Es
gibt nichts Neues unter der Sonne, lehrt
uns Prediger Salomo (1,9). Ein Vergleich möge uns das
veranschaulichen: ein Schachspiel, 32 Spielfiguren und 64
Spielfelder. In diesem Spiel gibt es zwar unbegrenzt viele mögliche
Spielzüge, aber es sind immer nur wenige Grundzüge, wie die
einzelnen Figuren, etwa der Bauer oder der Turm gezogen werden
können, aus denen jede einzelne gespielte Partie besteht. Geht es in
der Geschichte auch so zu, daß auch sie aus begrenzten Grundzügen
besteht, sodaß auch in ihr nichts Neues sich ereignen kann.
Versuchen
wir uns, so einem Grundzug des geschichtsphilosophischen Denkens
Zizeks anzunähern. (vgl: Weniger als nichts). Die Wirklichkeit wäre
ein sich geschlossenes System, in dem nur Wirklichkeit werden kann,
was als Möglichkeit in ihm angelegt ist. Die Postmoderne wird dann
unter dieser Voraussetzung verstanden als das Ende aller
Möglichkeiten, weil alles Mögliche schon ausgespielt worden ist.
Könnte sich dann noch etwas ereignen oder wäre es nur noch eine
Wiederholung von längst sich so ereignet Habendem.
Nun
sieht Zizek sich aber noch mit einer anderen
geschichtsphilosophischen Konzeption konfrontiert, der hegelischen,
daß die gesamte Geschichte ein Prozeß der Selbsthervorbringung des
Absoluten sei, daß das Absolute sich selbst negiere, zur Welt wird,
darin sich zum Bewußtsein und Selbstbewußtsein entwickele bis sich
die Negation des Absoluten selbst als die Negation erkennt und im
absoluten Wissen sich selbst erkennt, daß Gott, das Absolute sich so
dem sich Selbstwissenden entwickelt habe. Die Entwickelung ist so die
logisch deduktiv rekonstruierbare Selbstenwickelung des Absoluten und
das ist die Totalität der Geschichte.
Diese
beiden Vorstellungen will Zizek überwinden durch eine, in der
radical Neues, das, was nicht aus den Möglichkeiten der Realität
ableitbar ist, möglich ist. Die Motivation für dies ganz Andere,
das Nichtmögliche, ist ein rein moralisches Verlangen, daß die
Menschheitsgeschichte ein so großes Elend ist, daß es eine
Möglichkeit der Erlösung aus ihr geben müßte.
Da
Zizek ein materialistischer Philosoph ist, kann das Subjekt des Neuen
nicht ein Gott sein und muß der Ort des ganz Anderen einer in der
Geschichte der Menschheit sein und doch soll sich in ihr etwas
ereignen können, das nicht aus den Möglichkeiten der Wirklichkeit
erklärbar ist. Im Hintergrund steht wohl der Diskurs in der
politischen Linken um Reform und Revolution, ob nicht alle Reformen
nur dazu dienen, letztlich das bestehende System zu erhalten, indem
es durch Reformen optimiert wird, wohingegen Revolutionen wirkliche
Ereignisse sind, weil sie Neues unter der Sonne bewirken.
Um
dies Ziel zu erreichen präsentiert Zizek nun in diesem Buch eine
sehr unorthodoxe Hegeldeutung und verbindet sie mit Theoriekonzepten
von Lacan. Man kann nicht umhin, diesem Versuch Anerkennung zu
zollen. Diese sehr komplexe Konzeption hier darzulegen, würde nicht
einen Essay sondern ein ganzes Buch erfordern. Verbleibe ich also in
den engen Möglichkeiten der Essayistik.
Retour
zur Schachpartie: Die zwei Spieler erklären, daß sie nun keine Lust
mehr am Schachspielen hätten. Man könne ja zur Abwechslung „Dame“
spielen. Das Erstaunliche nun: Mit den 16 weißen und 16 schwarzen
Spielfiguren auf dem 64 Felderspielbrett kann auch „Dame“
gespielt werden, indem nun nach dem Spielregelsystem der „Dame“
gespielt wird, wobei dann als Differenz zwischen den Figuren nur noch
die Farbdifferenz zählt. Es ist unmöglich, aus dem Schachspiel die
Möglichkeit des Damespieles abzuleiten, aber der Ermöglichungsgrund
des Schach-spieles, das Spielfeld und die Figuren ist auch ein
Ermöglichungsgrund für das Damespielen.
So
könnte geurteilt werden, daß jedem gesellschaftlichen System selbst
auf einem Ermöglichungsgrund fußt, aus dem kontingent dies System
auferbaut wurde, das nur limitierte Möglichkeiten zuläßt, (wie
das Schachspiel), daß aber der dem bestehenden System zugrunde
liegende Ermöglichungsgrund auch das Entstehen anderer Systeme
zuläßt. Es gilt aber, daß nur Wirklichkeit werden kann, was
möglich ist. Nur determiniert das Bestehende nicht das Mögliche,
weil es selbst nur eine realisierte Möglichkeit ist.
So
kann dem Prediger Salomon recht gegeben werden und doch mit einer
Kontingenz in der Geschichte gerechnet werden, auch wenn jedes
bestehende System die Absicht hat, sich als alternativlos zu
legitimieren. Wahr ist aber auch, daß es für jeden, der in einem
System lebt, immer nur die realistische Option gibt, gemäß ihm in
ihm zu leben, die Alternative ist wirklich ein utopisches Leben in
und wider das Bestehende,
Das
ist der Kern der Vorstellung des Lebens aus dem Heiligen Geist in der
christlichen Religion, die ihr Korrelat in der leninistischen
Konzeption der revolutionären Partei findet. (Zizek kogitiert so
auch gern mit Vergleichen des Urchristentumes, des Paulus isb mit
Lenin- ein origineller Philosoph)
Aber
für Zizek ist das zu wenig: „Das Neue
entsteht, wenn ein X
hervortritt, das nicht bloß eine vorher bestehende Möglichkeit
verwirklicht, sondern dessen Verwirklichung seine
eigene Möglichkeit erzeugt (rückwirkend eröffnet.) Weniger als
Nichts, S.317.Hiermit setzt er sich von der marxistischen
Revolutionskonzeption ab, die in Entgegensetzung zum utopisch
voluntaristischen Revolutionsverständnis davon ausgeht,daß a)
objektive Voraussetzungen nötig sind, daß eine Revolution möglich
ist und daß sie dann b) gar notwendig ist, indem sie dann die in der
Realität mögliche und notwendige realisiert. Das fundiere dies als
wissenschaftlichen Sozialismus, weil er auf der Erkenntnis der
Entwickelungsgesetze beruhe. Zizek dagegen möchte das Neue (die
Revolution) als aus dem Nichts hereinbrechend verstehen, um
ihre Unableitbarkeit aus den Möglichkeiten der Wirklichkeit zu
betonen.
Mit
der Betonung der Rückwirkung soll ausgesagt werden, daß Ereignisse
der Gegenwart die Vergangenheit verändern. Ein ganz simples Beispiel
möge das veranschaulichen: Ein Junge trinkt sein erstes Glas Schnaps
und dann nach viel Alkoholgenuß sehen wir ihn im Spital sterben in
Folge seines Alkoholismus. Jetzt werden das kontingente Ereignis des
ersten, des zweiten etc Glases Schnaps zur Geschichte eines
Alkoholikers, die ihr Ende in diesem Tod fand.Erst in der Rückschau
konstituiert sich so diese Ereigniskette zu einer Geschichte.
Aber
die Möglichkeit, ein Alkoholiker zu werden, war als Möglichkeit
schon in dem ersten getrunkenen Glas Schnaps enthalten. Es bleibt so
nur die Vorstellung daß das Neue aus dem Nichts hereinbricht als dem
Jenseits aller Möglichkeiten.Das ist aber die klassische Definition
des göttlichen Wunders. Kann so doch nur das ganz Andere als
unmittelbar von Gott gedacht werden (also als Wunder), aber wie soll
das in einer materialistisch denkenden Philosophie denkbar sein?
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