Sonntag, 17. März 2024

Ein paar Anmerkungen zur gegenwärtigen Lage des Menschen oder über die Illusionen des Individualismus

 

Ein paar Anmerkungen zur gegenwärtigen Lage des Menschen oder über die Illusionen des Individualismus

Man konnte in den Medien lesen, daß Arme in Deutschland eine geringere Durchschnittslebenzeit hätten als die Gruppe der Besserverdiener. Unbestritten sind die Fakten, aber die Interpretation der Fakten ist sehr aufschlußreich: Die Armen stürben eher, weil sie sich ungesünder ernährten, sich zu wenig bewegten und und.Ergo ihre Fehlverhalten verursache die kürzere Lebenszeit. Dies Fehlverhalten habe nun nichts mit ihrem Armsein zu tuen, sondern sei bei ihnen ein kontingentes Fehlverhalten, das sie auch problemlos abstellen könnten. Im Geiste der Ideologie des personalistischen Denkens, das auch unter dem Begriff des Individualismus subsumierbar ist, wird die Ursache für diesen Tatbestand allein in einem persönlichen Fehlverhalten verortet. Die Banalität, daß das gesündere Essen teurer ist als das, das sich Arme leisten können, wird dabei völlig ignoriert, ebenso die Tatsache, daß sich viele der Armen über die „Tafeln“ fast nur noch über abgelaufenes nichtfrische Lebensmittel ernähren müssen und die Tatsache, daß Privatkassenpatienten weit besser medizinisch betreut werden als die von den gesetzlichen Krankenkassen. Aber genau diese Ignorierung des sozial Bedingten gehört konstitutiv zum personalistischen Denken.

Im Bundestag muß nun eine neue Entscheidung zur Legitimität einer Beihilfe zum Suizid entschieden werden, da die bisherige gesetzliche Regelung grundgesetzwidrig ist. Der Diskurs kapriziert sich auf die Frage der individuellen Freiheit und der Legitimität der Begrenzung dieser zur Abwehr eines Mißbrauches der individuellen Freiheit zu einer Selbstschädigung. Ausgespart wird dabei die Wahrnehmug des politischen Interesses, daß Schwersterkrankte ihr Leben freiwillig beenden, statt so hohe Unkosten zu produzieren. Die Kampagne gegen die ach so inhumane Gerätemedizin, daß Patienten nur noch durch an sie angeschlossene Apparate künstlich am Leben erhalten blieben, verdrängt ebnso das politische Interesse der Kostendämpfung im Gesundheitssystem. Es ginge doch nur um die persönliche Freiheit, selbstbestimmt sein Leben zu beenden. So zynisch es auch klinkt: Unheilbare, die sich das Leben nehmen, verurachen so keine Unkosten. Deshalb wird jetzt auf der politischen Ebene die Beihilfe zum Suizid so energisch diskutiert, da davon ausgegangen wird, daß Schwersterkrankte ihren Suizid nicht mehr selbstständig begehen können.

Wir zählen jetzt zwischen 2 und 3 Millionen Arbeitslose. Die sind natürlich für ihr Los selbst verantwortlich, weil sie entweder gar nicht arbeiten wollen, oder zu hohe Ansprüche an eine Arbeitsstelle stellen oder nicht gut genug qualifiziert sind. Verhielten die sich richtig, gäbe es keine Arbeitslosigkeit, sie sei eben die Folge persönlichen Fehlverhaltens. Frägt man nun aber Betriebs- oder Volkswirtschaft Studierende, erhält man die Antwort: Eine Sockelarbeitslosigkeit sei für das Funktionieren der Marktwirtschaft notwendig,eine Vollbeschäftigung dysfunktional. Wie hoch die Sockelarbeitslosigkeit nun sein müsse, darüber existieren unterschiedliche Einschätzungen, aber 2 Millionen werden so ungefähr als gut angesehen. Die Wirtschaft bräuchte Arbeitskraftreserven, die bei einer besonder guten Konjunktur einstellbar seien, man bräuchte die Arbeitslosen,um die Arbeitenden zu disziplinieren, daß sie keine „zu hohen“ Lohnforderungen stellen, nicht selbst kündigen und daß der Krankenstand niedrig gehalten wird. Wer häufiger krank ist,wird als erster gekündigt. Auch hier wird das Problem personalistisch umgedeutet, als gäbe es nicht systemimmanente Gründe, daß es immer Arbeitslose gibt, weil eine Sockelarbeitslosigkeit für das Funktionieren des Marktwirtschaftssystemes notwendig ist.

Die philosophische Richtung des Personalismus verkennt nun aber das Sozialleben, daß es durch Subsysteme bestimmt ist, in denen dann die Individuen funktionieren, es versteift sich auf die Vorstellung eines autonomen Subjektes, das als Person Herr seines Schicksales wäre und so für sein frühzeitigeres Absterben wie auch für alles andere selbst verantwortlich sei. Davila beschreibt die Auswirkung dieses Soziallebens so in dem Aphorismus: „In der modernen Gesellschaft gleichen die Individuen einander täglich mehr – und täglich haben sie miteinander weniger zu tun.Identische Monaden, die sich mit blindwütigem Individualismus gegenübertreten.“ Davila, Es genügt,dass die Schönheit unseren Überdruss streift...2017, S.51.

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