Montag, 8. Juni 2020

Es gibt nichts Neues unter der Sonne- oder doch?

Es gibt nichts Neues unter der Sonne, lehrt uns Prediger Salomo (1,9). Ein Vergleich möge uns das veranschaulichen: ein Schachspiel, 32 Spielfiguren und 64 Spielfelder. In diesem Spiel gibt es zwar unbegrenzt viele mögliche Spielzüge, aber es sind immer nur wenige Grundzüge, wie die einzelnen Figuren, etwa der Bauer oder der Turm gezogen werden können, aus denen jede einzelne gespielte Partie besteht. Geht es in der Geschichte auch so zu, daß auch sie aus begrenzten Grundzügen besteht, sodaß auch in ihr nichts Neues sich ereignen kann.
Versuchen wir uns, so einem Grundzug des geschichtsphilosophischen Denkens Zizeks anzunähern. (vgl: Weniger als nichts). Die Wirklichkeit wäre ein sich geschlossenes System, in dem nur Wirklichkeit werden kann, was als Möglichkeit in ihm angelegt ist. Die Postmoderne wird dann unter dieser Voraussetzung verstanden als das Ende aller Möglichkeiten, weil alles Mögliche schon ausgespielt worden ist. Könnte sich dann noch etwas ereignen oder wäre es nur noch eine Wiederholung von längst sich so ereignet Habendem.
Nun sieht Zizek sich aber noch mit einer anderen geschichtsphilosophischen Konzeption konfrontiert, der hegelischen, daß die gesamte Geschichte ein Prozeß der Selbsthervorbringung des Absoluten sei, daß das Absolute sich selbst negiere, zur Welt wird, darin sich zum Bewußtsein und Selbstbewußtsein entwickele bis sich die Negation des Absoluten selbst als die Negation erkennt und im absoluten Wissen sich selbst erkennt, daß Gott, das Absolute sich so dem sich Selbstwissenden entwickelt habe. Die Entwickelung ist so die logisch deduktiv rekonstruierbare Selbstenwickelung des Absoluten und das ist die Totalität der Geschichte.
Diese beiden Vorstellungen will Zizek überwinden durch eine, in der radical Neues, das, was nicht aus den Möglichkeiten der Realität ableitbar ist, möglich ist. Die Motivation für dies ganz Andere, das Nichtmögliche, ist ein rein moralisches Verlangen, daß die Menschheitsgeschichte ein so großes Elend ist, daß es eine Möglichkeit der Erlösung aus ihr geben müßte.
Da Zizek ein materialistischer Philosoph ist, kann das Subjekt des Neuen nicht ein Gott sein und muß der Ort des ganz Anderen einer in der Geschichte der Menschheit sein und doch soll sich in ihr etwas ereignen können, das nicht aus den Möglichkeiten der Wirklichkeit erklärbar ist. Im Hintergrund steht wohl der Diskurs in der politischen Linken um Reform und Revolution, ob nicht alle Reformen nur dazu dienen, letztlich das bestehende System zu erhalten, indem es durch Reformen optimiert wird, wohingegen Revolutionen wirkliche Ereignisse sind, weil sie Neues unter der Sonne bewirken.
Um dies Ziel zu erreichen präsentiert Zizek nun in diesem Buch eine sehr unorthodoxe Hegeldeutung und verbindet sie mit Theoriekonzepten von Lacan. Man kann nicht umhin, diesem Versuch Anerkennung zu zollen. Diese sehr komplexe Konzeption hier darzulegen, würde nicht einen Essay sondern ein ganzes Buch erfordern. Verbleibe ich also in den engen Möglichkeiten der Essayistik.
Retour zur Schachpartie: Die zwei Spieler erklären, daß sie nun keine Lust mehr am Schachspielen hätten. Man könne ja zur Abwechslung „Dame“ spielen. Das Erstaunliche nun: Mit den 16 weißen und 16 schwarzen Spielfiguren auf dem 64 Felderspielbrett kann auch „Dame“ gespielt werden, indem nun nach dem Spielregelsystem der „Dame“ gespielt wird, wobei dann als Differenz zwischen den Figuren nur noch die Farbdifferenz zählt. Es ist unmöglich, aus dem Schachspiel die Möglichkeit des Damespieles abzuleiten, aber der Ermöglichungsgrund des Schach-spieles, das Spielfeld und die Figuren ist auch ein Ermöglichungsgrund für das Damespielen.
So könnte geurteilt werden, daß jedem gesellschaftlichen System selbst auf einem Ermöglichungsgrund fußt, aus dem kontingent dies System auferbaut wurde, das nur limitierte Möglichkeiten zuläßt, (wie das Schachspiel), daß aber der dem bestehenden System zugrunde liegende Ermöglichungsgrund auch das Entstehen anderer Systeme zuläßt. Es gilt aber, daß nur Wirklichkeit werden kann, was möglich ist. Nur determiniert das Bestehende nicht das Mögliche, weil es selbst nur eine realisierte Möglichkeit ist.
So kann dem Prediger Salomon recht gegeben werden und doch mit einer Kontingenz in der Geschichte gerechnet werden, auch wenn jedes bestehende System die Absicht hat, sich als alternativlos zu legitimieren. Wahr ist aber auch, daß es für jeden, der in einem System lebt, immer nur die realistische Option gibt, gemäß ihm in ihm zu leben, die Alternative ist wirklich ein utopisches Leben in und wider das Bestehende,
Das ist der Kern der Vorstellung des Lebens aus dem Heiligen Geist in der christlichen Religion, die ihr Korrelat in der leninistischen Konzeption der revolutionären Partei findet. (Zizek kogitiert so auch gern mit Vergleichen des Urchristentumes, des Paulus isb mit Lenin- ein origineller Philosoph)

Aber für Zizek ist das zu wenig: Das Neue entsteht, wenn ein X hervortritt, das nicht bloß eine vorher bestehende Möglichkeit verwirklicht, sondern dessen Verwirklichung seine eigene Möglichkeit erzeugt (rückwirkend eröffnet.) Weniger als Nichts, S.317.Hiermit setzt er sich von der marxistischen Revolutionskonzeption ab, die in Entgegensetzung zum utopisch voluntaristischen Revolutionsverständnis davon ausgeht,daß a) objektive Voraussetzungen nötig sind, daß eine Revolution möglich ist und daß sie dann b) gar notwendig ist, indem sie dann die in der Realität mögliche und notwendige realisiert. Das fundiere dies als wissenschaftlichen Sozialismus, weil er auf der Erkenntnis der Entwickelungsgesetze beruhe. Zizek dagegen möchte das Neue (die Revolution) als aus dem Nichts hereinbrechend verstehen, um ihre Unableitbarkeit aus den Möglichkeiten der Wirklichkeit zu betonen.
Mit der Betonung der Rückwirkung soll ausgesagt werden, daß Ereignisse der Gegenwart die Vergangenheit verändern. Ein ganz simples Beispiel möge das veranschaulichen: Ein Junge trinkt sein erstes Glas Schnaps und dann nach viel Alkoholgenuß sehen wir ihn im Spital sterben in Folge seines Alkoholismus. Jetzt werden das kontingente Ereignis des ersten, des zweiten etc Glases Schnaps zur Geschichte eines Alkoholikers, die ihr Ende in diesem Tod fand.Erst in der Rückschau konstituiert sich so diese Ereigniskette zu einer Geschichte.
Aber die Möglichkeit, ein Alkoholiker zu werden, war als Möglichkeit schon in dem ersten getrunkenen Glas Schnaps enthalten. Es bleibt so nur die Vorstellung daß das Neue aus dem Nichts hereinbricht als dem Jenseits aller Möglichkeiten.Das ist aber die klassische Definition des göttlichen Wunders. Kann so doch nur das ganz Andere als unmittelbar von Gott gedacht werden (also als Wunder), aber wie soll das in einer materialistisch denkenden Philosophie denkbar sein?




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen