Samstag, 4. Juli 2020

Relevanzverlust der Kirche- hat die Morallehre noch eine Bedeutung?

Relevanzverlust der Kirche- hat die Morallehre noch eine Bedeutung?

Einer der sicherlich fruchtbarsten Ansätze, die moderne Gesellschaft zu begreifen, hat Niklas Luhmann mit seiner systemtheoretischen Konzeption entwickelt. Diese kann hier in ihrer Komplexität nicht nachgezeichnet werden, sodaß ich mich hier darauf beschränke, sie in Hinsicht auf die Frage der Bedeutung der Moral für eine moderne Gesellschaft zu skizzieren. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, daß es ja naheliegt, sich theologisch auf die Morallehre der Kirche zu kaprizieren, die über die Politik dann das gesellschaftliche Leben mitgestalten könnte. Ein indivdualistischer Ansatz als die Frage nach der Bedeutung der Moral für den Einzelnen soll hier nicht beschritten werden, da er den Einzelnen nur abstrakt isoliert bedenkt und somit seinem Handeln, gerade seinem moralischen nicht gerecht wird, da er nun mal stets in sozialen Kontexten handelt. Diese sozialen Kontexte, in die dann die kirchliche Moral eingeschrieben werden soll, gilt es so mit Luhmanns Ansatz zu erhellen.(Eine prägnante Darstellung dieses luhmannischen Ansatzes bietet Professor Hübner in der 12.Vorlesung: „Politische Philosophie“, im Internet leicht zu finden)

Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch ihre Ausdifferenzierung aus, sie bilden Subsysteme aus, die als Systeme existieren, indem sie sich auf ihre Umwelt beziehen, von der sie sich durch ihre Grenzziehung in ihrem eigenständiges Leben unterscheiden. Vier die moderne Gesellschaft ausmachende Systeme charakterisieren sie: das System der Politik,das der Wirtschaft, das des Rechtes und das der Wissenschaft. Keines ist auf ein anderes rückführbar, jedes kommuniziert intern nach je eigenem binären Code und kann über andere Systeme nur in seinem eigenen Code sprechen, aber nicht mit ihm, denn es gibt keine gemeinsame Sprache. Diese Funktionssysteme sind nun kein ´Zusammenschluß von Personen. Ja der Einzelne ist in der Regel ein Teilelement jedes dieser Systeme, als Wähler oder Politiker am politschen System, als Produzent oder Konsument an der Wirtschaft, als Inhaber von Rechten am Rechtssystem und als Nutzer von Produkten auch Nutznießer der Wissenschaft.
Die Gesellschaft als Ganzes kann nun selbst nicht mehr als System begriffen werden, da ihr als Ganzes eine Umwelt außerhalb von ihr fehlt,da ohne eine Relation auf etwas anderes, was sie nicht ist, sie kein System sein kann. Das Problem moderner Gesellschaften ist so evident: Sie können als Ganzes nicht mehr gesteuert werden, da es keine Sprache mehr gibt, die in allen Subsystemen anerkannt gesprochen werden kann. Pointiert formuliert: Die Subsysteme sind inkompatibel zueinander, sodaß beim Übersetzen von einer Subsystemsprache in eine andere so viel Gehalt verloren geht, daß diese externen Eingaben im System selbst nicht mehr sinnvoll rezipiert werden können.
Für jede Moral hieße das, daß sie strenggenommen in keinem Subsystem mehr rezipiert werden kann, weil jedes schon hinreichend durch sich selbst bestimmt ist. Auf das Individuum appliziert heißt dies, daß es wohl als abstraktes nach einer für es verbindlichen Moral fragen kann, dann aber im realen Leben stets als Funktionselement durch das jeweilige Subsystem hinreichend bestimmt ist, wie es da zu leben hat. Also, da keine Moral mehr eine Systemrelevanz besitzen kann, kann auch keine kirchliche Moral mehr eine Relevanz besitzen. Es könnte höchstens noch nach sozialen Räumen Ausschau gehalten werden, in denen noch nicht das Miteinanderleben geregelt ist, also keine sozialen Räume wären, sodaß hier noch eine externe Moral eingezeichnet werden könnte.
Luhmanns Ansatz überzeugt und doch bleiben gewichtige Fragen offen: Kann die moderne Gesellschaft wirklich auf eine Steuerung des Ganzen verzichten, ohne daß sie dann an ihrer Nichteinigkeit zu Grunde gehen muß? Liegt das evtl daran, daß hier die Ordnung des Staates nicht adäquat mitgedacht wird, daß das Subsystem: Politik nicht die Ordnung des Staates erfaßt? Wenn es aber ein der bürgerlichen Gesellschaft Gegenüberstehendes gibt, das nicht selbst ein Element der pluralistisch verfaßten Gesellschaft ist, also den Staat als das Allgemeine, dann wäre das auch der Ort für eine allgemeingültige Moral, die sich aus der christlichen speisen könnte, insoweit sie verallgemeinerungsfähig ist als zustimmbar für jedes vernünftige Denken. 

Corollarium 1
Soziale Räume: Vormittags ist er Lehrer, der Raum, in dem er agiert, ist nicht einfach nur ein Schulgebäude, sondern ein Raum, der durch ein Normsystem bestimmt ist, etwa die Rolle des Lehrers gegenüber den Schülern, durch die Normvorstellung der Kollegalität und der schulinternen Hierarchie. Von der Arbeit retour Zuhause ist er der Familienvater, er übernimmt da diese Rolle und am Abend trifft er sich zum Stammtisch- auch  ein Stammtisch ist ein sozial reguliertes Zusammensein. Es drängt sich der Eindruck auf, daß auch im Mikrokosmos unter der Ebene der vier Subsysteme sozial regulierte Räume existieren,die in sie Eintretende hinreichend bestimmen in ihrem Tun und Lassen, daß gar kein Raum mehr ist für eine universalistische christliche Moral!  

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