Die
Reformbewegung der „Deutschen Christen“ ist eine, an die man sich
äußerst ungern im heutigen Protestantismus erinnert, und wenn, dann
nur als einer Negativfolie, um dann die Lichtgestalt der „Bekennenden
Kirche“ umso mehr zum Leuchten zu bringen. Die „Bekennende
Kirche“ ist so zu einem Mythos geworden als das rein Gute, das
gegen das Böse kämpfte.
Wir
befinden uns so in zwei Situationen, der historischen der 30er Jahre,
der Zeit der größten Erfolge dieser Reformbewegung und der
Gegenwart nach der totalen Niederlage des Nationalsozialismus, von wo
aus das Vergangene nun gedeutet wird. Was war diese Bewegung wirklich
und was war sie in den Augen von uns Heutigen, impliziert, daß das
Vergangene etwas plusquamperfektisch Abgschlossenes ist, das so
begriffen werden kann, daß also Vergangenes nicht durch
Gegenwärtiges rückwirkend verändert werden kann. Zizek betont ja
in extenso die Nichtobjektivität des Vergangenen, daß also die
Zukunft das Vergangene verändern könne. Ein sehr simples Beispiel
möge das veranschaulichen: Im ersten Bild sehen wir einen Knaben,
der sein erstes Glas Schnaps trinkt, im zweiten, wie er betrunken
unter dem Tisch liegt auf seiner Geburtstagsfeier und im letzten tot
im Spital. Schauen wir vom letzten Bild her retour wird das erste
Bild zu dem Lebensweg eines Alkoholikers,betrachtete man aber nur das
erste Bild, sehen wir einen Knaben, mit dem sein Opa anläßlich
seiner Erstkommunion einen kleinen Schnaps zu trinken gibt.
Was
war die Reformbewegung im ersten Bild? Sie war eine
innerprotestantische Laienbewegung mit dem Ziel eines
zeit(geist)gemäßen Verständnisses des Christentumes und der
Forderung einer zeitgemäßen Umgestaltung der evangelischen Kirchen.
Die innerkonfessionellen Gegensätze zwischen dem lutherischen und
dem reformierten Christentumsverständnis sollten als nicht mehr
relvant ad acta gelegt werden, zumal diese Differenzen sowieso nur
noch zum Sophistischen tendierenden Theologen verständen. Das
Christentum sei aber primär Tatreligion. Jetzt kann man nur Christ
sein, wenn man politisch sich engagiere und aktiv die
nationalsozialistische Revolution unterstütze. Dabeisein, Mitwirken,
darauf käme es jetzt an. Die Theologie solle da zurücktreten.
Da das
Zeitalter der Demokratie jetzt auslaufe und der Führerstaat das
Modell des 20. Jahrhundertes sei, habe der Protestantismus diesem
Modell sich anzuähneln. Dem Protestantismus solle so ein
Reichsbischof als Führer der Kirche voranstehen. Die Theologie sei
zu modernisieren, und das heißt jetzt, daß das Christentum die
natiionalsozialistische Weltanschauung in sich aufzunehmen habe.
In einem Wort:
ein durch und durch liberales Anliegen. Nur ein Christentum auf der
Höhe der Zeit könne die sich vom Glauben Abwendenden wieder
zurückholen in die Kirche. Das mußte conservativen Widergeist
erwecken. Der organisierte sich dann auch in der „Bekennenden
Kirche“. Der Parole der Erneuerung und Modernisierung wurde ein
conservatives Bekenntnis des christlichen Glaubens entgegengesetzt.
Erst durch die Mythologisierung mutierte dann diese
Bekenntisbewegung zu dem christlichen Widerstand gegen die
Hitlerdiktatur. Die „Deutschen Christen“ dagegen wurden zu tumpen
Nazi-Christen. Ihr konsequentes Reformprogramm wurde nicht mehr als
ein zutiefst liberales angesehen mit ihrem Zentralanliegen eines
zeitgemäßen Christentumsverständnisses sondern zu einer
Opportunistenbewegung umgedeutet, der die Helden der Bekenntniskirche
gegenüberstanden. Daß das alles ganz anders war, zeigt Hans
Prolingheuer: Kleine politische Kirchengeschichte - 50 Jahre
evangelischer Kirchenkampf. Aber
Mythen sind in der Regel aufklärungsresistent.
Aber
warum wird die Geschichte der „Deutschen Christen“ so energisch
verschrieben? Darauf gibt es eine leider sehr einfache Erklärung.
Der Deutsche Protestantismus ist nach 1945 der Praxis der Deutschen
Christen gefolgt, daß die Theologie und die Kirche zeit(geist)gemäß
zu sein hat. Sie brach nur inhaltlich mit den Traditionen, weil
formal das Projekt der Einpassung in den vorherrschenden Zeitgeist
fortgeführt wurde. Die „Christen für den Sozialismus“, die
feministische Theologie sind dabei nur Extreme dieses
Einpassungskurses des Protestantismus. Daß der Protestantismus die
politische Korrektheitsideolgie nun völlig verinnerlicht hat, zeigt
so aber auch rückblickend, was das Anliegen der „Deutschen
Christen“ war. Im Lichte des heutigen Protestantismus wird erst das
Anliegen dieser Reformbewegung klar, aber diese Klarheit muß der
heutige Protestantismus verdrängen, weil nur so er jetzt dies
Reformprogramm realisieren kann.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen