Samstag, 28. Dezember 2024

Eine Kritik: Das kirchliche Gerede von der persönlichen Begegnung mit Jesu und unser „Vertrauen“ auf ihn

 

Eine Kritik: Das kirchliche Gerede von der persönlichen Begegnung mit Jesu und unser „Vertrauen“ auf ihn



Eine in der jetzigen Verkündigung und in der Theologie sich großer Beliebtheit erfreuende Vorstellung ist die Rede von der persönlichen Begegnung mit Jesus und dem daraus sich generierenden Vertrauensglauben. Wer nun in dem Neuen Testament nachliest, stößt stattdessen auf einen ganz aus der Mode geratenden Begriff: die Lehre Jesu Christi, als genitivus subjectivus und objectivus zu lesen. Jesu Haupttätigkeit war nämlich die des Lehrens, er lehrte etwas und er lehrte über sich selbst.Seine Anhänger waren demzufolge Schüler, aus denen dann aber „Jünger“ wurden, als hätte ein Lehrer Jünger und keine Schüler. Das Verhältnis Jesu zu seinen Anhängern ist so eindeutig das eines Lehrer-Schüler Verhältnisses, in dem sich seine Schüler, isb im Markusevangelium gerade nicht als gute Schüler erwiesn: Wann verstanden sie denn auch die Lehren ihres Lehrers.

Wo bleibt denn nun die Lehre Jesu, wenn so viel von unserem Begegnen mit ihm gesprochen wird? So wie die Übersetzung: Jünger statt Schüler den Verdacht auf Luthers Bibelübersetzung lenkt, so liegt man wohl auch recht in der Vermutung, daß Luther und Melanchthon der Lehre Jesu ein Ende bereitet haben.Sie unterschieden zwischen Glaubensaussagen, die für wahr zu halten seien und den Evangelium, das keine Aussagenwahrheit sein soll,sondern eine Verheißung, die nur dem gilt, der sie glaubt. Luther kann das so auf den Punkt bringen: „So wie Du Jesus glaubst, so ist er Dir! Wenn Du glaubst, daß er für Deine Sünden gestorben ist, dann und nur dann ist er auch für Deine Sünden Dir zum Heile gestorben. Glaubensaussagen sind wahr, unabhängig davon, ob sie geglaubt oder nicht geglaubt werden, sie sind als wahr anzunehmen. Das Evangelium dagegen wird erst durch den Glauben des Gläubigen zur ihm geltenden Wahrheit. Dieser Fiduzialglaube soll nun der allein rechtfertigende sein.Die vielen Glaubenswahrheiten dagegen, auch wenn sie vom Gläubigen als wahr angenommen werden, rechtfertigen ihn nicht vor Gott.

Die Lehre Jesu Christi gerät so ins Hintertreffen, da sich das ganze Heil allein auf das Daß Jesus für Dich am Kreuze gestorben sei, kapriziert. Der Versuch, die reformatorische Theologie mit dem aufklärerischen Denken kompatibel zu gestalten, erforderte nun eine Kritik dieses Evangeliumsverständnisses.Man begann die Person Jesu von seiner theologischen Interpretation in dem Neuen Testament und sein Werk von der Interpretation zu unterscheiden.Alle Interpretationen seien nur zeitgechichtliche bedingte Aussagen über die Person und das Werk Jesu.Im Zentrum der christlichen Religion stünde so aber die Person Jesu und nicht die Lehren über ihn und über sein Werk. Nicht mehr das Evangelium, daß ER für Dich am Kreuze gestorben sei, soll nun somit das Zentrum des christlichen Glaubens bilden, sondern ER als die Person, der der Gläubige sein Vertrauen schenkt. Alle dogmatischen Aussagen über ihn seien doch nur etwas Sekundäres, es zähle nur, wie vorher der Fiduzalglaube die Glaubenswahrheiten entwertete, seine Person und nicht die zeitgeschichtlich bedingten Vorstellungen über ihn.

Genau genommen hat Jesus nichts gelehrt, er ist einfach das „Du“, das mir begegnet, das mich anspricht und so mich im Angesprochensein durch dies Du zu mich werden läßt. Es „bubert“ dann in den Predigten und theologischen Traktaten, alles wirkliche Leben sei Begegnung, so Martin Buber, durch sie würden wir erst zu Ichen usw....So entledigt sich diese Theologie aller dogmatischen Aussagen über Jesus und beraubt ihn auch noch seines Lehramtes. Er lehrte nichts. Er soll nur in seiner persönlichen Zuwendung Gottes unbedingte Liebe zu jedermann erfahren lassen.Das Erleben dieser Erfahrung soll nun den Kern des christlichen Glaubens ausmachen.Was Jesus lehrte, das sei ja auch für uns Heutigen völlig inakzeptabel, daß das Reich Gottes in Bälde käme, wie wir zu leben hätten, um in es aufgenommen zu werden, seine Differenzen zu den pharisäischen Lehren. Daß er gar noch an den Teufel glaubte und Daimonen austrieb und Wunder wirkte, das sind doch auch nur Abstrusitäten der einstigen voraufklärerischen Weltsicht.

Für uns kann von all dem nur die Person, die Persönlichkeit Jesu übrigbleiben, die immer wieder Menschen anzöge und für sich gewönne. Wie soll dann aber das Besondere, Jesus einzigartig Auszeichnende bestimmt werden, wenn all das dazu dogmatisch Gelehrte nur Hervorbringungen zeitgeschichtlich bedingter Denkens sind? Da kann dann nur noch eine Antwort gegeben werden: Nur in der persönlichen Begegnung erschösse sich die Bedeutung der Person Jesu. Alle Lehre verobjektiviere und entstelle so dies rein persönliche Verhältnis. Begann dieser Destruktionsweg mit der Entwertung aller Glaubensaussagen zugunsten des Evangeliumes des Kreuzestodes Jesu für uns, so destruiert die Rede von der persönlichen Begegnung nun auch noch dies Evangelium und läßt nichts übrig als das „Du“ Jesu, daß mir begegnet und mich Ich werden läßt durch sein: „Du!“, sein mich Ansprechen.

Die Liebe Gottes reduziert sich dann dabei auf die Zuwendung Jesu zu uns Menschen in der persönlichen Begegnung mit uns. Soziologisch analysiert läßt sich der Sitz im Leben dieser Begegnungstheologie leicht bestimmen: Es ist der Einzelne in seiner faktischen Bedeutungslosigkeit in der Massengesellschaft, der sich durch so einen „Du-Anruf“ herausgeholt fühlt aus dieser Bedeutungslosigkeit. Dazu wird Jesus Christus auf so eine Ich-Du-Begegnung reduziert, auf die Affirmation des in der Massengesellschaft entwerteten Individuumes. Deswegen reduziert sich die Nachfolgepraxis ja auch darauf, seine Mitmenschen auch so anzusprechen und darin zu bejahen.



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