Sonntag, 14. Januar 2024

„Die neue Sehnsucht nach dem Feind“

 

"Die neue Sehnsucht nach dem Feind“


,titelt der Tagespostkommentar am 12.Jänner 2024 sehr treffend die gegenwärtige Geisteslage in Deutschland charakterisierend. So polemisierte in einer sonntäglichen Vorabendmesse ein katholischer Pfarrer, statt des Evangeliumes wider die protestierenden, auf den Straßen „brüllenden“ Bauern, denen er nicht nur Egoismus vorwarf sondern auch noch, daß sie sich von „Rechten“ mißbrauchen ließen:Eine Predigt gab es so nicht, stattdessen eine Kampfansage wider die Bauern, dem aktuellen Feind der Demokratie. Der „Protest ist Element der lebendigen Demokratie. Aber die Flucht in Feindbilder ist gefährlich.“Wer in Protestierenden nur noch Feinde der Demokratie sieht, zeigt eben an, wie wenig er selbst Demokrat ist. Allerdings muß konstatiert werden, daß nun die ökologischen Selbstankleber nicht so diffamiert werden, sondern nur die Bauern und vordem die Kritiker der Coronamaßnahmen der Regierung.

Mit Feinden diskutiert man nicht mehr, man hat sie aus dem Diskurs auszugrenzen, sodaß nur noch über sie aber eben nicht mehr mit ihnen geredet wird. Der Tagespostkommentar präsentiert nun für dies Phänomen einen nachdenkenswerten Erklärungsversuch: „Die Definition des Feindes hilft in der Identitätskrise. Die Menschen wissen nicht mehr so recht, wer sie sind – das gilt übrigens für alle weltanschaulichen Gruppen. Und darunter leiden sie. Die, die ihre Feindbilder zeichnen, wähnen sich im Kampf, sie stilisieren sich zu mutigen Rittern. In Wirklichkeit aber suchen sie Entlastung. Die Abgrenzung vom Feind befreit von der Aufgabe, zu bestimmen, wer man selbst ist. Die Identitätsfragen lösen die anderen. Ich bin nicht so wie der. Das reicht.“

Wo die eigene Identität sich aufzulösen drohe, helfe ein Feindbild: „Ich bin nicht so wie der.“, aber diese Differenzbetonung erwirkt zwar eine Identität für den sich so Verstehenden, aber noch nicht eine Feindschaft.Etwas ist nur etwas Bestimmtes durch all seine Negationen: ein Mensch wird nur zu einem Manne durch seine Differenz zur Frau, ohne die wäre er nur ein Mensch. Aber das bedeutet nun nicht, daß es eine Feindschaft zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlechte gäbe.Die Differenz kann zu einer Feindschaft entarten, aber eine Differenz ermöglicht so nur ein Feindschaftsverhältnis.

Wie wird nun aus einem bloßen Differenzbewußtsein ein Feindschaftsverhältnis, in dem man sich als im Kampfe gegen den Feind streitenden mutigen Ritter wahrnimmt? Einen Ansatzpunkt, warum im politischen Diskurs propagierte Feindbilder auf einen fruchtbaren Boden fallen, erfaßt so diese Herleitung der „Sehnsucht nach dem Feind“,aber noch nicht hinreichend, warum es nun im politischen Diskurs nun eine solche Vorliebe für Feindbilder gibt. In dem Kommentar wird nun selbst auf Carl Schmitts These zur Bedeutung des Feindes für den politischen Diskurs verwiesen, aber es reiche die These einer Identitätskrise. In Anlehnung an Schmitt könnte gesagt werden, daß eine pluralistisch strukturierte Gesellschaft, eine multiethnische und multikulturelle keine Gemeinschaft mehr sei, weil ihr nichts mehr Verbindendes zu eigen ist. Habermas Idee eines Verfassungspatriotismus als alle verbindendes Band erweist sich ja als illusionär.Aber ein im politischen Diskurs proklamierter Feind, unser aller Feind, der soll dann neu eine Gemeinschaft stiftenden. Es verbindet dann eine so strukturierte Gesellschaft nur noch der Feind und produziert so eine Homogenität der Gesellschaft, da es weder eine ethnische noch eine kulturelle in ihr existiert. Der so proklamierte gemeinsame Feind hilft dann aber auch in ihrer Identität verunsicherten Bürgern: Jetzt stehe ich auf der richtigen, der guten Seite, wenn ich Nein sage zu dem Feind aller. 

Corollarium

Schmitts These von  der konstitutiven Bedeutung des Feindes für die Politik gilt m.E. nur für ein Politikverständnis in einem emphatischen Sinne, wenn die Politik die religiösen Hoffnungen als durch die Politik zu realisierende Gehalte auffaßt und den Feind als den Grund, der die Ursache des Elendes und der Nochnichtrealisierung der rein vernünftigen guten Gesellschaft deutet.  Schmitt urteilt ja: "Alle ideologischen Begriffe und Phrasen unserer Zeit sind ohne ihre theologischen Vorläufer nicht erklärlich, was ihren religiösen Kern enthüllt." Klaus Kunze, Wie der Mensch sein eigener Gott wurde, 2022,S.13. Das müßte dann ja auch für den Begriff des Feindes gelten, der religiös ursprünglich ja den Teufel meint: Der politische Gegner wird verteufelt.  


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