Eine grauenhafte Geschichte, nicht von einem Horrorromanschriftsteller sondern aus der Bibel
„Jiftach legte dem Herrn ein Gelübde ab und sagte: „Wenn du die Ammoniter wirklich in meine Gewalt gibst, und wenn ich wohlbehalten von den Ammonitern zurückkehre, dann soll, was immer mir (als Erstes) aus der Tür meines Hauses entgegenkommt, dem Herrn gehören, und ich will es ihm als Brandopfer darbringen.“ (Richter, 11,30f). Krieg war mal wieder. Israel gegen die Ammoniter. Dieser Richter wußte, daß ein Sieg oder eine Niederlage in einem Kriege zuerst und letztendlich von Gott abhängt. Nur wenn Gott mit ihm ist, dann wird er siegen. Wendet Gott sich ab von ihm, dann wird er mit seinem Heer unterliegen. War Gott nicht immer mit Israel, seinem erwählten Volk? Für diesen Richter war das keine Selbstverständlichkeit. Gott war und ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott, der Israel aus Ägypten befreite, der Gott der Wüstenwanderung, aber er ist kein Gott, der selbstverständlich immer mit seinem Volke ist. Denn Gott ging einen Bund mit ihm ein. Wenn Israel bundestreu ist, dann ist auch Gott mit seinem Volke, bricht Israel den Bund, dann gelten ihm Gottes Verheißungen nicht mehr. „Der Geist des Herrn kam über ihn“ (V.29), über den Richter, und er zog aus in den Krieg. Dann legt der Richter das Gelübde ab. Ist auch dies Gelübde noch inspiriert vom Geist des Herrn? Jiftach wußte: Nur wenn Gott mit mir ist, wird sein Heer gewinnen. Er verspricht Gott ein Opfer. Ich werde es dir darbringen, wenn du nun mir und meinem Heer zum Siege verhilfst. Auch hier steht ein Opfer im Vordergrund. Unfromm, aber nüchtern betrachtet: es klingt wie ein Bestechungsversuch: „Gib du mir, dann gebe ich dir.“ Das den modernen Bibelleser Befremdlichste: Gott nimmt dieses Geschäft an. Er gibt dem Richter und seinem Heer den Sieg für das Versprechen eines Opfers. Ein seltsames Opfer verspricht der Richter: „Das, was mir als Erstes aus der Haustüre entgegenkommt, wenn ich siegreich aus dem Krieg heimkehre, werde ich dir, meinem Gott opfern.“ Gott hat seinen Wunsch erhört, weil er ihm dies Gelübde gab. Gott war natürlich nicht moralisch verpflichtet, sich darauf einzulassen, aber er war so gnädig, daß er das tat. Auch hier sei wieder angemerkt: wie wertvoll sind Gott doch die Opfer, die Fromme ihm darbringen!
Und dann die Tragödie: Seine einzige Tochter kam ihm entgegen, tanzend zur Pauke, den siegreichen Vater zu empfangen. Es war sein einziges Kind, seine Tochter. Sie trat ihm aus dem Haus entgegen, um ihn zu empfangen. Das war ihr Todesurteil. Dadurch wurde sie dazu bestimmt, das versprochene Opfer zu werden. Der Richter zerriß seine Kleider - das ist die ritualisierte Form, um das innere Entsetzen, das den Vater überfiel, auszudrücken. Kann es für diesen Vater ein größeres Unglück geben als das, seine Tochter nun als Opfer darbringen zu müssen? Es stürzte ihn ins Unglück.
„Ich habe dem Herrn mit eigenem Mund etwas versprochen und kann nun nicht mehr zurück.“ (V35). Wir möchten nun gern unsere Augen vor dieser Tragödie abwenden - oder wollen wir darauf hoffen, daß Gott, dem der Richter sein Gelübde gegeben hat, ihn von der Erfüllung dispensiert? Die Tochter: „Was du dem Herrn als Gelübde versprochen hast, das mußt du einhalten. Er gab dir den Sieg für dein Gelübde. Nun mußt du es einlösen.“
Hier müßte nun doch Gott diese Tragödie abwenden. Nur er könnte jetzt „Stopp, halte ein!“ rufen. Aber kein Gott rettet die Tochter. Sie stirbt als Opfer, nachdem sie vorher noch zwei Monate mit ihren Freundin auf den Bergen verbringen durfte. Diese Erzählung schweigt dezent über das Innenleben der Tochter. So wollen wir es auch halten. Wer könnte denn auch die Qual dieser zwei Monate schildern! Zwei Monate lebte sie noch, dann mußte der eigene Vater sie als Opfer Gott darbringen, weil er es seinem Gott so versprochen hatte. Wir können es uns nun leicht machen, wenn wir diese Tragödie lesen als weisheitliches Lehrstück: Bedenke genau, was du Gott als Gelübde versprichst, denn du wirst es, wenn Gott dich erhört, wirklich einlösen müssen. Auch der Apostelfürst Paulus legte Gott Gelübde ab, um so von Gott etwas gewährt zu bekommen. Paulus hatte sich aufgrund eines Gelübdes den Kopf kahl scheren lassen (Apg18,18). Der Richter hatte Gott ein Opfer versprochen, und nun mußte er, statt wie Paulus seine Haare, seine einzige Tochter opfern. Aber so verlören wir das Tragische aus dem Blick: daß hier ein Mensch Gott geopfert wird und daß Gott nicht „Nein!“ sagt. Wenn diese Tochter die Geschichte vom Opfer Abrahams kannte, hoffte sie bis zum letzten Augenblick, daß der Gott ihres Vaters sie rette? „Opfere mir, statt deiner Tochter dies oder jenes Tier!“ Aber Gott schritt nicht ein. Eine wahre Tragödie. Es ist kein Privileg der Griechen, große Tragödien hervorgebracht zu haben. Wo Menschen im lebendigen Kontakt mit ihrem Gott leben, da erleben und erleiden sie immer auch wahre Tragödien.
Jeder Moralist müßte urteilen, daß der Vater nicht zum Opfern seiner Tochter verpflichtet war. Sicher müsse er ein Gott gegebenes Gelübde einlösen, aber das hier nicht. Es verstieße so sehr gegen die Moral, daß er von der Einlösung selbstverständlich dispensiert ist. Nur, warum urteilt die Tochter, das Opfer dieses väterlichen Gelübdes, nicht so? Wäre sie nicht dazu prädestiniert, hier im Namen der Moral: „Halte ein!“ zu rufen? Und warum sprach hier nicht das väterliche Gewissen: „Halte ein!“ Fragen, die sich uns angesichts dieser Erzählung bedrängen. Sie zeigen uns aber überdeutlich, wie weit wir uns vom Leben religiöser Menschen entfernt haben! Um Gottes Willen zu töten, erscheint uns als vollkommen unmoralisch und als völlig verwerfliches Tun. Genau diese Entfremdung vom Archaisch-Religiösen macht es uns modernen Christen aber auch unmöglich, in islamischen Terroristen, im Selbstmordattentäter das zu sehen, was sie nach ihrer Religion wirklich sind: Gotteskrieger, die uns sagen: „Wenn es einen legitimen Grund gibt zu töten, dann kann das nur Gott selber sein!“ Jeder militante Islamist steht so diesem Richter näher als wir! Aber trotzdem: Diese Tragödie entsetzt uns zu recht. Wer Rudolf Ottos Begriff Gott als das Heilige, als Einheit von tremendum und faszinosum nacherleben will, der halte sich dies Bild vor Augen: der Vater, der seine einzige Tochter als Opfer darbringt und Gott über dem Opfer, der nicht einschreitet: „Du brauchst mir dies Opfer nicht darbringen!“ Ein dunkler Hintergrund: Wenn der Geist des Herrn mit dem Richter war, als er dies Gelübde Gott gab, wußte der Geist Gottes schon, was das für Folgen haben wird ob der Allwissenheit des göttlichen Geistes. Trotzdem ließ der Geist dies Gelübde zu! Eine wahre Tragödie! Der Vater Abraham, der seinen einzigen Sohn nicht opfern mußte, weil Gott im letzten Augenblick eingriff - das Bild haben wir gern vor Augen, gerade wenn wir vom Happy-End herkommend, das Tragische dieses Bildes übersehen, daß da ein Vater bereit war, seinen einzigen Sohn Gott zu opfern, weil Gott es so wollte. Aber mit welchem Recht verdrängen wir dies andere Bild ohne ein Happy-End: Der Vater, der seine einzige Tochter Gott opferte, weil er verpflichtet war, Gott sein Gelübde gegenüber einzulösen und wo Gott nicht rettend einsprang? Dürfen wir angesichts des geretteten Sohnes einfach die geopferte Tochter übersehen und verdrängen? Ist sie nicht ein Opfer praktizierter Religion?
Ein Auszug aus meinem Buch: "Der zensierte Gott"
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