Unter der Überschrift: „Die freiwillige Schuldhaft oder der politische Selbsthaß“ Bernard Willms, Identität und Widerstand. Rede aus dem deutschen Elend“ 2013, S.18, steht geschrieben: „Es stellt eine der schwersten Gefährdungen der deutschen Identität dar, daß der Aufbau eines neuen politischen Selbstbewußtseins auf der kritiklosen Anerkennung der eigenen Schuld beruht. So wird sogenannter Antifaschismus als kollektiver Selbsthaß identitätsstörend, und das darin immer latente Schuldgefühl legt sich wie ein Mehltau über alles Errungene,alles Bejahende, alles Vitale,alles Glück,alle Zukunft.“
Das ist sicher eine These, die die heutige Lage Deutschlands zu verstehen hilft. Darum soll ihr jetzt nachgegangen werden. Als erstes muß hier eine Korrektur angebracht werden. Nach dem verlorenen Krieg wurde Deutschland in drei sich herauskristallisierende Staaten aufgeteilt gemäß der alten Römerweisheit: „Teile und herrsche“. Die offizielle Geschichtsschreibung der DDR war geprägt durch eine marxistische Deutung des sogenannten „Deutschen Faschismus“, die die Ursachen der nationalsozialistischen Herrschaft im Kapitalismus sah und so nicht primär als etwas spezifisch Deutsches interpretierte. Zudem sah sich der DDR-Staat als in der Tradition des Widerstandes gegen Hitler stehend, daß in ihr, dem „Neuen Deutschland“ nun die Quellgründe der faschistischen Gefahr beseitigt worden waren. Nur in der BRD könne es noch so eine Gefahr geben. Österreich erschuf sich dagegen ein ganz anders Narrativ, daß sie das erste Opfer Hitlers gewesen seien. Dieser reine Opferstatus exculpierte so diesen Teil des deutschen Volkes von aller Schuld am Nationalsozialismus.
Nur für die BRD gilt so das von Willms Ausgesagte und zusehens auch für die Ostdeutschen, sofern sie jetzt die westliche antideutsche Interpretation des nationalsozialistischen Herrschaft übernehmen. Signifikant dafür ist, daß das einstige Zentralorgan der SED: „Neues Deutschland“ hieß, es nach der Wende umgeschrieben wurde zuerst zum klein geschriebenen: „neues deutschland“ und jetzt nur noch „nd“ heißt. „Deutsch“ ist eben zu einem Negativen geworden, darum benennt sich die deutsche Fußballnationalmannschaft auch: „Die Mannschaft“ und eine zeitlang hieß die „Deutsche Bundesbahn“ nur noch „Die Bahn“: Deutsch- nein danke.
Damit ist schon ein wesentliches Moment unserer jetzigen Lage erfaßt: Als dreigeteiltes Volk hat es sich auseinander entwickelt, jetzt erst wird der Ostdeutsche in die Narration der BRD von dem deutschen Volk als dem eines Sündervolkes integriert. Dem liegt die spezifisch westliche Deutung des Nationalsozialismus zugrunde, daß in Hitler der Wesenskern des deutschen Charakters sich manifestiert habe. Hitler sei nur als etwas zutiefst Deutsches zu begreifen. Darum muß der Antifaschismus unbedingt ein Antigermanismus sein.
Willms spricht so treffend von einer „Weiterführung des Krieges mit anderen Mitteln“ (S.19), daß so das deutsche Volk zu einem schuldigen gemacht wird, „dessen nationales Selbstbewußtsein mit Schuld belastet bleibt“ (S.19). Es reichte eben aus Sicht der westlichen Siegermächte nach zwei gewonnenen Kriegen gegen Deutschland nicht aus, es wiederum militärisch besiegt zu haben, es sollte nun auch noch moralisch besiegt werden, damit nie mehr ein starkes Deutschland entstehen könne. (Diese Intention wurde aber auch konterkariert durch den Willen zum Ausbau der BRD zu dem Frontstaat gegen den Osten, einem starken.) Die Nato wie auch die heutige EU wurden so nicht nur aus antisowjetischen Interesse gegründet sondern auch um dadurch Westdeutschland klein zu halten, indem unsere Souveränität so limitiert wurde. Die BRD lebte so unter der Aufsicht der westlichen Siegermächte.
Willms verweist nun aber auf einen ganz wesentlichen Punkt: Wir Deutschen haben die Geschichtsschreibung der Sieger so verinnerlicht, uns zu eigen gemacht, daß wir selbst diesen Krieg gegen das eigene Volk nur mit anderen Mitteln selbst praktizieren. Man könnte von einem anerzogenen Nationalmasochismus sprechen: Ein guter Deutscher ist nur der, der sich dafür schämt, ein Deutscher zu sein.
Aber grundlegendere Fragen sind nun zu stellen: Was ist überhaupt die Identität eines Volkes? Für den Einzelmenschen gilt: Er kann nur autobiographisch von sich denken, indem er sich als Ich denkt, als das Subjekt, von dem dann die Sätze seiner Autobiographie handeln, entweder aktivisch oder als passivisch. Schaut man sich Photographien von sich selber an, unübersehbar sind die Differenzen. Niemand sieht als 10 Jähriger aus wie als 30 oder 70 Jähriger. Was ist aber nun der Grund dafür, daß jedes der Photographien ein und dem selben Subjekt zugeschrieben werden? Es ist die Präsumption eines Iches, daß sich im Laufe der Zeit identisch bleibend durchhält. Eine Geschichte der Wechselfälle, was tat ich nicht alles an Verschiedenen und erlitt es, kann nur geschrieben werden, wenn ich ein solches Ich voraussetze. Die Verschriftlichung macht es überdeutlich: Das Wort: „Ich“ und seine Umformungen des Genitives, Datives und Akkusatives erscheinen in autobiographischen Texten wie feste Felsen, die zwar immer von anderen vielfältigen Ereignissen umspült werden, aber sich dabei als identische durchhalten. Das ist so das Identische im Laufe des Lebens als denknotwendige Voraussetzung jeder autobiographischen Äußerung.
Damit wäre die Identität etwas Unverlierbares, nur dadurch wird ein menschliches Leben von seiner Zeugung über den Tod hinaus als eine Geschichte eines Subjektes konstituiert.
Gilt das so auch für die Geschichtsschreibung eines Volkes? Gibt es da auch ein sich durchhaltendes Ichsubjekt, dem dann die ganze Geschichte zu einer ihm zuschreibbaren wird? Nur durch ein solches Subjekt werden ja aus den vielfältigen Geschichten, die der deutschen Literatur, die des deutschen Heeres, die der deutschen Sprache zu einer ganzen Geschichte, die zu einem Subjekt gehört. Jede völkische Geschichts-schreibung setzt ein solches Subjekt, das des Volkes voraus, sonst gäbe es nur individuelle Einzelgeschichten von Deutschen aber keine Geschichte des deutschen Volkes.
Es könnte aber der Begriff der Identität auch anders begriffen werden. Eingedenk des Ausspruches, daß die Völker Gedanken Gottes sind (Herder zugeschrieben), könnte es so gedacht werden: Identisch ist das, was so ist, wie es nach seiner Idee in Gott ist. Das ermöglicht, den Gedanken einer Entfremdung von sich selbst zu konstruieren, daß ein Mensch und auch ein ganzes Volk sich abgewandt hat von dem, was es nach Gott sein sollte. Die Idee von etwas kann in seiner Erscheinung verfälscht sich realisieren, wenn in der Erscheinungswelt es die Fähigkeit besitzt, sich frei zu bestimmen, also sich zu etwas entwerfen, was es nicht sein sollte. Völker könnten so ihr Sein (wie sie nach Gott sein sollen, wozu sie berufen sind) verfehlen und so auch ihre Identität verlieren.
Ein weiteres Problem ergibt sich nun noch aus der Vorstellung, daß die Geschichtsschreibung die der Sieger ist- in unserem Falle, daß zuerst in Westdeutschland, nun aber auch in Ostdeutschland zusehens die Geschichtsschreibung der westlichen Siegermächte implantiert wurde. Gibt es denn dann eine objektive Geschichtsschreibung, im Geiste des großen Historikers Leopold von Ranke: Schreiben, wie es wirklich war? Oder gibt und kann es nur perspektivische Geschichtsschreibungen geben? Oder wäre die objektive Geschichtsschreibung die der Summe aller möglichen perspektivischen? Ein zu weites Feld, als daß es hier als weiterer Unterpunkt behandelt werden kann - deshalb: Fortsetzungen werden folgen.
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