Ausdifferenzierung
ist ein gesellschaftliches Phänomen, daß uns so selbstverständlich
geworden ist, daß es gar nicht mehr auffällt. So gibt es das
Subsystem der Gesundheit, das dann selbst noch einmal in sich selbst
binnendifferenziert ist: die medizinische Forschung, der Berufsstand
der Ärzte, die Spitäler und Arztpraxen, die Krankenversicherungen
...und so weiter, faktisch ein sehr komplexes Gebilde. Konstitutiv
ist für dies wie für alle anderen Subsysteme, daß sie den
Einzelbürger entlasten: Er braucht nicht selbst ein Medizinexperte
zu sein, weil andere das für ihn sind. Oder wer könnte mit einem
Auto fahren, wenn es keine Autowerkstätten gäbe, wenn jeder
Autofahrer so selbst seinen Wagen zu reparieren hätte. Ein
Autofahrer muß zwar selbst Autofahren können, aber alle Reparaturen
und Prüfungen der Fahrfähigkeiten übernehmen für ihn
Autoexperten.
„Was ist
denn an Ihrem PKW defekt?“ Diese Frage kann ein Autofahrer schon
beantworten mit: „So genau weiß ich das nicht...irgendetwas mit
dem Motor stimmt nicht!“ Expertensysteme der Gesundheit wie alle
anderen beruhen so auf einer Kompetenzdifferenz: Weil einige in einem
bestimmten Bereich sich auskennen (etwa im Bereich des Rechtes, der
Medizin etc) benötigen andere nur eine spezifische Laienkompetenz.
So sollte ich mit Hörproblemen nicht zum Augenarzt gehen und sollte
wissen, daß bei eskalierenden Nachbarstreitigkeiten eine
Konsultation eines Rechtsanwaltes nützlich sein könnte.
Idealtypisch
könnte nun ein Anfangspunkt der gesellschaftlichen Entwickelung
konstruiert werden, wo noch jeder alles sein konnte. Denn etwas
Bestimmtes zu sein, etwa ein Arzt setzt mit sich, daß man vieles
andere dann nicht sein kann, etwa ein Priester oder Rechtsanwalt. So
sind wir Heutigen mehr durch das bestimmt, was wir alles nicht sind
als das, was wir sind. Dem gesellschaftlichem Reichtum, was ich als
Glied einer Gesellschaft alles sein könnte, korrespondiert so damit
verglichen ein Minimum, was ich dann real bin. Nie gab es in einer
Gesellschaft ein Soviel an Wissen und zugleich ist die Differenz des
Gesamtwissens im Kontrast zu dem, was der Einzelbürger wissen kann,
so groß, daß wir alle als Einzelne faktisch Unwissende sind. Wir
sind fast überall nur noch Laien, denen ihnen nicht zugängliches
Expertenwissen gegenübersteht. Das charakterisiert die moderne (wie
auch die postmoderne Gesellschaft, nur daß in letzterer dieser
Status des Regelfalles des Laiendaseins reflektiert wird.)
Eine der
ersten Ausdifferenzierung in der Menschheitsgeschichte dürfte die
Herauskristallisierung des Priesterstandes gewesen sein. Weil nun ein
Stand sich ganz der religiösen Praxis zuwandte, brauchten die
anderen sich nicht mehr auf die religiöse Praxis zu kaprizieren. Im
Priesterstand war nun das religiöse Expertenwissen verortet, wurde
da weitergegeben und vertieft in der Reflexion der religiösen Praxis
im Medium der Theologie. Aber so konstituierte diese
Ausdifferenzierung auch den Stand der Laien als Gegenpol zum
Priesterstand. Dies darin mitgesetzte Gegenüber muß nun auch als
ein das Subsystem der Religion belebendes Moment betrachtet werden,
gerade weil es nie ganz konfliktfrei sein kann : Kann der Laie sich
darauf verlassen, auf den Priesterstand vertrauen und kann der
Priesterstand auf das Vertrauen der Laien ihnen gegenüber auch
vertrauen? Wo vertraut werden muß, evoziert dies auch die
Möglichkeit des Mißtrauenkönnens. Die gesamte Religionskritik
entspringt dem!
Auch die
christliche Religion ist durch diese innere Differenz
charakterisiert: Dem Allwissenden, nämlich Jesus Christus, standen
die Zubelehrenden, die „Jünger“ gegenüber. Dies Gegenüber
prolongiert sich nun in der Binnendifferenzierung zwischen dem
Bischof und dem Priester in ihrem Gegenüber zum Laien. Der
Reformator Philipp Melanchthon sprach so von den 2 Ständen in der
Kirche, dem Lehrstand und den Zubelehrenden.
Verkompliziert
wird diese Struktur nun noch durch den Primat des Lehramtes Jesu
Christi, der der einzig wahre Lehrer seiner Kirche ist, der sich nun
durch den Lehrstand der Kirche, isb durch das Papstamt der Welt zu
kennen lernen gibt. Dies evoziert geradezu den Einwand von Laien,
selbst ein unmittelbares Verhältnis zum einzig wahren Lehrer der
Wahrheit zu haben und so keinen Bedarf an dem priesterlichen
Vermittelungsdienst zu haben. Ja, der Priesterstand, die ganze Kirche
kann so mit dem Generalverdacht belegt werden, die Wahrheit des
einzig wahren Lehrers verfälscht zu haben.
Wir leben
eben in einer hyperkomplexen Gesellschaft, in der das Wissen nur noch
in Expertensystemen präsent ist und jeder, abgesehen von dem
Mikroraum, in dem er sich wirklich selbst auskennt auf das Vertrauen
auf Expertenwissen angewiesen ist. Man könnte urteilen, daß so
komplex strukturierte Gesellschaften das Vermögen ihrer
Einzelglieder, Vertrauen zu schenken, überfordert. Das ist dann auch
die Stunde der Hochkonjunktur von Verschwörungstheorien, in denen
das Expertenwissen als Meer von Pseudowahrheiten entlarvt wird.
Ein Moment
der Kirchenkrise resultiert nun daraus, daß das religiöse
Laienwissen zur Norm des theologischen Diskurses in der Kirche wird:
Was der Laie nicht versteht und nicht hören will, das kann keine
theologische Wahrheit sein. Nur, wie es kein Zurück zur
ursprünglichen Einheit geben kann, in der jeder alles war, Jäger
und Priester und Koch etc...so kann auch diese innerreligiöse
Binnendifferenzierung zwischen dem Priester- und dem Laienstand
nicht mehr beseitigt werden, weil diese Ausdifferenzierung
konstitutiv für jede Kultur ist.
1.Zusatz:
Problematisch ist nun aber der Stand der Theologen in der Kirche. Sie sind am Expertensystem Partizipierende und doch Laien, sofern sie nicht Diakon, Priester oder Bischof werden.
2.Zusatz
Die Idee einer "Synodalen Kirche" ist so kulturgeschichtlich gesehen ein regressives Unterfangen, weil so die ursprüngliche Arbeitsteilung mit ihrer Ausdifferenzierung des Religionssubsystemes rückgängig gemacht werden soll.
2.Zusatz
Die Idee einer "Synodalen Kirche" ist so kulturgeschichtlich gesehen ein regressives Unterfangen, weil so die ursprüngliche Arbeitsteilung mit ihrer Ausdifferenzierung des Religionssubsystemes rückgängig gemacht werden soll.
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