Relevanzverlust
der Kirche- hat die Morallehre noch eine Bedeutung?
Einer der
sicherlich fruchtbarsten Ansätze, die moderne Gesellschaft zu
begreifen, hat Niklas Luhmann mit seiner systemtheoretischen
Konzeption entwickelt. Diese kann hier in ihrer Komplexität nicht
nachgezeichnet werden, sodaß ich mich hier darauf beschränke, sie
in Hinsicht auf die Frage der Bedeutung der Moral für eine moderne
Gesellschaft zu skizzieren. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, daß es
ja naheliegt, sich theologisch auf die Morallehre der Kirche zu
kaprizieren, die über die Politik dann das gesellschaftliche Leben
mitgestalten könnte. Ein indivdualistischer Ansatz als die Frage
nach der Bedeutung der Moral für den Einzelnen soll hier nicht
beschritten werden, da er den Einzelnen nur abstrakt isoliert bedenkt
und somit seinem Handeln, gerade seinem moralischen nicht gerecht
wird, da er nun mal stets in sozialen Kontexten handelt. Diese
sozialen Kontexte, in die dann die kirchliche Moral eingeschrieben
werden soll, gilt es so mit Luhmanns Ansatz zu erhellen.(Eine
prägnante Darstellung dieses luhmannischen Ansatzes bietet Professor
Hübner in der 12.Vorlesung: „Politische Philosophie“, im
Internet leicht zu finden)
Moderne
Gesellschaften zeichnen sich durch ihre Ausdifferenzierung aus, sie
bilden Subsysteme aus, die als Systeme existieren, indem sie sich auf
ihre Umwelt beziehen, von der sie sich durch ihre Grenzziehung in
ihrem eigenständiges Leben unterscheiden. Vier die moderne
Gesellschaft ausmachende Systeme charakterisieren sie: das System der
Politik,das der Wirtschaft, das des Rechtes und das der Wissenschaft.
Keines ist auf ein anderes rückführbar, jedes kommuniziert intern
nach je eigenem binären Code und kann über andere Systeme nur in
seinem eigenen Code sprechen, aber nicht mit ihm, denn es gibt keine
gemeinsame Sprache. Diese Funktionssysteme sind nun kein
´Zusammenschluß von Personen. Ja der Einzelne ist in der Regel
ein Teilelement jedes dieser Systeme, als Wähler oder Politiker am
politschen System, als Produzent oder Konsument an der Wirtschaft,
als Inhaber von Rechten am Rechtssystem und als Nutzer von Produkten
auch Nutznießer der Wissenschaft.
Die
Gesellschaft als Ganzes kann nun selbst nicht mehr als System
begriffen werden, da ihr als Ganzes eine Umwelt außerhalb von ihr
fehlt,da ohne eine Relation auf etwas anderes, was sie nicht ist, sie
kein System sein kann. Das Problem moderner Gesellschaften ist so
evident: Sie können als Ganzes nicht mehr gesteuert werden, da es
keine Sprache mehr gibt, die in allen Subsystemen anerkannt
gesprochen werden kann. Pointiert formuliert: Die Subsysteme sind
inkompatibel zueinander, sodaß beim Übersetzen von einer
Subsystemsprache in eine andere so viel Gehalt verloren geht, daß
diese externen Eingaben im System selbst nicht mehr sinnvoll
rezipiert werden können.
Für jede
Moral hieße das, daß sie strenggenommen in keinem Subsystem mehr
rezipiert werden kann, weil jedes schon hinreichend durch sich selbst
bestimmt ist. Auf das Individuum appliziert heißt dies, daß es wohl
als abstraktes nach einer für es verbindlichen Moral fragen kann,
dann aber im realen Leben stets als Funktionselement durch das
jeweilige Subsystem hinreichend bestimmt ist, wie es da zu leben hat.
Also, da keine Moral mehr eine Systemrelevanz besitzen kann, kann
auch keine kirchliche Moral mehr eine Relevanz besitzen. Es könnte
höchstens noch nach sozialen Räumen Ausschau gehalten werden, in
denen noch nicht das Miteinanderleben geregelt ist, also keine
sozialen Räume wären, sodaß hier noch eine externe Moral
eingezeichnet werden könnte.
Luhmanns
Ansatz überzeugt und doch bleiben gewichtige Fragen offen: Kann die
moderne Gesellschaft wirklich auf eine Steuerung des Ganzen
verzichten, ohne daß sie dann an ihrer Nichteinigkeit zu Grunde
gehen muß? Liegt das evtl daran, daß hier die Ordnung des Staates
nicht adäquat mitgedacht wird, daß das Subsystem: Politik nicht die
Ordnung des Staates erfaßt? Wenn es aber ein der bürgerlichen
Gesellschaft Gegenüberstehendes gibt, das nicht selbst ein Element
der pluralistisch verfaßten Gesellschaft ist, also den Staat als das
Allgemeine, dann wäre das auch der Ort für eine allgemeingültige
Moral, die sich aus der christlichen speisen könnte, insoweit sie
verallgemeinerungsfähig ist als zustimmbar für jedes vernünftige
Denken.
Corollarium 1
Soziale Räume: Vormittags ist er Lehrer, der Raum, in dem er agiert, ist nicht einfach nur ein Schulgebäude, sondern ein Raum, der durch ein Normsystem bestimmt ist, etwa die Rolle des Lehrers gegenüber den Schülern, durch die Normvorstellung der Kollegalität und der schulinternen Hierarchie. Von der Arbeit retour Zuhause ist er der Familienvater, er übernimmt da diese Rolle und am Abend trifft er sich zum Stammtisch- auch ein Stammtisch ist ein sozial reguliertes Zusammensein. Es drängt sich der Eindruck auf, daß auch im Mikrokosmos unter der Ebene der vier Subsysteme sozial regulierte Räume existieren,die in sie Eintretende hinreichend bestimmen in ihrem Tun und Lassen, daß gar kein Raum mehr ist für eine universalistische christliche Moral!
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