Ein Verdacht – wie konnten Verstöße gegen das Keuschheitsgebot zu der Sünde schlechthin avancieren?
Wenn 99,999 Prozent der Katholiken nicht nur in Deutschland nicht nur sich nicht an die Keuschheitsbestimmungen der Kirche halten sondern gar sie ablehnen, als nicht für sie annehmbar ansehen, dann ist das doch auch als ein Anlaß zu nehmen, zu eruieren, ob denn die Sexuamorallehre der Kirche wirklich in jedem Punkte über jede Kritik erhaben ist, aber es muß doch dann darauf insistiert werden, daß diese Nichtakzeptanz schon ein Beweis für eine Unsachgemäßheit dieser Lehre wäre.
Wer nun den zugebenermaßen sehr antiquierten Standpunkt vetritt, daß auch in allen Moralfragen die hl.Schrift die Primärquelle ist, nicht die einzige aber die zuerst zu befragende, der stößt in dieser Causa auf etwas Irritierendes. Sehr gern und häufig vergleicht das Alte Testament die Beziehung Gottes mit dem Volke Israel mit einer Ehe, besonders drastisch beim Propheten Hosea. Von Gott bekommt er den Auftrag, eine Prostituierte zu heiraten, die dann ihren Beruf weiterhin ausübt. Damit soll der Prophet dem Volke sagen: So untreu meine Frau als Prostituierte mir gegenüber ist, so untreu verhält sich das jüdische Volk seinem Gott gegenüber.
(Meiner Erinnerung nach meinten Exegeten des 19.Jahrhundertes, Gott hätte die Ehe mit einer Dirne nie von einem sittlich gesonnenen Menschen abverlangen können, sodaß sie dann wohl ihre Berufstätigkeit aufgegeben hätte als eine verheiratete Frau- aber dann wäre ja die prophetische Aussage in ihr Gegenteil verkehrt worden: Israel sei nun, vermählt seinem Gott treu geworden.)
So wie die eheliche Treue der Frau durch die Möglichkeit einer Affaire mit einem anderen Mann bedroht ist, so sei auch die Bundestreue Israels durch die Möglichkeit der Verehrung von anderen Göttern stets gegeben. Zu einem Ehemann, der ein Jahr lang allein mit einem anderen Kosmonauten in einem Raumschiff unterwegs war, kann seine Frau nicht sagen: „1 Jahr lang warst Du mir wenigstens treu“, denn es gab für ihn ja gar keine Möglichkeit zur Untreue und somit konnte er auch nicht sich als treu erweisen. Damit es die Möglichkeit zur Treue zu dem Gott Israels geben konnte,mußte es die Möglichkeit zur Untreue geben. Das Alte Testament setzt so in seinen vorexilisch verfaßten Schriften (bis circa 586 v.Chr) die Existenz einer Vielzahl von Göttern voraus und lehrt, daß das jüdische Volk mit einem Gott,Jahwe wie in einer Ehe verbunden war. Nur, das Volk erwies sich als ein sehr zum Ehebruch geneigtes Volk. Dafür ist auch ein einsichtiger Grund leicht eruierbar: Der Gott Jahwe hat seine „Kernkompetenz“, wird daraufhin das Alte Testament gelesen, im Bereich des Handelns in der Geschichte: Er befreite Israel aus Ägypten, erkämpfte für sie ihre Neue Heimat im heutigen Palästina, gab ihren Könige Siege oder bestrafte sie durch militärische Niederlagen. Er war aber nicht primär ein Gott, der für die Fruchtbarkeit der Natur, für gute Ernten und den Kindersegen zuständig war. Damit lockten die vielen Fruchtbarkeitsgötter aus der Umwelt Israels und sie verführten dann auch zur Untreue.
Die Rede von der ehelichen Untreue bezog sich so primär gar nicht auf das Sexualleben der Verheirateten, daß sie zu sexuellen Ausschweifungen neigten, sondern auf ihre Neigung, neben den Gott Jahwe auch andere Götter zu verehren, vor allem Fruchtbarkeitsgötter. Nicht die moraltheologische Reglementierung der Sexualität steht so im Vordergrund sondern das Einschwören darauf, daß es für das jüdische Volk nur einen Gott gibt,der für es zuständig ist,daß es aber zur Verehrung anderer Götter leicht verführbar sei. Schon das Faktum,daß der jüdische Gott einen Namen hat, demonstriert, daß an die Existenz vieler Götter geglaubt wurde,sodaß der eine Gott mit seinem Namen anzurufen ist, damit so klargestellt wird, welcher der vielen Götter überhaupt gemeint ist. Stünden 12 Männer vor mir und ich riefe:“He Mann“, keiner der 12 wüßte, wer von ihnen gemeint sei.
Dagegen fällt die moraltheologische Regulierung der Sexualität fast dürftig aus.Gott gibt uns Menschen dazu das erste Gebot:“Seid fruchtbar und mehret euch!“ (1.Mose1,28). Für das jüdische Volk konkretisiert sich dann dies Gebot durch die Verheißung Gottes, das jüdische Volk zu einem sehr großen und mächtigen zu machen.Die Sexualität war so ausgerichtet auf diese Verheißung. Auch wenn das moderne Exegeten nicht hören wollen: Die Sexualität war völkisch ausgerichtet.Die Mischehen mußten so auf Gottes Geheiß gar aufgelöst werden, (Esra10,1-17). Im Zentrum steht so nicht die geschlechtliche Liebe, die in der Form der Ehe zu leben sei, sondern der Wille zum Erhalt des eigenen Volkstumes durch die Erzeugung von genügend Nachkommen. Eine antiindividualistische Perspektive dominiert, aber schon gar nicht die, ob die geschlechtliche Liebe in der Ehe ihre Erfüllung fände oder auch außerhalb ihrer gelebt werden dürfe.
Die Sexualmoralehre konnte erst zu der zentralen Morallehre sich mausern, als das eigentlich Gemeinte, die Treue zu Gott in den Hintergrund trat und diese Morallehre aus ihrem Kontext, dem Willen, das eigene Volkstum zu bewahren,ja zu ermöglichen, daß Israel ein großes Volk werden solle, herausabstrahiert wurde. Sie wurde verindividualisiert und so auch nicht mehr im Sinne des ersten Gebotes: „“Seid fruchtbar und mehret euch!“ begriffen.Dabei drängt sich der Verdacht auf, daß die Ehe, diesem ersten Gebot Gottes subordiniert nun zum Selbstzweck aufgewertet wird.
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