Vier Sichtweisen auf das 2.Vaticanum als das Reformkonzil der Kirche oder ein Kampf um und wider die Kirche
Wer sich um ein Verständnis des Begriffes der Reform im Kontext der Kirche und isb dieses Konziles bemüht, wird auf vier grundlegend differente Verständnisse dieses Begriffes stoßen, die dann auch das Verständnis dieses Konziles präfigurieren.
Das erste ist das ursprungstheoretische: Etwas habe sich von seiner normativen ursprünglichen Form entfremdet, entfernt und soll nun zurückgeführt werden in seine Ursprungsform.
Das zweite ist das geschichtsphilosophische des Fortschrittsglaubens, daß es eine in der Menschheitsgeschichte erkennbare objektive Entwickelung zum Besseren und Guten gäbe, daß aber diese Entwickelung nicht in allen Subsystemen der Gesellschaft gleichzeitig sich realisiere, sodaß hinterherhinkende Subsysteme sich modernisieren müssen, um nicht den Anschluß an die Zeit zu verlieren. Die Begriffe: „progressiv“, „conservativ“, „reaktionär“ und „revolutionär“ erhalten erst in dieser Geschichtsphilosophie ihre klare Bedeutung: „conservativ“ ist der Wille, den Fortschritt zum Stoppen zu bringen. „reaktionär“ ist der Wille, etwas Vergangenes wieder herstellen zu wollen, „progressiv“ ist der Wille, mit dem Fortschritt mitgehen zu wollen, und „revolutionär“ der Wille, den Fortschritt beschleunigen zu wollen. Für Reformen sein heißt dann einfach, den objektiven Fortschritt zu vollziehen.
Das dritte ist das realpolitische, alles Wünschbare und Erstrebenswerte auf das Machbare, Durchsetzbare und Finanzierbare zu reduzieren. Dies Reformverständnis etablierte sich in der Absetzung von der Ära des Bundeskanzlers Brandt mit ihrer Reformeuphorie. Das Antiutopische charakterisiert dies Reformverständnis.
Das vierte ist das marktwirtschaftliche: Der Kunde ist der König und die Waren- und Dienstleistungsanbieter haben sich permanent den sich ändernden Konsumentenwünschen anzupassen.
Je nachdem, wie nun der Begriff der Reform verstanden wird, wird auch das Reformkonzil, das 2.Vaticanum begriffen.
Das Verständnis der Reform als ein Zurück zum Ursprung wäre theoretisch möglich, aber ist ob des historisch-kritischen Bewußtseins nicht mehr akzeptabel: die Ursprungsform sei so sehr zeitgeschichtlich bedingt, daß ihr keine normative Bedeutung mehr zukommen kann. Von diesem Verständnis bleibt dann in der Regel nur die Rede von einem Jesus von Nazareth übrig, der dann von der Kirche und vielleicht schon im Neuen Testament verfälscht worden sei und zu dessen Ursprünglichkeit es gälte, zurückzukehren.Dieser Ursprungsjesus, den man als hinter den Texten des Neuen Testamentes stehend dann herauskristallisiert, ist dann in der Regel ein in den Ursprung hineinphantasierter Jesus, der den aktuellen Bedürfnissen des Bibelerforschers entspricht. Aus der Sicht der evolutionären Geschichtsphilosophie wäre das so, als würde eine Mutter ihrem nun das Laufen erlernt habenden Kinde empfehlen, wieder zu krabbeln, statt auf seinen 2 Beinen zu gehen. In der Vorstellung einer Weiterentwickelung des Ursprünglichen bleibt dann noch ein Rest der Idee der Ursprungstreue erhalten, aber nur in der Form, daß diese Treue in einem realen sich immer weiter Entfernen von dem Anfänglichen bestünde.
Das geschichsphilosophische versteht das 2. Vaticanum als eine nachholende Modernisierung der Kirche.Die Kirche habe in ihrer vorkonziliaren Gestalt den Anschluß an die Weiterentwickelung der Gesellschaft verschlafen und muß so diese Entwickelung nachholen, um auf der Höhe der Zeit zu sein. Nicht seien so die materialen Gehalte des 2.Vaticanums das Wesentliche sondern der sich in den Texten des Konziles dokumentierende Wille zur Modernisierung der Kirche.Das sei der Geist des Konziles, der nun eine permanente Reformierung der Kirche verlange, damit die Kirche mit der Zeit gehe. Das Zentralorgan der SPD hieß vor seiner Einstellung: „Vorwärts“- darin drückt sich prägnant dieser Zeitgeist der Moderne aus.
In der evangelischen Theologie liberaler Prägung wird so aus Luther, der sich selbst als einen Reformator im Sinne eines: Retour zu den Ursprüngen verstand, ein Modernisierer ,der die Theologie und Kirche aus dem Mittelalter herausführen wollte.
Das geschichtsphilosophische Verständnis dominiert m.E den aktuellen Reformdiskurs der Kirche.
Das realpolitische hieße auf das 2.Vaticanum angewendet: Die Kirche hätte sich den glaubensschwachen Zeiten anzupassen gehabt. Sie könne ihre Gehalte nicht mehr in dieser bisherigen Qualität den Zeitgenossen zumuten und habe so ihre Botschaft zu verwässern, um sie rezeptionsfähig zu erhalten. Befürworter des 2. Vaticanumes werden verständlicherweise dieser Deutung nicht zustimmen, aber allein die Liturgiereform läßt sich so trefflich erklären.
Das marktwirtschaftliche Modell spricht für sich und seit dem Endsieg über das sozialistische Experiment 1989f stößt es auf weitestgehende Zustimmung auch in der Kirche. Die Kirche habe im 2.Vaticanum die anthropologische Wende vollzogen, daß nun in ihr der Mensch im Zentrum stünde. Das ist eine schöne Umschreibung für die Parole, daß der Kunde König sei für jeden Anbieter auch für einen Anbieter religiöser Produkte und religiöser Dienstleistungen. Dem korreliert die Rede von Gott als dem jeden Menschen Bejahender, das ist, daß die Kirche jeden potentiellen Konsumenten ernst nimmt, sofern er nicht Conservatives oder gar Reaktionäres begehrt.
Nun könnte das geschichtsphilosopische und das marktwirttschaftliche miteinander harmonisieren, wenn nicht die Konsumenten reaktionäre oder conservative Wünsche äußerten. So wird gewiß ein zeitgenössischer Bischof es begrüßen, wenn LGBTQ-Aktivisten eine Sondermesse begehren, denn das ist progressiv, wünschten aber andere eine „Alte Messe“, ist dies ein reaktionäres Begehren, dem nicht nachgegeben werden darf. Populismus ist eben eine falsche Nachgiebigkeit reaktionären und conservativen Wünschen gegenüber und ist so mehr als verwerflich.
Wenn aber das Kirchenvolk Progressives einfordert wie etwa im „Kirchenvolksbegehren“ der antikatholischen Organisation: „Wir sind Kirche“, resdann und nur dann ist auf solche Stimmen zu hören. Aber es reicht in der Regel aus, zu behaupten, daß die Basis und die Allgemeinheit die progressiven Reformvorhaben unterstütze und daß nur die Ewiggestrigen dagegen seien.
Gegen die Ursprungsnormativität wird dann ganz postmodernistisch eingewandt, daß es solche ewigen Wahrheiten gar nicht geben könne oder sie für uns unerkennbar seien und daß um der Freiheit willen sie auch gar nicht wünschenswert wären. Die Kirche sei nur eine Suchbewegung nach der Wahrheit, die uns unerkennbar sei. Aber es gälte, stets auf der Höhe der Zeit zu sein, was sowohl geschichtsphilosophisch wie auch marktwirtschaftlich gemeint wird, solange nicht Menschen Reaktinäres oder Conservatives wollen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen