Samstag, 6. März 2021

Leben wir in Zeiten der Dekadenz- Sagen wir Nein zum Leben? Irritierendes!

In den Sprüchen Salomons (8,35) steht geschrieben: „Omnes, qui me oderant, diligunt morten“= Alle, die mich (die Weisheit)hassen, lieben den Tod: ein auslegungsbedürftiger Spruch Salomons.

In welchem Verhältnis stehen hier der Haß und die Liebe? Wird die Weisheit gehaßt, weil der Tod geliebt wird? Oder ist die Folge des Hassens der Weisheit die Liebe zum Tode? Man könnte diese Aussage aber auch ganz anders deuten: Denen, die Weisheit hassen, wird gesagt, daß sie so unbeabsichtigt den Tod lieben, weil die Folge der Verachtung der Weisheit der Tod ist.

Spontan wird man meinen, daß jeder ganz natürlich sein eigenes Leben liebt und so als erhaltenswert erachtet, nur daß eben diese Liebe egozentrisch ist und so der Nächstenliebe ein Hindernis ist. An einem Mangel an praktizierter Nächstenliebe leide so die Menschheitsgeschichte. Es wäre so eine Aufgabe der Kultur, die egozentrische Selbstliebe zugunsten einer Selbstliebe, die auch einen Raum läßt für die Nächstenliebe umzuformen.

Aber Salomon mutet uns hier den Gedanken zu,Menschen uns zu imaginieren, die den Tod lieben, die die Weisheit als Kunst guten Lebens verachten, weil sie den Tod, den ihrigen und den anderer lieben.S. Freud sprach ja von einem Todestrieb des Menschen. Der Titel Jenseits des Lustprinzips der 1920 verfassten Schrift, in der Freud seine Überlegungen zum Todestrieb ausführt, deutet Freuds Verständnis desselben an: Er strebt nach Zurückführung des Lebens in den anorganischen Zustand des Unbelebten, der Starre und des Todes.“ Wikipedia, Todestrieb.

Könnte so dieser Spruch Salomons als Beleg für einen solchen Todestrieb angesehen werden?

Noch verwirrender wird es, wenn man Versucht, zwischen diesem Todestrieb und der Vorstellung von der Liebe Tolstois einen Zusammenhang zu sehen. Denn so kritisiert E. Hirsch Tolstoi: „Zunächst jener dumpfe Liebesdrang, der das eigene Leben mit dem Leben aller Menschen, ja des Alls,verschmelzen möchte und sich zerstörend gegen alle Formen des Einzellebens wendet.“ Hirsch, Deutschlands Schicksal, 1920, S.134f.

Diese Verschmelzungsphantasie inkludiert ja die Verneinung des Einzellebens, es ersehnt seine Zerstörung. Wenn jedes bewußte Leben notwendig die Trennung des Iches von allem anderen mit sich zieht, weil alles Nicht-Ich dann dem Ich zu seinem Objekt wird, von dem er so als Ich abgesondert existiert, dann kann es diese Verschmelzung und dies Aufgehen in allem nur als Selbstnegation des Iches vollzogen werden- so wie das Ich im buddhistisch gedachten Nirvana sich nichtet. Ist solch eine Selbstauflösungsvorstellung nicht faktisch der Wunsch nach dem eigenen Tode? Wie könnte denn auch sonst das Belebte oder gar bewußte Leben eins werden mit dem Unbelebten?

Kulturkritisch formuliert, liegt es nahe, einen solchen Todestrieb nicht als eine Konstante im Menschen anzusehen wie etwa seinen Fortpflanzungstrieb, sondern als ein Phänomen dekadent gewordener Kulturen, daß nur der Kulturmensch des Lebens überdrüssig den Tod für sich und gar für alle ersehnt. Ist nicht Nietzsche einer der feinsinnigsten Kritiker solcher dekadenten Todessehnsucht, die er in Schopenhauers Lehre von der Verneinung des Lebenswillens wahrnimmt, sodaß er den Willen zur Macht als gesteigerte Lebensbejahung dieser Todesmelancholie entgegensetzt?

Die Weisheit Salomos erfaßte so eine dunkle Möglichkeit des Menschen, die sein, gar das ganze Leben zu hassen und so kein Ohr mehr haben zu können für die göttliche Weisheit als Lebenskunst.

Leben wir den nun, 100 Jahre nach Freud und Hirsch wieder in Zeiten der Dekadenz, jetzt auch in der Ausgestaltung des Selbsthasses des „Weißen Mannes“ auf sich selbst, daß nun die westliche Kultur, die abendländische ihren eigenen Untergang will?

 

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