Könnte die katholische Morallehre in einer lebenspraktisch sehr relevanten Frage irren?
In den ach so arg geschmähten vorkonziliaren Zeiten war es üblich, in dogamatischen Lehrbüchern die jeweilige Lehre in ihrem Gewißheitsgrad zu benoten, denn nicht alles kirchlich Gelehrte kann als gleich gewiß wahr anerkannt werden.Eine solche Notifizierung würde der heutigen Moraltheologie gewiß auch guttuen, denn die Behauptung, alles Dargelegte sei genau gleich wahr, provoziert den Verdacht, ob nicht realiter dann alles auch gleich ungewiß sei.
Daß der Gebrauch von Verhütungsmitteln eine Sünde sei, lehrt die Kirche und daß 99,999 Prozent der Kirchenmitglieder das für eine Falschlehre der Kirche halten, beweist noch lange nicht, daß diese Aussage falsch sei, es zeigt nur an, daß es der Kirche nicht gelingt, diese Lehre an das Kirchenvolk zu vermitteln. Denn als gläubiger Katholik müßte man doch darauf vertrauen dürfen, daß die Lehre der Kirche wahr sei und somit auch diese besondere Lehre.
Nur, „was tun?“, wenn eine kritische Überprüfung diese Lehre als unhaltbar erweist? Verdächtig ist es, daß in conservativen, die Treue zum Lehramt betonenden Kreisen als die legitime Alternative zur Verwendung von künstlichen Verhütungsmitteln eine natürliche Methode propagiert wird. Denn dann müßte die Lehre besagen, daß wenn ein Ehepaar den Geschlechtsverkehr will, aber so, daß auf keinen Fall die Frau schwanger wird, das erlaubt sei, wenn sie dazu natürliche verwenden, das unerlaubt sei, wenn sie dazu künstliche Mittel verwenden. Vergleiche dazu: Das Hanlungsziel, mehr Geld im Portemonnaie zu haben, ist ein erlaubtes, aber die Wahl der Mittel zur Erlangung dieses Zieles machen die Handlung zu einer erlaubten oder zu einer unerlaubten. Verkaufe ich etwas mir Gehörendes, um zu mehr Geld zu kommen, ist das erlaubt, stelle ich dagegen Geld, ist das unerlaubt.Aber es ist moraltheologisch absurd, den Gebrauch künstlicher Mittel im Kontrast zu natürlichen als unmoralisch zu bestimmen, denn dann müßte gelten: Etwas klar sehen wollen, ist ein erlaubtes Handlungsziel, verwende ich dafür aber eine künstliche Sehhilfe, eine Brille, wäre das unerlaubt.
Die Kirche lehrt aber, daß das Ziel, den Geschlechtsverkehr so auszuführen, daß die Frau nicht schwanger werden kann, eine unmoralische Handlung ist. Die Intention, so ihn durchzuführen, verunsittlicht die Handlung, egal mit welchem Mittel dann das Ziel erreicht wird. Es scheint so, daß die Konsequenzen dieser Lehre so fatal wären, daß deswegen diese Falschbehauptung aufgestellt wird, daß eine Verhütung mit natürlichen Mitteln erlaubt sei. Denn es müßte z.B. ein verheiratetes Paar sich des Geschlechtsverkehres gänzlich enthalten, sobald es weiß, daß die Frau nicht mehr schwanger werden kann etwa ob ihres Alters.
Muß nun diese Lehre bejaht werden, daß jeglicher Geschlechtsverkehr unerlaubt sei, wenn er in der Intention durchgeführt wird, daß die Frau dabei nicht schwanger werden kann? Nun möchte ich diese Lehre überprüfen und zwar über einen Umweg, nicht in medias res gehend, weil so die Kritik leichter fällt.
1.These: Das Trinken von Flüssigkeiten dient der Lebenserhaltung des Menschen,denn trinkt er nicht genügend, könnte er verdursten.
2. These: Jedes Trinken, das nicht diesem Zwecke dient, sondern nur dem Genießen, ist deshalb sündig.
Deshalb sündige ich jedesmal, wenn ich im Winter einen Glühwein trinke.
Diese Folgerung ist auf jeden Fall falsch, aber sie resultiert notwendig aus den Thesen 1 und 2.Also müssen die Thesen irgendwie falsch sein. Der Fehler ist leicht auffindbar. In der 2. These wird in die 1.These ein „nur“ nachträglich hineingeschummelt,als wenn es da hieße: Jedes Trinken von Flüssigkeiten hat nur dem Zwecke der Lebenserhaltung zu dienen und deswegen wäre dann wirklich jedes Trinken nur um des Genießens willen unerlaubt. Die Bestimmung, daß das Trinken für die Lebenserhaltung notwendig ist, daß diese These wahr ist, ist unbestreitbar, verbietet so nicht ein darüber hinausgehendes Trinken nur um des Genießens willen.
Den gleichen Fehler finden wir in der Begründung des Verbotes jeglicher beabsichtigter Verhütung, daß das Ziel des Geschlechtsverkehres nur dem Zwecke der Fortpflanzung zu dienen habe, und daß darum jeder, der nur um des Genießens willen vollzogen wird, so unsittlich sei.
Es drängt sich nun die Vermutung auf, daß im Hintergrund dieser verkehrten These, daß nur um des Zweckes der Fortpflanzung willen der Geschlechtsverkehr erlaubt sei, die augustinische Bestimmung von „uti“ = gebrauchen und „frui“ =genießen steht. Alles Endliche soll nur gebraucht werden, weil Gott allein das zu Genießende sei. Wer etwas Endliches genießt, verhält sich so zu ihm wie zu Gott. Jede Handlung verfolgt ein Ziel: In die Stadt gehe ich, um ein Buch zu kaufen, das lese ich für die Prüfungsvorbereitung, damit ich die Prüfung bestehe und ….Der hl. Augustin frägt nun, ob es ein letztes Ziel in dieser Kette des Um zu gibt, das nur noch um seiner selbst willen erstrebt wird. Das ist und kann für diesen Theologen nur Gott sein. Deshalb haben wir alles nur zu gebrauchen, weil Gott nur das zu Genießende ist.
Übertrüge man nun diese Verhältnisbestimmung auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, hätte das die fatalsten Folgen: Jeden Mitmenschen dürfte ein Christ nur als ein Mittel für einen Zweck ansehen und so benutzen:Die Ehefrau dürfte ihren Mann dann nur als ein Mittel zur Fortpflanzung ansehen und ihre Liebe zu ihm wäre dann nur ein Mittel zur Beförderung dieses Zweckes. So kann das weder der hl. Augustin noch die Kirche meinen. Als Korrektiv entickelt der hl. Augustin seine Güterlehre, fußend in der Transzendentalienlehre, dem Glanzstück der christlichen Gotteslehre: Nur Gott ist gut, und alles andere, was uns als gut erscheint, ist nur gut durch seine Teilhabe an dem einen Gutsein Gottes.Alles gut Erscheinendes ist sozusgen nur ein Abbild des Urbildes des Guten, das Gott ist. So gilt auch, daß der Mensch schöner geschaffen ist als die Tiere, aber weniger schön als die Engel. So kan gesagt werden, daß er schön und unschön zugleich ist, schön im Vergleich zu den Tieren und unschön im Vergleich zu den Engeln. Wie kann dann aber von etwas so Relativen sein Gut- oder sein Schönsein ausgesagt werden? Es kann, da alles Gut- und Schönerscheinendes durch seine Teilhabe am Gut-und Schönsein Gottes gut und schön erscheinen kann. Somit wird die Transzendenz und auch die Immanenz Gottes gedacht: Als das einzig Gute ist er der Transzendente und als in allen Abbildern des Guten Erscheinender ist er auch der Immanente.
So ist in jedem Genießen von etwas Gut-oder Schönscheinendem eine Ausrichtung auf Gott hin enthalten. Somit korrigiert diese Güterlehre die Lehre vom Gebrauchen und Genießen. Der Glühwein wie die Sexualität dürfen auch genossen werden, weil auch sie Güter sind, die ihr Gutsein dem einen Gutsein Gottes verdanken.Sie sind für ihre Zwecke zu gebrauchen, dem Lebenserhalt durch das Trinken wie durch die Fortpflanzung, aber sie sind nicht nur zu diesem Zwecke zu gebrauchen, sie dürfen auch genossen werden.
Der Fehler der Verneinung der Verwendung von Verhütungsmitteln liegt so erstens in der Verwechselung von: dient dem Zweck der Fortpflanzung mit der Aussage: hat nur dem Zweck der Fortpflanzung zu dienen. Zweitens wurde die augustinische Güterlehrer vergessen, daß alles Gutseiende nur ob seiner Teilhabe an dem Gutsein Gottes gut seiend genossen werden darf.
Der Geschlechtsverkehr mit dem Zweck der Fortpflanzung ist nun für das Überleben der Menschheit genauso wichtig wie die Flüssigkeitszunahme für das Überleben des Einzelnen. Das kann aber nun nicht zur Konsequenz haben, daß die Sexualität oder das Trinken um des Genießens willen als eine Sünde qualifiziert werden kann. Deswegen ist auch der Gebrauch von Verhütungsmitteln nicht als unerlaubbar zu beurteilen. Es ist aber die Aufgabe des Staates wie der Kirche, für Rahmenbedingungen zu sorgen, daß die Bürger zum Erhalt des jeweiligen Volkstumes genügend Kinder bekommen können.
Zusatz:
Sollte nun moniert werden, daß hier gar nicht von der Liebe geschrieben wurde, möchte ich erwidern, daß die Morallehre in dieser Causa auch nicht von der Liebe schreibt. Daß zu einem guten Leben die Liebe notwendig dazugehört, ist unbestreitbar, wer das bezweifelt, dem empfehle ich die Erfolgsfernsehserie: "Sturm der Liebe", aber sie gehört nicht zu dieser moraltheologischen Frage.
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