Als die Gretchenfrage des moralphilosophischen Diskurses präsentiert ein Artikel auf Kath net: „Das Gute in dieser ‚neuen Sexualmoral‘ ist nicht neu und das Neue an ihr ist nicht gut“ (1.9.2021):
Was heißt gut? Hedonē – gut ist, was mir Genuss verschafft oder aretē – gut ist, was vollendet ist? Wenn das wirklich ernst gemeint sein sollte, ergäbe das das Urteil, daß ein vollendeter Mord etwas Tugendhafteres wäre als ein nur versuchter. Das ist nun aber so absurd, daß davon auszugehen ist, daß hier über das Geschriebene nicht nachgedacht worden ist. Ob etwas Vollendetes etwas Positives, moralisch Gutes ist, ist nicht identisch mit der Frage, ob etwas vollendet ist. Es kommt allein auf die Qualität des Nicht- oder Vollendeten an. So ist eben ein vollendeter Mord etwas Unmoralisches, ein vollendetes Kunstwerk etwas Moralisches, wenn das Vollendetsein die Qualität des Kunstwerkes bezeichnet. Aber es gilt auch, daß Robert Musils Roman: „Der Mann ohne Eigenschaften“ ein geniales Kunstwerk ist, auch wenn der Autor es nicht vollenden konnte, ja es steht in nichts Marcel Proust vollendetem Roman: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ nach. Aus dem Bereich der Moral: Der Versuch, einem Menschen das Leben vor dem Ertrinken zu retten, ist auch dann etwas Moralisches, wenn dieser Versuch unverschuldet mißlingt.
Aber was ist nun von der Perhorreszierung des mir Genußverschaffens zu halten. Im Sinne des hl. Augustin sind zwei Handlungsweisen zu unterscheiden, die, die ihren Zweck außerhalb der Tat haben und die, die ihren Zweck in sich selbst haben. Ersteres bezeichnet er als „uti“, als Nützlichkeitshandlungen: Ich kaufe mir ein Buch, um es zu lesen. Das Kaufen ist die Nützlichkeitshandlung, während das Lesen des Buches in diesem Falle etwas Selbstzweckliches ist, das so frui- genossen wird. Nur das selbstzwecklich Getane können wir genießen, die Nützlichkeitshandlungen dagegen haben ihren Sinn allein in ihrer Ausrichtung auf die selbstzweckliche Tat. Soll nun jedes Selbstzweckliche, weil es so dem Täter einen Genuß bereitet, moralisch dysqualifiziert werden? Das wäre ebenso absurd. Wenn das Gute um des Guten willen vollbracht und so genossen werden würde, wäre das dann eine unmoralische Handlung?
Neben diesem offenkundig nicht recht Durchdachtem ist nun diese Äußerung sehr bedenkenswert:
„Auch der Münsteraner Dogmatiker Thomas Möllenbeck machte mit Bezug auf C. S. Lewis auf der Kölner Tagung darauf aufmerksam, dass es keine unbedingte Moral mehr geben könne, wenn es kein natürliches „gut“ mehr gibt, das am höchsten gut Maß nimmt.“
Das klingt irgendwie theologisch angemessen, zumal wenn man etwa eingedenk der Schrift des Schweizer Reformators über die Vorsehung Gottes sich daran erinnert, daß dort und nicht nur dort Gott als das „summum bonum“ bezeichnet wird. Trotzdem stellen sich beim Nachdenken Probleme ein: Bezeichnet das „höchste Gut“ eine objektive Seinsqualität von etwas, das erstrebt wird, oder bezeichnet es eine subjektive Wertung dessen, der etwas als für ihn als das höchste Gut erstrebt. So könnte ein Christ urteilen, daß für ihn Gott das höchste Gut ist, für einen Atheisten dagegen kann es auch ein höchstes Gut geben, das dann aber nicht mit Gott identisch ist. So könnte ein atheistischer Transhumanist als das höchste Ziel die Perfektionierung des Menschen ansehen, der sogar den Tod überwindet.
Wenn das höchste Gut etwas rein Subjektives ist, dann ist es nur das höchste, weil es subjektiv so angesehen und erstrebt wird. Wenn dagegen das höchste Gut etwas Objektives ist, dann ist es möglich, daß Menschen auch subjektiv danach streben oder auch nicht danach streben. Denn die reine Erkenntnis, daß etwas das höchste Gut sei, determiniert nicht den freien Willen des Menschen, daß er dann das auch erstreben müßte. Jesus Sirach formuliert dies in beeindruckender Klarheit: „Ante hominem vita et mors, bonum et malum:quod placuerit ei, dabitur illi“ = Der Mensch hat vor sich Leben und Tod, Gutes und Böses; was er will, wird ihm gegeben (15,18)Der Mensch kann in seiner Freiheit das Leben oder den Tod wählen, das Gute oder das Böse und Gott wird ihm dann das geben, was er sich frei erwählte.Solange das höchste Gut nur etwas rein Objektives ist und mir nicht zum subjektiv Gewollten wird, kann ich statt Gutes zu wirken auch Böses wirken, ja es gibt sogar Menschen, die das Böse um des Bösen willen vollbringen um des Genießens dieses Selbstzwecklichen. So spricht die Definition des Mordes im Strafgesetzbuch auch von der Möglichkeit des Lustmordes, der Lust am Töten um des Töten willens. Soviel Realismus findet sich im moraltheologischen Diskurs der heutigen Zeit leider selten (oder gar garnicht?).
Was soll nun ein „natürliches Gut“ sein, das am höchsten Gut Maß nimmt? Mit dem Natürlichen dürfte hier wohl das Nichtübernatürliche und nicht das Nichtkulturelle gemeint sein. Moralische Güter kann es nämlich nicht in der Ordnung der Natur sondern nur in der der Kultur geben. Dann würde das meinen, daß nur solche Kulturgüter moralisch qualifizierte wären, wenn sie in einer positiven Relation zu Gott als dem „summum bonum“ stünden. Oder meint das, das kulturelle Güter nur dann unbedingt erstrebt werden könnten, wenn sie in einer positiven Relation zu Gott stünden?
Denken wir uns einen patriotisch Gesonnenen: „Alles für mein Volk“, denn für ihn ist das eigene Volk das höchste Gut. Dann gibt es keinen Zweifel, daß er all sein Tuen diesem obersten Gut unterordnen wird, weil für ihn nur das eigene Volk etwas Selbstzweckliches ist. Er wird dann auch alles gutheißen, was seinem Volke dient und wenn es für sein Volk unbedingt notwendig ist, auch das unbedingt wollen. Auch für jeden, für den es ein höchstes Gut gibt, das nicht mit Gott identisch ist und das nur ein kulturelles ist, kann es unbedingt Verpflichtendes geben, so etwa (wie es Ernst von Salomon in seinem Roman: „Der Fragebogen“ ausführt), daß ein Patriot für sein Volk in den Krieg zieht, um für es andere zu töten und auch bereit sein, sich töten zu lassen.
Ist denn nun wenigstens Gott als höchstes Gut der Garant für ein moralisches Handeln? Auch das ist leider ein Irrtum! Wenn Gott nämlich, auch wenn er als das höchste Gut subjektiv anerkannt wird, als alle Menschen bedingungslos Liebender vorgestellt wird, dann kann ja geurteilt werden, daß Gott jeden Menschen, egal ob er als Massenmörder oder als Heiliger lebt, liebe. Dann kann es keine theologische Morallehre mehr geben, da Gott sich dann indifferent dem Handeln des Menschen gegenüber verhielte: Immer liebt er ihn. Gott als unbedingte Liebe zu denken zeitigt so einen theozentrischen Nihilismus, auch wenn Gott dabei als höchstes Gut geglaubt wird.
Nur wenn Gott als die Guten belohnend, die Bösen bestrafend geglaubt wird, kann es eine theologische Morallehre geben. Wenn nun Gott als das höchste also absolut erstrebenswertes Gut qualifiziert wird, dann entspringt dem nur eine theologische Morallehre, wenn gelehrt wird, daß ein bestimmtes moralisches Handeln notwendig ist, um in die Gemeinschaft mit diesem höchsten Gut zu kommen, als Gott dann zu genießenden. (Vgl frui deo beim hl Augustin). Das ergibt aber dann nur eine bedingte Morallehre, so wie sie Jesus Christus selbst gelehrt hat: „Wenn Du eingehen willst in das Reich Gottes, dann hast Du....“. Das ist und kann aber keine unbedingte sein. Jesu Lehre vom Verdienst im Himmel, von den Schätzen, die man sich als Himmelsschätze zu erwirken habe, verdeutlicht das unmißverstehbar. Das Ziel ist das ewige Genießen Gottes und um das zu erreichen habe man so zu leben, wie Jesus es lehrt- aber es ist möglich, daß Menschen die Antwort geben, daß sie nicht in das ewige Leben eingehen wollen, daß sie, wie es Jesus Sirach uns lehrt, den (ewigen) Tod frei wählen können. (Das gilt so auch für das Phänomen des Freitodes.) Denn selbst die Erkenntnis des höchsten Gutes determiniert den freien Willen des Menschen nicht dazu, nach diesem Gut zu streben.
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