Ein Dekonstruktionsversuch der christlichen Religion als einer Erlösungsreligion
Unter dem Typus der Erlösungsreligion soll verstanden werden, daß der Mensch als erlösungsbedürftig und als nicht selbst erlösungsfähig gedacht wird, sodaß er nur durch Gottes Wirken erlöst werden kann, was aber ein Mitwirken des Zuerlösenden nicht ausschließt, wie es etwa die reformatorische Theologie lehrt. Eine mögliche Dekonstruktionsversion besteht nun darin, zwar von dem Sündersein des Menschen zu sprechen, aber es als sein Vermögen anzusehen, sich selbst daraus befreien zu können, und daß so die göttliche Gnade nur den Status einer zusätzlichen die Selbsterlösung erleichternden Hilfe zugestanden wird. Ins Zentrum solch eines Destrukionsversuches muß deshalb eine Umformulierung des Erbsündendogmas gerückt werden, da diese Lehre die Funktion hat, zu fundieren, daß es für den Sünder keine Möglichkeit einer Selbsterlösung geben kann.
In dem katholischen Magazin „Communio“ wird nun sinnigerweise am Fest der unbebfleckten Empfängnis Mariä ein solcher Dekonstruktionsversuch unternommen. Ich beschränke mich hier auf die Darlegung der Umformung der traditionellen Erbsündenlehre, auch als „peccatum originale“ genannt.
„Die Ursünde kann als schon immer wirkende Versuchung beschrieben werden, die Rolle des Schöpfers einnehmen und in einer absoluten Selbstbezogenheit leben zu wollen. In der menschlichen Freiheit gibt es das Moment, egozentrisch und losgelöst vom Nächsten und von Gott zu sein. In diesem Sinn ist das peccatum originale als Sünde zu bezeichnen, weil sie die Möglichkeit einer Verweigerung gegenüber der lebensspendenden Gnadenzuwendung Gottes ist. Es ist die prinzipielle Möglichkeit, dass der Mensch zu Gott Nein sagen kann, um sein Glück außerhalb des Bundes mit ihm zu finden.
Die Erbsünde sei eine „Versuchung“ zum Sündigen, es gibt so für den Menschen „die Möglichkeit“ zum Sündigen. Daß nun schon die pure Möglichkeit zum Sündigen eine Sünde sein soll, ist dabei eine völlig absurde These.Nicht schon die Möglichkeit zu etwa einem Ehebruch, ihn wollen zu können, ist schon die Sünde sondern nur, wenn er wirklich gewollt wird. Präziser gedacht, ist zu sagen, daß erst die Möglichkeit, sündigen zu wollen, es ermöglicht, das Nichtwollen der Sünde als eine moralische Handlung zu bewerten. Was ist nun aber mit dieser Umformung, daß die Erbsünde nur als eine Versuchung, sündigen zu wollen, dem Menschen nach dem Sündenfall zu eigen ist, gewonnen? Sehr viel, denn nun kann der Mensch kraft seines freien Willens selbst entscheiden, ob er dieser Versuchung nachgehen will oder nicht. Es gehört zum Vermögen der menschlichen Freiheit, die Sünde zu meiden oder sie zu begehen. Aus dem Bestimmtsein des postlapsarischen Menschen wird nun eine kontingente Selbstbestimmung, er kann die prinzipielle Möglichkeit zu sündigen realisieren oder auch nicht.Das ist der Kerngedanke der pelagianischen Sündenlehre, daß der Mensch immer nur kontingent sündigt und so auch allein auf sich gestellt die Sünde meiden könnte.
Die Erbsündenlehre fällt auch die Aufgabe zu, die Taufe an den Kindern, so schnell wie möglich nach ihrer Geburt als heilsnotwendig zu begreifen. Das Kind ist von Anfang an erbsündlich. Der theologische Beweis: Der Tod ist die Strafe Gottes für die Sünde. Kinder sind von der Geburt an schon dem Sterbenmüssen unterworfen, ja sie können gar schon im Mutterleibe sterben. Wenn sie nicht von Anfang an Sünder wären, dürften sie diesem Sterbenmüssen nicht unterworfen sein. Wenn aber ein Mensch erst zum Sünder wird, wenn er der Möglichkeit, sündigen zu wollen, zustimmt,dann kann er erst ein Sünder werden, wenn ihm seine Zustimmung als eine selbstverantwortliche Entscheidung zugeschrieben werden kann. Kleinkinder können so auf keinen Fall schon als Sünder beurteilt werden. Da aber auch die schon sterben können und zum Sterbenmüssen verurteilt sind, muß nun im Widerspruch zur Lehre der Kirche ein sog „natürlicher Tod“ konstruiert werden, denn der Mensch also auch dann stürbe, wenn er nie gesündigt hätte. Dann sind wir alle, bis wir zum ersten male selbstverabtwortlich uns zum Sündigenwollen entschieden haben, Menschen ohne Sünde, die so dann auch ohne die Gnade Gottes in das ewige Leben eingehen können. Die Taufe wäre dann auch völlig überflüssig, da sie das Sündersein des Zutaufenden voraussetzt, daß er ein erbsündlich bestimmter ist.
Die Destruktionskraft dieses klaren Pelagianismus ist beachtlich, zerstört er eben auch das Taufsakrament, aber das ist eben die zwingende Folge der These, daß der Mensch ohne die Gnade Gottes sich ganz der Sünde enthalten könne. Die christliche Religion hört so auf, eine Erlösungsreligion zu sein, indem sie sich zu einer reinen Morallehrereligion transformiert: Der Mensch soll und kann moralisch leben, wenn er es nur will. Sollte das ihm nicht so ganz gelingen, dann kann er aber auf eine Zusatzhilfe Gottes hoffen. Aber eigentlich ginge es auch gut ohne die Gnade Gottes.
Corollarium 1
Das Konstrukt des "natürlichen Todes" stellt den Versuch da, den Menschen mit seinem Todesgeschick zu versöhnen, statt die Widernatürlichkeit des Sterbenmüssens im christlichen Sinne zu explizieren.
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