Freitag, 17. Juli 2020

Moral ohne Gott, geht das? Eine offene Frage

Das Gute tuen, das Nichtgute unterlassen, das könnte als der Basissatz einer jeden Moral angesehen werden, wenn sie deontologisch verfaßt konzipiert wird also als Lehre vom rechten Tuen und nicht als Tugendlehre oder telelogisch. Wenn nun das Gute weiter gefaßt werden würde, sodaß auch das Gutsein als Tugend und als Ziel darunter subsumiert werden könnte, wäre das Gute der Zentralbegriff wirklich jeder Moral.
Trotzdem stünden wir noch vor einem beachtlichen Problem. David Hume erkannte ja, daß aus einem Indikativ, so ist es, nicht der Imperativ, so soll es sein, deduziert werden kann. Nie wird so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd, aber diese bismarcksche Erkenntnis darf ja nun nicht dazu verführen, zu sagen, weil das so ist, soll es auch so sein, ist es halt in Ordnung. Daß in der aktuellen Reformdebatte die Morallehre mit dem Argument, es halte sich kaum ein Katholik an sie und deshalb sei die Lehre zu ändern, indem sie der Lebenspraxis angepaßt wird so dieser naturalistische Fehlschluß praktiziert wird, spricht nicht gegen Hume.
Zurück zur Aussage: X ist gut. Wenn das eine indikativische Aussage ist, was besagt das dann über das Sollen des Guten? Nichts, denn wenn es gut ist, ist es damit noch nicht als Gesolltes im moralischen Sinne ausgesagt. Oder aber: X ist gut, meint, daß das Gute das Gesollte ist. Gut heißt, das, was sein soll. Dann ergäbe das Folgendes:
X ist das Gute, und das Gute ist das Gesollte, so daß nicht es mehr heißt: Weil X gut ist, soll es getan werden, weil nun das Gutsein identisch ist mit dem Imperativ: Das soll getan werden, es ist das Gesollte. Es bleibt übrig die Aussage: X soll getan werden. Aber warum? Die Ethik als Reflexion der Moral müßte nun eine Begründung für den Imperativ: X soll getan werden, erbringen. Aber wie ist ein solcher Imperativ wieder begründbar? Etwa durch die Aussage, wenn X nicht getan wird, hat das negative Folgen? Aber dann bezeichnen diese Folgen ja wiederum nur einen möglichen indikativschen Zustand. Das evozierte dann die Frage, warum soll der nicht sein. Diese Frage kann dann nur wieder mit einem weiteren Imperativ respondiert werden, daß dieser Negativzustand nicht sein soll, also stehen wir vor der Aussage, der durch das Nichttuen von X verursachte Zustand soll nicht sein, weil er nicht sein soll. Wie legitimiert sich so dieser Imperativ?
Es müßte einen Imperativ geben, der in sich evident ist, sodaß sich alle anderen von ihm her legitimieren lassen. Wäre das die Aussage: Das Gute soll sein, oder soll getan werden? Aber das Gute ist ja nur das Gesollte, denn die Aussage, das ist gut, sagt ja nichts anderes aus als daß es Gesollt ist.
Dostojewski urteilt, wenn Gott nicht ist, ist alles erlaubt- was aber auch besagt, daß es nichts Erlaubtes gibt, denn Erlaubtes kann es nur geben, wenn es auch Nichterlaubtes gibt. Kann so ein evidenter Imperativ nicht formuliert werden, bliebe dann einzig die göttliche Autorität übrig als Legitimation von Imperativen und somit einer Moral?
Ein Kantianer würde nun erwidern, daß der „Kategorische Imperativ“ die Form evidenter Letztbegründung der Moral liefere, da sie die Form sei, mit der alle moralischen Aussagen zu überprüfen seien, ob sie wirklich moralisch sind.
Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Aber wenn nun jemand früge, warum soll ich nur solche Maximen als moralisch legitim ansehen, die universalisierbar sind, was wäre darauf zu antworten? Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Zu morden kann nicht eine legitime Handlung sein, denn wenn jeder das Recht zum Morden hätte, dann träte ein Zustand des alle morden sich gegenseitig ein. Aber wie nun, wenn ich als Misanthrop das begrüßen würde? Oder wenn ich sagen könnte, daß ich so viel Macht über die Anderen verfüge, daß ich morden könne, ohne befürchten zu müssen, selbst ermordet zu werden. So praktizieren es ja die Akteure in den Romanen von Marquise de Sade, dem Radicalaufklärer.
Impliziert etwa der Kategorische Imperativ Voraussetzungen, die nicht selbst wieder von diesem Imperativ eingeholt werden können, etwa in dem Falle des Mordens, daß das menschliche Leben zu sein hat, und daß so eine Maxime, praktizierten sie alle, sodaß das Leben daran zu Grunde ginge, nicht hinnehmbar ist. Fragen, aber noch keine schlußendlichen Antworten.

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