wert beigemessen
wird, und daß b) der bürgerliche Staat in seiner Möglichkeit zum
Starken Staat auch die bürgerlichen Eigentumsrechte einschränken
kann und darf, wenn dies das Allgemeinwohl erfordert.
3.These:
Die Essenz des Staates ist zu distinguieren von seinen
mannigfalltigen Erscheinungsformen. Die Essenz des Staates erscheint
in den empirisch wahrnehmbaren Staatsausgestaltungen und muß so aber
auch von ihnen unterschieden werden. Der bürgerlich liberal
ausgelegte Staat ist so als eine eher deformierte Auslegung der
Substanz, der Idee des Staates anzusehen, im Konzept des Starken
Staates ist so die Substanz des Staatsseins virulenter, im Willen,
alles Einzelne und Particulare auf das Gemeinwohl des Ganzen, des
Volkes hin auszurichten, daß der Staat eben ein Volksstaat ist, der
so nicht von Particularinteressen, etwa des liberal gesonnenen
Bürgetumes usorpiert werden darf.
4.These:
Aus theologischer Sicht ergibt sich a) daß der Staat ein Volksstaat
zu sein hat ob der Schöpfungsordnung der Aufgliederung der einen
Menschheit in die vielen Völker, und daß er b)ein Starker Staat zu
sein hat ob der Destruktivität des zum Bösen geneigten
Staatsbürgers und c) der Aufgabe des Menschen, seine natürliche
Egozentrik zu überwinden, indem er sich als Glied einer Gemeinschaft
versteht, aus der und für die er lebt.
Zusatz:
Mehrheit
befürwortet geltende Lockerungen der Corona-Maßnahmen
Weiterhin beurteilen die meisten Befragten (56 Prozent) die jetzt geltenden Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen als gerade richtig, 32 Prozent gehen die Lockerungen zu weit und 11 Prozent nicht weit genug. Den Vorschlag von Bodo Ramelow, mit Ausnahme der Maskenpflicht in Thüringen künftig auf verpflichtende Corona-Maßnahmen weitgehend zu verzichten, unterstützen 25 Prozent, eine Mehrheit von 72 Prozent lehnt das ab . Politbarometer Mai II 2020.
Weiterhin beurteilen die meisten Befragten (56 Prozent) die jetzt geltenden Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen als gerade richtig, 32 Prozent gehen die Lockerungen zu weit und 11 Prozent nicht weit genug. Den Vorschlag von Bodo Ramelow, mit Ausnahme der Maskenpflicht in Thüringen künftig auf verpflichtende Corona-Maßnahmen weitgehend zu verzichten, unterstützen 25 Prozent, eine Mehrheit von 72 Prozent lehnt das ab . Politbarometer Mai II 2020.
Das ist
erstaunlich, wenn bedacht wird, wie lange wir nun schon in einer
Spaßkultur leben, dessen oberste Maxime lautet: Es gibt nur eine
Sünde, keinen Spaß zu haben.
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